2018 war das, da durften sich die von Bahnlärm Betroffenen auch einmal an der Lärmaktionsplanung Schiene der Bahn beteiligen, hoffend, die Bahn würde auf solche Bürgerwortmeldungen auch einmal positiv reagieren. Leipziger Bahnlärmbetroffene haben da ja andere Erfahrungen gemacht, zum Beispiel jene in der Stötteritzer Güntzstraße, deren Wohnhäuser es nach Ansicht der Bahn gar nicht gibt. Jetzt hoffen sie, dass sie in der Leipziger Lärmaktionsplanung Gehör finden.

Das Thema führt zurück ins Jahr 2017, als die Grünen-Fraktion mit drei Anträgen ein zweites Mal versuchte, ein Problem zu lösen, das Bahn und Stadt 2009 gemeinsam verursacht haben. Damals wurde der Planbeschluss auch für den neuen S-Bahn-Streckenabschnitt in Stötteritz gefasst mit Höherlegung der S-Bahnsteige und einer Neuordnung der Gleise, sodass der Güterzugverkehr künftig östlich der S-Bahn-Station geführt wurde – neben der Güntzstraße.

Es soll auch die gesetzlich vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung zu den Plänen gegeben haben. Doch nicht nur die Anwohner der Güntzstraße wundern sich, wo das wann gewesen sein soll. Im Briefkasten hatten sie dazu jedenfalls keine Informationen.

Ergebnis: Es wurden zwar jede Menge grüne Schallschutzwände gebaut. Doch genau vor der Wohnbebauung an der Güntzstraße hören sie auf. Der Grund: Das schallschutztechnische Gutachten, das den Planungen zugrunde lag, ging davon aus, dass hier keine Wohnhäuser stehen.

Nix mitgekriegt? Pech gehabt!

Das dumme an Planverfahren ist: Wenn betroffene Bürger diese Öffentlichkeitsbeteiligungen verpassen, verlieren sie alle Rechte zum Einspruch. Was die Anwohner der Güntzstraße ab 2014 direkt erlebten, als sie nämlich merkten, was die Veränderungen am Gleiskörper eigentlich für sie bedeuteten. Denn das Schallschutzgutachten hatte nicht nur die Wohnhäuser ignoriert – es hatte auch mit viel zu wenig Zugverkehr gerechnet. Und zwar zuallererst beim Güterverkehr. Es fahren nicht nur deutlich mehr Güterzüge auf der Strecke, sie sind auch noch deutlich länger geworden.

Wie aber selbst die Stadt Leipzig, die 2009 augenscheinlich genauso geschlafen hat, sich 2017 die Zähne ausbiss an einer Bundesbahn, die überhaupt nicht einsehen wollte, dass sie Bockmist gebaut hatte, belegen eigentlich die Aussagen von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal auf den Grünen-Antrag hin.

Im Antrag hatte die Grünen-Faktion sehr genau geschildert, was in Stötteritz schiefgelaufen war:

„Die Anwohner der Wohnsiedlung in der Schönbachstraße 63/65 (insgesamt 13 Eigenheime und 6 Eigentumswohnungen) sowie die Wohnhäuser im unteren Teil der Güntzstraße werden, seit dem Umbau des S-Bahnhofs Stötteritz, sehr stark von Güter- und S-Bahnzügen ausgehendem Lärm, insbesondere in der Nacht, gestört. Mit dem DB-Bauprojekt weist der Lärmschutz jetzt zur Güntzstraße zwischen Haus Nr. 5 bis Haus Nr. 13 hin eine gravierende Lücke auf. Die aktuelle Lärmkartierung zeigt für das Gebiet in der nördlichen Güntzstraße Lärmwerte über den zulässigen von 54 dB (A) in der Nacht und 64 dB (A) am Tag. Darüber wurden der Oberbürgermeister und das Amt für Umweltschutz mehrfach von den betroffenen Anwohnenden bei Gesprächen und durch die Übergabe von Gutachten hingewiesen.“

Die Farbzuornung für die oben abgebildete Lärmkarte. Grafik: Stadt Leipzig
Die Farbzuordnung für die oben abgebildete Lärmkarte. Grafik: Stadt Leipzig

Die aktuelle Lärmkarte zu Eisenbahnlärm haben wir oben eingefügt. Die eigentlichen Gleiskörper, wo die Züge fahren, leuchten auf der Karte in Lila, was einer Lärmbelastung von über 70 dB (A) entspricht. Daneben sieht man einen braunen Steifen, der einer Lärmbelastung von über 65 dB (A) entspricht, das anschließende rote Feld entspricht über 60 dB (A). Die Güntzstraße liegt in diesem Bereich eindeutig im roten Feld.

