Nicht nur das Klima verändert sich. Auch Städte müssen sich verändern. Das ist eigentlich kein neues Thema. Aber nachdem es jahrelang immer nur auf Stadtratsebene köchelte, ist es 2016 endlich auf die Stufe der Bürgerbeteiligung gehoben worden: Am 19. April fand das erste Leipziger Stadtbaum-Forum statt, am 11. Juni gab es die erste Straßenbaum-Werkstatt. Im Herbst bekommt Leipzig ein Straßenbaum-Konzept.

Dass Leipzig mit seinen Bäumen ein Problem hat, wurde auch im letzten Halbjahr wieder sichtbar: Auf zahlreichen Brachen und in Innenhöfen setzten Grundstücksbesitzer die Säge an, fällten hunderte Bäume, die bislang oft die wichtigste Grüninsel in den Straßen gewesen waren. Seit 2012 gilt das sächsische „Baum-ab-Gesetz“. Das hat Leipzig schon tausende Bäume gekostet, die auf Privatgrundstücken standen. Aber kann das die Stadt ausgleichen mit mehr Grün in den Straßen?

Das ist das Dauerthema im Stadtrat, der die Verwaltung eigentlich verpflichtet hat, jedes Jahr 1.000 zusätzliche Straßenbäume zu pflanzen. Die würde ja gern pflanzen, bestätigte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am Montag, 27. Juni, als er den Stand der Bürgerbeteiligung zum Straßenbaumkonzept vorstellte. Doch dazu reichen die bereitgestellten 500.000 Euro im Jahr nicht aus. Man schafft damit zwar in manchen Jahren mehr als 1.000 Bäume zu pflanzen – aber da auch alte und kranke Bäume gefällt werden müssen, bleiben am Ende deutlich weniger zusätzliche Bäume übrig.

Im Schnitt pro Jahr 400, stellte Rüdiger Dittmar, Leiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, fest.

Auf die Frage, wie viel Geld das Amt eigentlich brauchte, um die auch im Luftreinhalteplan verankerte Zahl von 1.000 zusätzlichen Straßenbäumen zu schaffen, hielt sich Heiko Rosenthal lieber zurück. Aber der Betrag wird wohl mindestens bei 1 Million Euro liegen.

Und dass der Bedarf nach mehr Straßengrün wächst, wurde auch beim Forum und in der Werkstatt deutlich. „Diesmal haben wir von vornherein so gearbeitet, dass der Prozess offen ist“, betont Fritjof Mothes vom Büro StadtLabor, das die Bürgerbeteiligung organisiert. Heißt: Die Stadt ist nicht mit einem fertigen Konzept in die Beteiligung gegangen, sondern die Bürger selbst konnten ihre Ideen und Vorschläge einbringen. Der Ökolöwe allein hatte schon 430 Vorschläge zu neuen Baumstandorten eingebracht. Weitere kamen von den Teilnehmern der Werkstatt.

Das neue Baumkataster auf dem Online-Stadtplan der Stadt Leipzig. Screenshot: L-IZ
Das neue Baumkataster auf dem Online-Stadtplan der Stadt Leipzig. Screenshot: L-IZ

 

 

Deutlich wurde, so Dittmar, dass auch die Leipziger selbst das Thema Straßenbaum sehr komplex sehen – dass sie die wichtige Rolle der Bäume für die Luftreinheit und die Kühlung der Stadt sehen, wurde im Workshop deutlich. Vielleicht sehen viele nicht einmal ihre wichtige Rolle für die Artenvielfalt, denn erst wenn Straßenbäume dastehen, gibt es überhaupt Lebensraum für zahlreiche Tierarten mitten „in der steinernen Stadt“, wie Dittmar betont. Die Leipziger erleben das meist sehr emotional – Bäume wirken auf das Wohlbefinden und tragen zur Ästhetik von Straßen und Plätzen bei. „Sie sollten mal erleben, wenn ein Baum gefällt wird, was für ein Betrieb dann bei uns ausbricht“, deutet Rosenthal die oft hochemotionalen Reaktionen der Leipziger an.

Da streitet niemand mehr darüber, ob an den Straßen überhaupt Bäume stehen sollen. Im Gegenteil: Bürger wie Umweltdezernat treffen sich in der Meinung, dass Leipzig deutlich mehr Straßenbäume braucht. Und das nicht nur in Straßen, wo es noch leere alte Baumscheiben gibt, sondern auch in Straßen, in denen noch nie ein Baum gestanden hat.

