Wie fühlt man sich, wenn man die erste von drei großen Hürden fast geschafft hat? Ein bisschen durchfroren bestimmt. Denn das Thermometer zeigte zwar 7 Grad Celsius am Dienstagmittag, 16. Dezember, am Bayrischen Bahnhof. Aber der Wind pfiff über den baumlosen Vorplatz und die beiden Stimmensammler Roland Mey und Bernward Rothe hatten gerötete Nasen. Dabei war's das Finish in einem einjährigen Stimmen-Sammel-Marathon.

Seit Monaten sind sie mit ihrem Stand in den kleinen und großen Städten im Raum Halle/Leipzig unterwegs, um Unterschriften zu sammeln. Ihr Ziel: ein Volksentscheid zur Fusion der drei eher leistungsschwachen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu einem großen Bundesland, das seine Kräfte bündelt und wenigstens mit Bundesländern wie Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz mithalten kann. Die Idee beschäftigt immer wieder auch Politiker. Doch regelmäßig scheitern sie an den eigenen Denkbarrieren und Hürden – selbst bei so simplen Themen wie der gemeinsamen Beschaffungspolitik. Wenn es tatsächlich um Gemeinsames geht, wird gemauert.

Dabei liegt die Idee auf der Hand. “Das hatte ich schon im Geschichtsunterricht”, erzählt der Rechtsanwalt Bernward Rothe, geboren in Bonn, 1991 aus dem Rheinland nach Halle an der Saale gewechselt, Mitglied im Landtag von Sachsen-Anhalt. “Mein Geschichtslehrer hat uns noch darauf hingewiesen, dass hier in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mal das Herz der deutschen Wirtschaft lag.”

Davon sieht man heute nur noch einen schönen Schein. Drei Landesregierungen verleppern sich im Klein-Klein, die sächsische Landesregierung redet lieber mit der braunkohleverliebten SPD-Regierung in Brandenburg als mit den armen Schluckern in Sachsen-Anhalt oder den neuen roten Teufeln in Thüringen. Eine provinzielle Politik macht fast unkenntlich, welche Potenziale in diesem alten, einst kompakten Wirtschaftsraum stecken. Dem oft nur eines fehlt: einheitliche Regeln für alle.

Das wirkt gerade in Zeiten von TTIP geradezu vorzeitlich. Wenn TTIP kommt, ist es leichter, Wirtschaftsbeziehungen in die USA zu unterhalten als ins nächste Bundesland. Unternehmen wissen ein Lied davon zu singen über den Hindernislauf zu unterschiedlichen Behörden, die unterschiedlichen Verwaltungsvorschriften, Regeln und Gesetzesauslegungen, die Förderbedingungen, die nicht zueinander passen und die Eifersüchteleien, die schon zwischen benachbarten Städten und Kreisen herrschen. Alle drei Bundesländern zerleppern ihre Kraft, ihr Geld und ihre Ressourcen in abgrenzenden Eitelkeiten. Und machen sich damit erst recht klein im Standortwettbewerb um Investoren, im Gerangel mit dem Bund, wenn es um die Finanzierung von wichtigen Infrastrukturen geht, selbst in der Schaffung von Chancengleichheit für die eigene Bevölkerung. Jüngstes Beispiel ist die nicht abgestimmte Hochschulpolitik in allen drei Ländern, jedes hat ein eigenes Sparkonzept entwickelt, keines redet mit dem anderen darüber. Synergien entstehen nicht.

Die einzige Chance, die diese Region hat – so sehen es Rothe und Mey – ist eine Länderfusion zu einem einheitlichen Bundesland, das auch aus einer Hand regiert wird.

Dazu wollen sie einen Volksentscheid.Aber auch da ist man mitten in der deutschen Politik: Die Hürden für einen Volksentscheid sind so hoch, dass selbst ein Zustandekommen fast unmöglich ist. Das liegt gar nicht mal an Stufe eins: dem Sammeln von genügend Unterschriften, um ein Amtseintragungsverfahren in die Wege zu leiten. So heißt das Wortungetüm – und mit Bürokratie hat es auch zu tun.

