"Studie" um "Studie" legten in der letzten Zeit diverse Parteien und Institute vor, um zu beweisen, dass der von Gewerkschaften und Bundestagsopposition geforderte Mindestlohn Arbeitsplätze gefährde, gar dem Sozialstaatsprinzip zuwiderlaufe und sowieso die Wirtschaft gefährde. Aber all diese "Studien" leiden in der Regel daran, dass sie davon ausgehen, dass das Geld einfach verschwindet, wenn es die Niedriglöhner in die Hände bekommen.

Dass gerade all jene, die wenig verdienen, das Geld in der Regel schneller wieder ausgeben als all jene, die sowieso schon über Millionen verfügen, blenden sie völlig aus. Denn eine so gern vergessene Wahrheit der Apostel der reinen Marktwirtschaft ist: Ohne Konsumenten gibt es keinen Markt. Und jeder Lohnempfänger ist ein Konsument. Vielleicht nicht für Luxusautos, Yachten und Villen auf Ibiza.

Aber schon die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro in Deutschland würde die Kaufkraft in der Bundesrepublik jährlich um 19,1 Milliarden Euro erhöhen, hat das Pestel Institut ausgerechnet. Und wenn man das auf Leipzig herunterrechnet, bleiben immer noch 132,5 Millionen Euro zusätzliche Kaufkraft über.

Kaufkraft bei Menschen, die mit den Worten der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di “im Job alles geben – und trotzdem wenig dafür bekommen”.

In Leipzig arbeiten rund 79.240 Menschen für einen Niedriglohn. Sie verdienen weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Das ist das Teil-Ergebnis der Studie vom Pestel-Institut in Hannover. Die Wissenschaftler haben darauf aufbauend für Leipzig untersucht, welche positiven Effekte ein gesetzlicher Mindestlohn für die heimische Wirtschaft hätte: “Die Kaufkraft in Leipzig würde um 132,5 Millionen Euro pro Jahr steigen. Vorausgesetzt, jeder Beschäftigte verdient künftig mindestens 8,50 Euro pro Stunde”, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut. Der Leiter der Mindestlohn-Studie erwartet, dass der Zuwachs an Kaufkraft nahezu eins zu eins in den Konsum gehen würde.

Für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind die Ergebnisse der Studie ein klares Argument für die sofortige Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro. Beide Gewerkschaften hatten die Untersuchung in Auftrag gegeben. “Wer den ganzen Tag arbeitet, muss mit dem, was er verdient, auch klarkommen können. Das klappt aber nicht, wenn Dumpinglöhne gezahlt werden. Und ein Dumpinglohn ist alles unter 8,50 Euro pro Stunde”, sagt die Geschäftsführerin des ver.di-Bezirks Leipzig/Nordsachsen, Ines Jahn.Niedriglöhner seien gezwungen, kürzer zu treten und Verzicht zu üben. “Sie können am Leben nicht richtig teilnehmen. Das fängt schon beim Bus- und Bahnticket an. Für Ausflüge und selbst für Verwandtenbesuche reicht das Geld oft nicht. Genauso wie fürs Kino oder Schwimmbad”, sagt Ines Jahn. Ein Niedriglohn bedeute automatisch “eine Lebensqualität dritter Klasse”.

Das zeige sich ganz besonders beim Einkauf: “Wer von einem Niedriglohn lebt, für den sind die Käse- und die Frischfleischtheke im Supermarkt tabu. Bei Lebensmitteln kommen dann nur Sonderangebote und Billigprodukte in Frage. Am besten reduzierte Ware: Zweite-Wahl-Produkte oder Sachen kurz vor dem Ablaufdatum. Geringverdiener sind gezwungen, jeden Cent zweimal umzudrehen”, sagt der Geschäftsführer der NGG-Region Leipzig/Halle/Dessau, Jörg Most.

NGG und ver.di werfen Lohndumping-Arbeitgebern vor, sie würden sich ihre “Geiz-Löhne” vom Steuerzahler subventionieren lassen. “Nämlich dann, wenn Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeit- oder Vollzeitjob haben, aber so wenig verdienen, dass der Staat mit Hartz IV drauflegen muss. Das ist dann quasi staatlich subventioniertes Lohndumping. Solche Arbeitgeber sind schlichtweg unanständig”, so Jörg Most.

Heftige Kritik üben ver.di und NGG an der schwarz-gelben Bundesregierung: “CDU/CSU und FDP sind die ?Mindestlohn-Bremsen’. Die Wahrheit ist, beide – Union und Liberale – wollen keinen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Vor der Bundestagswahl nicht. Und nach der Bundestagswahl erst recht nicht”, sagt ver.di-Bezirksgeschäftsführerin Ines Jahn. Das von Teilen der schwarz-gelben Koalition geforderte Modell, für unterschiedliche Regionen und unterschiedliche Branchen unterschiedliche Mindestlöhne einzuführen, sei eine “Farce und von vornherein zum Scheitern verurteilt”. Dies komme einem “Lohn-Flickenteppich” gleich und sei “reine Augenwischerei”.

“Kein Mensch wird eine ?Republik der 1.000 Mindestlöhne’ je überblicken, geschweige denn kontrollieren können. Ganz abgesehen davon, dass viele Unternehmer nicht einmal bereit sein werden, sich mit den Gewerkschaften an einen regionalen Verhandlungstisch zu setzen”, so Jörg Most von der NGG-Region Leipzig/Halle/Dessau. Damit sei klar, dass dies sogar zu einem “Mindestlohn-Flickenteppich mit vielen Löchern” führen werde. NGG und ver.di appellieren an alle Beschäftigten, die in Leipzig zu einem Niedriglohn arbeiten, diesen online beim Dumpinglohnmelder (www.dumpinglohnmelder.de) anzuzeigen. Die beiden Gewerkschaften wollen so noch vor der Bundestagswahl die “Deutschland-Billiglohn-Landkarte” vervollständigen.

www.dumpinglohnmelder.de

www.verdi.de/themen/nachrichten/++co++f0d646de-e89b-11e2-b056-5254008a33df

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