Man vergisst es ja so leicht. Arbeitsagentur und Jobcenter sind keine Einrichtungen, die dazu da sind, Menschen möglichst professionell in eine bezahlte Arbeit zu vermitteln, sondern Verwaltungsbehörden, die ihre Rechtfertigung durch zahlenmäßig nachweisbare bürokratische Abläufe zu erbringen haben. Deswegen sind Integrationen keine Integrationen und Abgänge erstaunlicherweise etwas Positives, was Paul M. Schröder mal wieder sauber aus den Statistiken der Arbeitsagentur herausklamüsert hat.

Es gibt zwar ein paar Kollegen im medialen Bereich, die davor warnen, immer wieder Orwells “1984” zu zitieren. Aber um die Prozesse zu verstehen, die hier im Gang sind, muss man es tun und auch immer wieder auf George Orwells geniale Konstruktion des Neusprechs (newspeak) kommen. Die aus Orwells Perspektive natürlich eine Dekonstruktion dessen war, was im damaligen Stalinismus Methode war. Vom Doppeldenk bis hin zum Doppelplusgut und dem Quaksprech. Nur dass es eben nicht nur Wahrheitsministerien oder Propagandaministerien sind, die diese Methoden beherrschen. Es gibt eine ganze Menge Institutionen und Unternehmen mehr, die über die Verschleierung von Sprache und Sprechweisen Macht ausüben. Nicht nur Geheimdienste. Auch so scheinbar simple Behörden wie die Arbeitsämter, die mit ihrer offiziellen Umtitulierung zu Arbeitsagenturen und Jobcentern quasi vor aller Augen die Camouflage vollzogen.

Und das ist bis in die Benennung dessen erfolgt, was man als Arbeitsbeschreibung monatlich nach außen gibt – ein Zahlenmaterial, zu dem man den richtigen Code braucht, um es überhaupt noch entschlüsseln zu können. So wie früher beim Lesen des “ND”. Mit dem Begriff Integrationen geht es los. Er bedeutet nicht, was der Mensch so landläufig darunter versteht.

Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) hat sich jetzt die Integrationszahlen von 2013 einmal vorgenommen.

“Im Rahmen des sogenannten ‘Kennzahlenvergleichs’ der Jobcenter (§ 48a SGB II) wurden von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit für 2013 insgesamt 1,076 Millionen ‘Integrationen’ gezählt, darunter 923.000 in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (ohne ‘öffentlich geförderte Beschäftigung’). Dies waren über 54.000 ‘Integrationen’ weniger als 2012 bzw. 195.000 weniger als 2011. Der in den Jahren 2012 und 2013 registrierte Rückgang der Zahl der ‘Integrationen’ betraf nahezu ausschließlich die ‘Integrationen’ in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Deren Zahl sank von 2011 bis 2013 um 194.000.”

Aber wie gesagt: es sind “Integrationen”. Oder mit Paul M. Schröder zu sprechen: “Sogenannte Integrationen”. Der Begriff muss demontiert werden, sonst macht er keinen Sinn.

Paul M. Schröder: “Der Aussagegehalt der Kennzahl K2 (‘Integrationsquote’) und der dieser Kennzahl zugrunde liegenden Jahressumme der ‘Integrationen’ wird nicht selten falsch und irreführend dargestellt: Nicht selten vergessen wird der statistische Hinweis: ‘Die Kennzahl gibt … nicht wieder, wie viele verschiedene Personen im vergangenen Jahr in ein Beschäftigungsverhältnis (oder eine Ausbildung oder selbständige Tätigkeit; der Verfasser) integriert wurden, sondern die Anzahl der Integrationen bezogen auf den durchschnittlichen Bestand an erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.’ – In der einschlägigen Rechtsverordnung zur Festlegung der Kennzahlen nach § 48a SGB II heißt es: ‘Für jeden Bezugsmonat wird für einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nur eine Integration gezählt.’ Und daraus folgt: ‘Deshalb ist es denkbar, dass – statistisch betrachtet – ein und dieselbe Person bis zu zwölf Mal pro Jahr in ein Beschäftigungsverhältnis integriert wird.'”
So sieht das Paragraphenmaterial aus, mit dem die deutsche Arbeitslosenstatistik unterfüttert ist. “Es ist denkbar …” Die Schwammigkeit ist System. Man bekommt eine gewaltige Zahl von Integrationen. Diverse Medien verbreiten diese verblüffende Arbeitsleistung auch noch. Und die Verbreiter merken nicht einmal, dass in der Zahl nicht viel mehr steckt als heiße Luft. Oder laue Aktenluft.

Paul M. Schröder: “Eine Gleichsetzung von ‘Integrationen’ mit ‘Vermittlungen’ im Sinne der amtlichen Statistik oder gar mit ‘Vermittlungen von Arbeitslosen’ ist jedoch absolut falsch, wie ein Blick in die Eingliederungsbilanz des Jahres 2011 zeigt, und zudem geschichtsvergessen: Laut Eingliederungsbilanz gemäß § 54 SGB II wurden 2012 von den Jobcentern insgesamt 106.437 ‘Abgänge’ (von Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II) in Beschäftigung durch Vermittlung (nur ungefördert)’ gezählt – bei insgesamt 1,130 Millionen gezählten ‘Integrationen’ im Sinne des ‘Kennzahlenvergleichs’ gemäß § 48a SGB II.”

Und auch in diesen 106.437 “Abgängen” muss nicht unbedingt stecken, was sich der Arbeitsuchende davon verspricht. Denn auch hier achten weder Arbeitsagentur noch Jobcenter darauf, dass das Ergebnis dem Vermittelten tatsächlich ein auskömmliches Einkommen beschert.

Paul M. Schröder zu den Einschränkungen an dieser Stelle: “Auch die folgenden Hinweise der Statistik der Bundesagentur für Arbeit werden häufig vergessen: ‘Eine Integration in ein Beschäftigungsverhältnis oder eine Ausbildung oder in eine selbstständige Erwerbstätigkeit muss nicht zwangsläufig einen Abgang aus der Hilfebedürftigkeit zur Folge haben, da möglicherweise nicht unmittelbar oder kein bedarfsdeckendes Einkommen erzielt werden kann.’ Und: ‘Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Kennzahl nicht abbildet, wie viele erwerbsfähige Leistungsberechtigte dauerhaft in ein Beschäftigungsverhältnis oder selbstständige Erwerbstätigkeit integriert wurden.’ – Und nicht abgebildet wird auch die Höhe des Arbeitsentgelts, die Arbeitszeit und ob die Beschäftigungsverhältnisse der Qualifikation der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten entsprechen.”

Und ganz beiläufig stellt er fest, dass die Bundesarbeitsagentur nun nach seiner deftigen Kritik vom 21. Mai 2013 eine Behauptung aus ihrem Material gestrichen hat, weil sie schlicht und einfach falsch war: “Es werden ausschließlich solche Integrationen in Erwerbstätigkeit erfasst, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass Hilfebedürftigkeit auch längerfristig überwunden werden kann.”

Denn was man nicht registriert und kontrolliert, kann man nicht erfassen.

Das schlichte Ergebnis: Das Verhältnis von “Integrationen” zu “Abgängen” in eine Erwerbstätigkeit beträgt ungefähr 10,6 : 1. Und nicht jeder “Abgang” mündet in eine Beendigung der Hilfsbedürftigkeit.

Und was heißt das jetzt fürs Jobcenter Leipzig? – 2013 hat es 8.977 “Integrationen” gemeldet, davon 7.823 in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Da nicht anzunehmen ist, dass in Leipzig andere Zählregeln gelten als in den anderen Jobcentern der Republik, kann man die 8.977 ohne Bauchschmerzen durch 10,6 dividieren und bekommt dann so ungefähr die Zahl tatsächlicher “Abgänge” aus dem Jobcenter Leipzig in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Lauf des Jahres: 847.

Wohlgemerkt: Auch das eine Zahl mit Einschränkungen. Das können dann immer noch “Aufstocker” sein oder Leute, die nach drei oder sechs Monaten in einer Saisonarbeit zum Jobcenter zurückkehren usw.

Die Zahl der im Bereich SGB II im Jobcenter Leipzig gezählten Arbeitslosen sank von Dezember 2012 bis Dezember 2013 von 22.675 auf 22.068. Das könnte also ungefähr hinkommen, auch wenn man bedenkt, dass ältere Arbeitslose im Lauf des Jahres auch in den Ruhestand “abgehen”.

Die kompletten Ausführungen und Tabellen des IBAJ:
http://biaj.de/images/stories/2014-05-09_sgb2-integrationen-2013-2012-2011.pdf

Wikipedia zum Neusprech:
http://de.wikipedia.org/wiki/Neusprech

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