Um dieses Verfahren einzuleiten, braucht es – heruntergerechnet auf den Ballungsraum Leipzig/Halle – rund 7.000 Unterschriften. “Die haben wir zusammen”, sagt Rothe. Tatsächlich haben Mey und Rothe in unzähligen Stand-Aktionen und Briefkasten-Verteilungen schon mehr gesammelt. Sicherheitshalber, betonen sie. Denn die Unterschriftenlisten müssen nun von den Kommunen geprüft werden, ob auch alle Unterschriften gültig sind. Da können auch wieder Unterschreiber rausfliegen, weil sie verzogen sind und die Adresse nicht mehr stimmt. Deswegen haben Mey und Rothe lieber ein paar hundert Stimmen mehr gesammelt. Wenn ihnen die Behörden im Januar 2015 die Richtigkeit der Listen und die genügende Anzahl der Unterschriftsleister bestätigen, dann können sie mit dem Listenpaket beim Bundesinnenminister vorstellig werden und die Amtseintragung beantragen.

Was an dieser Stelle noch nicht die Hürde ist, betont Rothe. Mit dem Okay des Innenministeriums rechnet er. Aber danach wird es ganz schwer, denn um einen Volksentscheid zustande kommen zu lassen, müssen während der Amtseintragung mindestens 10 Prozent der Wahlberechtigten ihre Unterschrift leisten. Schon das eine sehr hohe Hürde, die noch dadurch verschärft wird, dass dafür nur 14 Tage Zeit vorgesehen sind. Die zehnfache Zahl an Unterschriften in nur 14 Tagen und das auch noch direkt in den örtlichen Behörden – an solchen Verfahren sind auf viel niedrigerem Niveau in Leipzig schon reihenweise OBM-Kandidaturen gescheitert. Das braucht eine gewaltige Marketing-Aktion. Die Politiker, die sich diese Hürde ausgedacht haben, haben sich schon was gedacht dabei. Von Volksentscheiden haben sie nicht viel gehalten.

Und erst wenn bei dieser Amtseintragung die nötigen 10 Prozent zusammenkommen, dann geht es in die eigentliche Runde: den Volksentscheid, der möglichst direkt mit einer der kommenden Wahlen gekoppelt werden sollte. 2017 zum Beispiel.

Aber Berndward Rothe weiß, wie hoch die Hürde Amtseintragung ist. Schon 2013 hat er in einer Petition an den Bundestag beantragt, die Frist für die Amtseintragung von 14 Tage auf sechs Monate zu verlängern. Dass es gelingen kann, bei einer Amtseintragung die nötigen Prozente zusammen zu bekommen, hat Bayern schon mehrfach vorgemacht. Dort hat man schon so etwas wie eine ausgeprägte Volksentscheid-Kultur. So wurden die Studiengebühren per Volksentscheid gekippt, während für die beantragte Wahlfreiheit zwischen acht- und neunjährigem Abitur nur 3 Prozent der Wahlberechtigten ihre Unterschrift leisteten. Nicht jedes Thema funktioniert immer.

Wie die Stimmung für eine Länderfusion in Mitteldeutschland ist, weiß niemand. Deswegen möchten Rothe und Mey den Volksentscheid gern mit einer Volksbefragung koppeln, bei der auch Varianten angestimmt werden sollen. Es könnte ja sein, dass die Sachsen-Anhalter lieber mit Brandenburg fusionieren würden und ein paar Thüringer mit Franken.

Aber was passiert, wenn die Hürde 10 Prozent bei der Amtseintragung nicht genommen wird?

“Dann werde ich eine Petition direkt an den Bundestag schreiben”, sagt Rothe. “Denn nach dem Grundgesetz steht es in der Befugnis des Bundestages, selbst eine Neugliederung der Länder vorzunehmen.” Das stehe sowieso auf der Tagesordnung, seit auch in Frankreich intensiv über die Verringerung der Zahl der Regionen von derzeit 22 auf 15 oder 13 diskutiert wird. Und die Diskussion der Neugliederung der Bundesländer wurde ja jüngst auch erst durch das Saarland neu angefüttert. Es wäre auch ein Schritt zu etwas weniger Kleinstaaterei und dafür zu einer größeren Ausgeglichenheit zwischen den Bundesländern, wo heute die kleinen und eher schwachen Bundesländer zumeist am Katzentisch sitzen, während die Riesen wie Bayern einfach durch die Bundespolitik poltern und allen anderen ihren Willen aufdrängen.

Ob sie sich das weiter gefallen lassen wollen, müssten die Wahlberechtigten in Mitteldeutschland eigentlich auch selbst bestimmen können. Ein Volksentscheid wäre die beste Form dafür. “Und eine Fusion der drei Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen halte ich eindeutig für die beste Variante”, sagt Rothe.

www.volksbegehren-mitteldeutschland.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar