Hochwasserschutz ist in Sachsen seit 2002 ein heikles Thema. Die damalige "Jahrhundertflut" machte vor allem an Elbe und Mulde sichtbar, wo es im sächsischen Hochwasserschutz klemmte und wo man über Jahrzehnte die falschen Weichen gestellt hatte. Nur kurz ließ sich die sächsische Staatsregierung damals auf die angemahnte Diskussion durch Umweltinitiativen und -vereine ein. Das Thema nachhaltiger Hochwasserschutz war schon wenige Wochen später wieder beerdigt.

Seitdem hat der Freistaat Sachsen rund 1,5 Milliarden Euro für Sanierung und Neubau technischer Hochwasserschutzanlagen ausgegeben. Von den noch 2002 diskutierten 7.000 Hektar Überflutungsfläche für Sachsens Flüsse wurden bis zum nächsten “Jahrhunderthochwasser” im Juni 2013 nur etwas über 100 Hektar freigegeben. Nicht nur in Leipzig tun sich die verantwortlichen Umweltbehörden schwer im Umgang mit den Umweltverbänden. In Leipzig kam es 2011 zu einem bis heute andauernden Konflikt. 2010 hatte das Sächsische Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) den so genannten “Tornadoerlass” dekretiert. Der ermöglicht bei “Gefahr in Verzug” zum Beispiel auch die “unbürokratische” Beseitigung von Bäumen und Sträuchern auf, an oder hinter Hochwasserschutzanlagen.

Die für den Gewässerbereich Elbaue-Mulde-Untere Weiße Elster zuständige Landestalsperrenverwaltung (LTV) des Freistaats nutzte den Erlass im Februar 2011, um damit bei der zuständigen Naturschutzbehörde, dem Leipziger Umweltamt, die Genehmigung zur Fällung von Bäumen auf rund 40 Hektar im Leipziger Auenwald zu erwirken. Vorhergegangen war das Winterhochwasser im Januar 2011, das zwar zu keinem Zeitpunkt das Leipziger Stadtgebiet gefährdete, die zuständige LTV aber zwang, erstmals das Nahleauslasswerk zu öffnen und Teile der Burgaue zu fluten.

Weder im Januar noch im Februar, als das Hochwasser längst abgelaufen war, herrschte augenscheinlich “Gefahr im Verzug”. Doch das Argument der LTV wirkte beim Leipziger Umweltamt – das erteilte die Genehmigung. Und die Leipziger Naturschutzverbände konnten im Februar nur noch mit Entsetzen zusehen, wie teilweise über 200 Jahre alte Bäume gefällt wurden, viele davon auf über 5 Meter breiten “Deichverteidigungswegen” hinter Deichen und Hochufern, die weder in der Vergangenheit noch in den letzten Monaten je für Deichverteidigungszwecke gebraucht wurden.

Im Sommer 2011 reichte der Ökolöwe im Rahmen der Grünen Liga Sachsen darum Klage ein – gleich auf mehreren Ebenen. Zuallererst natürlich gegen den “Tornadoerlass”, der gerade in Leipzig unübersehbar auch die Mitspracherechte der Umweltverbände aushebelte. Die waren schon vorher nicht üppig ausgestattet. Die Umweltverbände müssen zwar beteiligt werden, wenn es um Neubauten in geschützten Gebieten geht. Aber die Beteiligung ist auch so eher eine gnädige Anhörung von Amtswegen. Zuletzt erlebt beim von der LTV geplanten Neubau des Nahleauslasswerks, bei dem Ökolöwe und Nabu durchaus um Stellungnahmen gebeten wurden. Der Ökolöwe aus genauer Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten argumentierte mit “Nein” und erklärte auch warum, der Nabu Sachsen gab sein “Einverstanden”, das Umweltamt stimmte dem Neubau eines Bauwerks zu, das für die nächsten Jahrzehnte den Auenwald in der Burgaue weiter vor dem schützt, was er so dringend braucht: regelmäßige Überschwemmungen.Im Juni 2013 entschied das Verwaltungsgericht Dresden nach zwei Jahren reiflicher Überlegung, die Klage des Ökolöwen gegen den “Tornadoerlass” gar nicht erst zu verhandeln. Der Erlass sei eine verwaltungsinterne Angelegenheit und entfalte keine Außenwirkung. Da kamen sich nicht nur die anwesenden Gäste im Gerichtssaal seltsam vor: Wie kann der Erlass, der so ganz offenkundig genutzt wurde, in aller Öffentlichkeit 40 Hektar Auwald zu fällen, nur eine behördeninterne Angelegenheit sein?

Der Ökolöwe ist inzwischen in die nächste Instanz gezogen. Die Klage gegen das SMUL wird jetzt vor dem sächsischen Verwaltungsgericht in Leipzig verhandelt.

Im Juli fragte die Grünen-Abgeordnete Gisela Kallenbach im Landtag nach, wie es denn überhaupt um den Umgang der Staatsregierung mit den Umweltverbänden stünde. Haben auch andere Initiativen und Verbände Grund zur Klage, weil Behörden des Freistaates gegen diverse Vorgaben zum Umweltschutz und zur Beteiligung der Umweltvereine verstoßen? Und zwar explizit in Sachen Hochwasserschutz an den Gewässern 1. und 2. Ordnung, für die der Freistaat zuständig ist und wo er die Steuermillionen der Bürger immer wieder nur für teure technische Anlagen ausgibt, die selbst wichtige Revitalisierungspläne (wie für den Leipziger Auwald) dauerhaft verhindern.

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Von fünf Klagen weiß das SMUL, teilte es im August der Leipziger Grünen-Abgeordneten mit.

Darunter ist auch eine Klage des BUND Sachsen aus dem Jahr 2009 – also noch vor dem so genannten “Tornadoerlass” – bei der EU-Kommission gegen die Baumfällungen auf sächsischen Deichen. Man war also auch schon lange vor dem Winterhochwasser 2011 oder den lokal begrenzten Tornados aus dem Sommer 2010 dabei, die sächsischen Deiche zu entbaumen, selbst dort, wo die alten Baumbestände keine Gefahr darstellten.

Gegen die Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht Dresden ist die Grüne Liga in Berufung gegangen.

Eine zweite Klage der Grünen Liga in Bezug auf die 2011 abgeholzten Leipziger Deiche läuft seit 2012 vor dem Verwaltungsgericht Leipzig. Hier stehen die Leipziger Verwaltungsbehörden im Visier. Denn ob sie dem Verweis der LTV auf den “Tornadoerlass” überhaupt folgen mussten oder gar durften, ist völlig ungeklärt. Denn wenn schon ein simpler Verweis auf diesen Erlass genügt, verantwortliche Naturschutzbehörden zum Abnicken zu zwingen, dann läuft gewaltig was schief im Freistaat Sachsen.

Die Anfrage von Gisela Kallenbach: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12464&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2

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