Da ist die Aussage von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal interessant, der 2017 tatsächlich meinte: „Nach Auffassung der Verwaltung lassen sich Werte von > 64 dB (A) am Tag bzw. > 54 dB (A) in der Nacht an der Wohnbebauung für das Gebiet der nördlichen Güntzstraße aus der Lärmkartierung nicht ableiten.“

Er sprach bewusst von „ableiten“, denn gemessen hat die Stadt nicht. Die Lärmkartierung der Stadt Leipzig beruht auf einem Computermodell mit Hochrechnungen. Logisch, dass die Stadt mit solchen Datengrundlagen ganz schwache Argumente hat, wenn sie von der Deutschen Bahn eine Verlängerung der Lärmschutzwand will.

Warum öffnen Sie denn auch die Fenster?

Weiter im Antrag der Grünen: „Die betroffenen Bürger im Bereich der unteren Güntzstraße kämpfen seit vielen Jahren um einen angemessenen Lärmschutz. Inzwischen ziehen Mieter wegen des belastenden Lärms weg. Die positive Entwicklung des Gebietes wird beeinträchtigt.

Mit Neugestaltung des Stötteritzer Bahnhofs wurde die gesamte Fläche, d. h. der ganze Bahnhof wesentlich angehoben. Darüber wurden beide Güterzuggleise zur Güntzstraße hin verlegt. Zudem hat man zusätzliche Weichengleise errichtet, die einen Rangierverkehr ermöglichen. Außerdem wurde ein Endhaltepunkt geschaffen, sodass jetzt durch wartende S-Bahnen eine erhöhte Lärmbelastung entsteht. Das Amt für Umweltschutz hat betroffenen Anwohner empfohlen, da ein Schlafen bei geöffneten Fenstern nicht möglich sei, Schlafräume mit unabhängigen Lüftungseinrichtungen zu versehen.

Die Folgen, die starker Lärm für die Gesundheit, insbesondere während der Nacht haben kann, sind hinlänglich bekannt und wissenschaftlich bewiesen. Daher ist ein wirkungsvoller Lärmschutz für dieses Gebiet dringend angebracht.

Am Bahnhof Rückmarsdorf wird im Rahmen des oben genannten Bundesprogramms durch die DB Netz AG (Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen des Bundes – Neubau Lärmschutzwand Rückmarsdorf Bahn-km 9,271 bis Bahn-km 9,508 der Strecke 6367 Leipzig Hbf – Großkorbetha) eine solche Lärmschutzwand realisiert. Daher scheint es nur logisch, dass dies auch für den Bahnhof Stötteritz erfolgt.“

Das Gewerbegebiet östlich der Strecke wurde mit hohen Schallschutzwänden geschützt. Foto: Ralf Julke
Das Gewerbegebiet östlich der Strecke wurde mit hohen Schallschutzwänden geschützt. Foto: Ralf Julke

Die Grünen beantragten auch gleich 50.000 Euro, damit zur Not die Stadt der Bahn die Planung zum Bau dieser Lärmschutzwand finanziert, obwohl die Bahn selbst gesetzlich dazu verpflichtet ist. Aber wie sehr die Stadt Leipzig, die 2009 den Bauplänen selbst zugestimmt hatte, jetzt in der Bettlerposition war, macht die Stellungnahme des Umweltdezernats deutlich.

