Da war Sachsens Wirtschaftsminister sich gleich ganz sicher: Wenn mehr Leute nach Sachsen ziehen, als wegziehen - dann liegt das an der tollen sächsischen Wirtschaft. War tatsächlich so: Der Freistaat Sachsen hatte 2011 - erstmals seit 1997 - einen positiven Wanderungssaldo. Das scheint sich auch im Jahr 2012 fortzusetzen. Im Januar wurde ein Plus von 242 gezählt.

Im zurückliegenden Jahr verzeichnete das Statistische Landesamt einen positiven Wanderungssaldo von 3.652 Einwohnern. 2010 war es noch ein Minus von 3.555 gewesen. In elf von zwölf Monaten war der Wanderungssaldo gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat positiv. Zum Vergleich: Ende der 1990er Jahre lag der Wanderungssaldo in der Spitze noch bei mehr als minus 23.000.

“Ich freue mich über den vielversprechenden Zuwanderungstrend, der sich dieses Jahr fortsetzt. Immer mehr Sachsen zieht es zurück in den Freistaat, weil Sachsen zunehmend ein attraktiver Ort zum Leben und Arbeiten ist”, versucht der Sächsische Wirtschafts-, Arbeits- und Verkehrsminister Sven Morlok (FDP) sich die Zahlen zu erklären. Irgendwie muss das doch mit seiner Arbeit zusammenhängen.

Der sächsische Arbeitsmarkt sei derzeit sehr aufnahmefähig und der Bedarf an Fachkräften werde weiter zunehmen. Sven Morlok: “Wir verzeichnen deutschlandweit den stärksten Rückgang der Arbeitslosenzahlen und einen stetig steigenden Bedarf an Fachkräften. Unsere stabilen politischen Rahmenbedingungen sind die Garantie dafür, dass immer mehr Menschen sich für Sachsen als Arbeits- und Wohnort entscheiden können.”

Da wird so mancher Sachbearbeiter im Statistischen Landesamt geschluckt haben. Denn dass der sächsische Arbeitsmarkt so aufnahmefähig ist, hat ja eher nichts mit den “stabilen politischen Rahmenbedingungen” zu tun, die so stabil gar nicht sind, seit der Kürzungswahn die Regierung im Kreisel dreht, sondern einen ganz besonderen Grund: Die Ankunft der geburtenschwachen Jahrgänge von 1993 ff. auf dem Arbeitsmarkt.

2008 betrug die Jahrgangsstärke der 10- bis 20jährigen noch 51.711, ein Jahr später waren es noch 48.401, 2010 rutschte dieser Jahrgang auf 31.225 zusammen, 2011 dann auf 25.426. Binnen dreier Jahre hat sich die Zahl der Jugendlichen, die in die Berufsausbildung drängen, sichtlich halbiert. Seit zwei Jahren signalisieren die Unternehmen landauf, landab, dass ihnen die Bewerber auszugehen drohen.Dass Sachsen jetzt ein Zuwanderungsplus hat, hat eher weniger mit dem Zuwanderungstrend zu tun. Denn die Zuwanderung erfolgt in erster Linie wegen Studium und Ausbildung. Die jungen Sachsen sehen sich aber immer weniger in der Not, das Land verlassen zu müssen, um einen Lebensunterhalt zu finden. Sie können da bleiben. Die Zahl der Wegzüge sinkt also seit 2008 wieder.

Und die sächsische Staatsregierung wäre gut beraten, beide Trends deutlich auseinanderzuhalten. Denn die Zuwanderung – vor allem in den Bildungsstandort Sachsen – ist das einzige Plus, das derzeit zwei Kernregionen im Freistaat wachsen lässt: die Großstädte Dresden und Leipzig.

An Wachstum aus eigener Kraft ist dabei noch gar nicht zu denken, denn trotz gestiegener Geburtenzahlen ist der Saldo aus Geburten und Sterbefällen weiterhin negativ. Es wurden auch 2011 16.971 weniger Kinder in Sachsen geboren, als Menschen gestorben sind. Macht am Jahresende ein Minus von 13.319. Freilich das geringste Minus in den letzten Jahren und eben auch deshalb so gering, weil immer weniger junge Menschen auf der Suche nach ihrer Berufszukunft den Freistaat verlassen müssen.

Die eigentliche Hausaufgabe aber lautet: Wie können all jene für eine Berufskarriere befähigt werden, die jetzt im sächsischen Bildungssystem noch immer ohne Abschluss bleiben? Immerhin jeder zehnte Schüler.

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