Aktuell stehen in Leipzig 60.913 Straßenbäume. Die Zahl ist in den letzten Jahren – trotz zu knapper Gelder – stetig gestiegen. Beigetragen hat dazu auch die Spendenaktion „Baumstarke Stadt“, bei der Bürger mit 250 Euro zum Paten eines neuen Baumes werden können. „Soweit ich das sehe, ist die Beteiligung der Leipziger an dieser Aktion deutschlandweit einzigartig“, sagt Dittmar. Auch wenn die Summe nur einen Teil der Kosten deckt: Die Pflanzung eines einzelnen Straßenbaumes kostet eher 1.000 Euro, betont Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal.

Trotzdem landen die Vorschläge der Bürger jetzt nicht in der Ablage. Es soll ein richtiges Straßenbaumkonzept daraus entstehen – erst einmal noch bearbeitet vom Stadtlabor, das das Konzept dann im Oktober/November noch einmal in einer großen öffentlichen Veranstaltung vorstellen möchte. Danach soll es zum Handlungsprogramm fürs Umweltdezernat werden. „Arbeitsinstrument“, sagt Rosenthal.

Und auch Dittmar deutet an, dass man die Vorschläge ernst nehmen will. „Wir werden dann alle Straßen darauf hin durchkämmen, ob dort eine Baumpflanzung so möglich ist oder nicht“, sagt er. Er benutzt auch das Wort „durchscannen“. Denn das Amt für Grünflächen und Gewässer kann nicht einfach drauflos pflanzen, wo es will. Um Bäume in Straßenräumen unterzubringen, wo sie bislang nicht zu finden waren, muss das in der Regel mindestens mit der Straßenbehörde abgestimmt werden, meist auch mit den Besitzern der ganzen Versorgungsleitungen im Untergrund – Wasser, Fernwärme, Strom, Kommunikation. Und wenn man das alles hat, könne man die Straßen „typisieren“, sagt Dittmar. Je nach Typisierung wäre dann auch für die Stadtplanung nachweisbar, in welcher Weise welche Straße für Bepflanzung geeignet ist.

Dann kann diese Vorlage auch aus der Schublade geholt werden, wenn eine Straße zur Sanierung ansteht.

Oder ob man wirklich völlig neue Wege geht und zum Beispiel die im Stadtgebiet existierenden Kreuzungen, die manchmal viel zu groß dimensioniert sind, mit neuen Bauminseln versieht und die Autos mal im Kreisverkehr fahren lässt.

Den Montag nutzte Heiko Rosenthal auch dazu, das neu implementierte Baumkataster der Stadt vorzustellen. Das haben die Mitarbeiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer in den offiziellen Online-Stadtplan der Stadt eingebaut. Den findet man unter http://stadtplan.leipzig.de. Dort klickt man unter „Ansicht“ die Rubrik „Park- und Straßenbäume“ an und sieht: 100.000 Bäume auf Straßen und in Parks, jeder einzelne als grüner Punkt dargestellt, jeder einzelne anklickbar.

Die 61.000 Straßenbäume sollen schon alle drin sein, sagt Dittmar. Die Bäume in den Parks sind erst zur Hälfte erfasst.

Aber der Rest komme noch, man sei dabei, so Dittmar. Dann sind zumindest alle Bäume auf städtischem Grund erfasst und die Leipziger selbst können sehen, wie es um ihre Bäume steht. Und ab und zu wird dann auch mal ein ganzer Straßenzug mit neuen Bäumen dazu kommen, wenn das Straßenbaumkonzept umgesetzt wird. Vielleicht mit ein, zwei Modellprojekten, die zeigen, wie sich Straßen mit Bäumen verändern.

Erlebt haben es die Leipziger ja schon: Dittmar zeigt zu gern die Kurt-Eisner-Straße in ihrem kahlen Zustand in den 1990er Jahren – und in ihrer deutlichen Veränderung nach den Baumpflanzungen 1999 im Ostteil und 2003 in ihrem Westteil. Die Leipziger konnten also miterleben, wie sich eine Straße durch Bäume völlig verändert. Logisch, dass sie davon noch mehr wollen. Es ist ja nicht nur Lebensqualität, es ist auch das so wichtige Gefühl, in einer gesunden und lebenswerten Stadt zu leben.

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