„Die Verwaltung hat sich trotz fehlender Zuständigkeit in der Sache intensiv um eine Lösungsfindung bemüht und sich als Moderator zwischen den verschiedenen Parteien verstanden. Ziel der Verwaltung war es, in Gesprächen mit der Deutschen Bahn zu erreichen, dass die Deutsche Bahn, nötigenfalls unter Einbeziehung des Eisenbahnbundesamtes die bereits vorhandenen Lärmschutzwände entlang der Güntzstraße erweitert“, schrieb das Umweltdezernat.

„In diesem Zusammenhang hat das Amt für Umweltschutz bereits am 13.11.2014 die Deutsche Bahn Netz AG, die Deutsche Bahn ProjektBau GmbH und die Deutsche Bahn AG zu einem klärenden Gespräch, in welchem schwerpunktmäßig die fachlichen Unterlagen einer kritischen Bewertung unterzogen wurden, eingeladen und versucht in der Sache vermittelnd tätig zu werden. Ein darauf aufbauendes Gespräch unter Beteiligung des Beschwerdeführers und der beauftragten Rechtsanwältin sowie unter Beteiligung der Fraktion Bündnis90/Die Grünen am 25.02.2015 führte zu keinem befriedigenden Ergebnis. Einvernehmlich wurde aber festgestellt, dass das Eisenbahn-Bundesamt als wesentlicher Gesprächspartner einbezogen werden sollte. Seitens des Eisenbahn-Bundesamtes wurde eine Gesprächsteilnahme gegenüber der Stadt Leipzig jedoch verweigert.“

Peinlich genug: Der große Koloss Bahn hat keine Lust zur Klärung und das Bundesamt will nicht mal behelligt werden.

Was tun?

Der OBM musste ran.

„Mit Schreiben des Oberbürgermeisters Jung vom 22.09.2015 an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG (DBAG), Herrn Dr. Grube, wurde die Stadt Leipzig nochmals unterstützend tätig, um in der Sache eine außergerichtliche Einigung im Sinne des betroffenen Bürgers zu erreichen. Zeitgleich erfolgte darüber hinaus ein weiteres Schreiben durch den Oberbürgermeister an den Präsidenten des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA), Herrn Gerald Hörster, mit dem gleichen Ziel. Sowohl seitens der Deutschen Bahn AG, als auch seitens des Eisenbahn-Bundesamtes erfolgten im Oktober 2015 entsprechende Antwortschreiben mit dem Verweis auf den rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss für diesen Bereich (City-Tunnel Leipzig, Netzergänzende Maßnahmen im Abschnitt Engelsdorf (a) – Gaschwitz (a)) weitergehende Maßnahmen wurden abgelehnt.“

So ist das mit rechtskräftigen Planbeschlüssen. Wenn die Bürger nicht selbst merken, dass gerade eine öffentliche Einsichtnahme möglich ist, haben sie Pech. Die Planer planen, bauen ein bisschen Bockmist. Und wenn’s dann einer merkt, weil bei ihm die Scheiben klirren, ist keiner dran schuld.

Also zog Leipzig die weiße Flagge auf: „Seitens der Stadt Leipzig wurde aufgrund der Erfolglosigkeit der zahlreichen Bemühungen dem betroffenen Bürger der Rechtsweg nahegelegt.“

Pech für die Bürger, wenn die Bahn auf ein Schallschutzgutachten verweist, das per Fernerkundung belegt, dass es dort, wo die Leute schlafen, gar keine Häuser gibt.

Und das mitten in einer honorigen Bundesdebatte, in der Bund und Bahn den bahnlärmbetroffenen Bürgern hoch und heilig versprachen, sie hätten Anspruch auf Schallschutz.

Umweltdezernat spricht jetzt selbst jeden Anspruch auf Schallschutz ab

Aber den haben die Stötteritzer ganz und gar nicht, stellte das Leipziger Umweltdezernat 2017 fest: „Die Aufnahme einer solchen Maßnahme in das Bundesprogramm ,Förderung von Maßnahmen zur Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen der Eisenbahn des Bundes‘ ist aus Sicht der Verwaltung ausgeschlossen, da:

– das Programm nur dort greift, wo nicht die Voraussetzungen zur Lärmvorsorge nach §§ 41-43 BImSchG vorliegen. Der vorgenannte Planfeststellungsbeschluss hat die Anforderungen der Lärmvorsorge abgehandelt,

– nach der ,Richtlinie für die Förderung von Lärmsanierungsmaßnahmen Schiene‘ Lärmsanierungsmaßnahmen durchgeführt werden können, wenn der Beurteilungspegel in Mischgebieten 72 dB (A) am Tag und 62 dB (A) in der Nacht übersteigt. Dies ist im Bereich der nördlichen Güntzstraße nicht der Fall,

– der in Rede stehende Streckenabschnitt, sicherlich auch wegen der unter den ersten beiden Anstrichen genannten fehlenden Voraussetzungen, nicht Bestandteil des Verzeichnisses der noch zu bearbeitenden Lärmsanierungsbereiche ist.“

So macht sich die Stadt zum Diener der Bahn.

Und ansonsten seien ja irgendwie die Leute selbst schuld, die in diese Häuser gezogen sind, denn mehr oder weniger hat der Bauherr für das Wohngebiet nicht auf die weise Beratung der Stadt gehört.

Oder mit den Worten der Stellungnahme des Umweltdezernats: „Die Planung eines Bauvorhabens, auch und gerade bezüglich des Lärmschutzes bei Bauvorhaben im unbeplanten Innenbereich, dazu zählen die Bauvorhaben in der Schönbachstraße 63/65, liegt nahezu vollständig in der Verantwortung des Bauherren. Da nach Erfahrung der Verwaltung diesbezüglich enorme Defizite bestehen, gibt das Amt für Umweltschutz im Rahmen von solchen Bauvorhaben in verlärmten Bereichen Empfehlungen, wie die Wohnsituation verträglich gestaltet werden kann. Die zitierte Empfehlung ist also eine Mindestanforderung und nicht als Anforderung an optimalen Lärmschutz zu werten. Solche konfliktbehafteten Bausituationen lassen sich nur vermeiden, wenn die zugrunde liegenden städtebaulichen Konflikte durch eine qualifizierte Bebauungsplanung entschärft werden.“

Und ansonsten hätten die Anwohner der Güntzstraße sowieso alles auf den Kopf gestellt: „Der Lärmschutz weist nicht wegen des DB-Bauprojektes – gemeint ist offensichtlich der vorgenannte Planfeststellungsbeschluss – eine gravierende Lücke aus. Erst durch den Planfeststellungsbeschluss ist der Lärmschutz im bestehenden, möglicherweise lückenhaften Umfang entstanden.“

Die ganze Antragstellung im Stadtrat endete 2017 übrigens ohne Beschluss. Nur eben mit dieser durchaus peinlichen Feststellung, nachdem sich die Stadt bei der Deutschen Bahn und beim Eisenbahnbundesamt eine Abfuhr geholt hatte, dass augenscheinlich der Bauherr des Wohngebiets schuld ist. Er hätte wohl anders bauen sollen, hätte er auf die Berater der Stadt gehört.

Dumm nur: Wer hat eigentlich die Baugenehmigung für dieses falsch angelegte Wohngebiet erteilt?

Verständlich, wenn die Bewohner des Gebiets auch 2019 noch sauer sind, genauso schlecht schlafen können wie die im Einfluggebiet des Flughafens, und jetzt von der Stadt Lösungen erwarten.

Der Lärmaktionsplan liegt übrigens tatsächlich zur öffentlichen Einsichtnahme aus.

Der Hinweis der Stadt dazu:

Der aktuelle Entwurf des Lärmaktionsplanes (1. Fortschreibung) für die Stadt Leipzig kann in der Zeit vom 03.06.2019 bis 02.07.2019 an folgenden Orten eingesehen werden:

– Umweltinformationszentrum (UiZ), Prager Straße 119, 04317 Leipzig
(Dienstag und Donnerstag jeweils 10:00-12:00 Uhr und 14:00-17:00 Uhr geöffnet)

– Stadtbüro, Burgplatz 1, 04109 Leipzig
(Montag bis Donnerstag jeweils 13:00-18:00 Uhr, Freitag 13:00-16:00 Uhr geöffnet)

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