Die Töne aus der Leipziger Arbeitsagentur hätten längst andere sein müssen. Wenn es so etwas Ähnliches wie eine Arbeitsagentur wäre und das Jobcenter seinen Namen verdient hätte. Aber dazu müssten auch die verantwortlichen Politiker begreifen, dass man Menschen, die man eigentlich in den Arbeitsmarkt bekommen möchte, nicht sanktioniert. Schon gar nicht in Leipzig. Nein, heute geht es mal nicht um Sanktionen.

Auch nicht um die ausufernde Bürokratie in den beiden Behörden, deren Job es eigentlich sein sollte, die schwer Vermittelbaren zu beraten, zu qualifizieren, zu vermitteln.

Das kann man flankieren mit einer realistischen Analyse des Arbeitsmarktes, wenn man das Ding schon so nennen will. Dazu gehört eben nicht nur das einfache Zählen von gemeldeten freien Stellen. Das kann auch der Hausmeister machen. Das ist keine Analyse.

Aber zwischen denen, die für gewöhnlich Arbeitsplätze als frei melden – der so genannten “Wirtschaft” – und dem bürokratischen Moloch, den die Politik als Arbeitsagentur / Jobcenter installiert hat, klafft ein Grand Canyon. Die einen rufen – in Teilen zu Recht – nach Fachkräften, die sie nicht mehr oder nur noch schwer bekommen auf dem sächsischen Arbeitsmarkt. Was zu einem gewichtigen Teil an einem Bildungssystem liegt, das größtenteils genauso unsinnig konstruiert ist wie die Arbeitslosenbetreuung. Aber nicht einmal die Rufe der “Wirtschaft”, die nun seit fünf Jahren erschallen, werden erhört. Man wurschtelt weiter im alten Trott.

Und jene 10 Prozent der Nichtausbildbaren – ohne Hauptschulabschluss, mit lauter Frust und Überdruss im Bauch, die landen natürlich auch Sommer für Sommer beim Leipziger Jobcenter. Da steigen dann ein paar Zahlen, weil man diese jungen Menschen nicht unterbekommt – in keiner anspruchsvollen Lehre, in keinem anspruchsvollen Job.

Das klingt dann im Meldungston des Leipziger Jobcenters so: “In den Altersgruppen gab es eine unterschiedliche Entwicklung. Bei den jungen Menschen wuchs die Zahl an, bei den älteren ging sie zurück. So stieg bei den unter 25-Jährigen die Zahl der Arbeitslosen um 418 Personen an, wohingegen sie bei den über 50-Jährigen und um 124 Personen zurückging. So zählte die Statistik im August 2.933 (- 389 im Vergleich zum August 2013) unter 25-Jährige und 8.280 (-282 im Vergleich zum August 2013) Ältere.”

Zu den Älteren kommen wir noch. Bei den Jüngeren dürfte es diesen Anstieg gar nicht geben. Seit 2010 sind die Jahrgänge, die in die Ausbildung kommen, halbiert. Die Unternehmen geben bei jeder neuen Nachfrage der Wirtschaftskammern an: Das Problem spitzt sich immer weiter zu.

Und dann das im August 2014: “Im August gab es in Leipzig noch 776 unversorgte Bewerberinnen und Bewerber um eine Ausbildungsstelle. Demgegenüber stehen 734 unbesetzte Ausbildungsstellen in der Stadt Leipzig.” Mit der Einschränkung: Es sind nur die unbesetzten Ausbildungsstellen, von denen die Arbeitsagentur weiß.

Und die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, Elke Griese: “Das neue Ausbildungsjahr beginnt in Kürze. Ich möchte alle Bewerberinnen und Bewerber, die noch keine passende Lehrstelle gefunden haben, anspornen am Ball zu bleiben, Alternativen mit einzubeziehen, denn es gibt noch freie Lehrstellen.”

Das Ansteigen der Zahlen ist also quasi naturgegeben: “Diese Entwicklung im August ist typisch. Die Hauptursache für dieses Anwachsen der Arbeitslosenzahl liegt in der Altersgruppe bis 25 Jahre. Ganz besonders im Juli und August melden sich viele junge Menschen, die nach der Ausbildung nicht sofort eine Arbeit finden. Daneben gibt es auch noch andere Gründe. In diesen Monaten kommen weniger Einstellungen als in anderen Monaten zustande. Es ist Urlaubszeit, das trifft auch auf viele Personalentscheider zu. Im Saldo also mehr Zugänge in Arbeitslosigkeit als Abgänge”, meint Elke Griese.Irgendetwas stimmt da also nicht: entweder die Meldungen aus der Wirtschaft oder die aus der Arbeitsagentur.

Unsere Vermutung: die aus der Arbeitsagentur können nicht stimmen. Nicht weil man dort mit den Zahlen tricksen würde, sondern weil man das, was eigentlich getan werden müsste, nicht tut und nicht tun kann.

Zum Beispiel jedes Jahr zu ermitteln, welche Vermittlungshemmnisse junge Leute mitbringen und welche Anforderungen die freien Ausbildungs- und Arbeitsplätze eigentlich stellen. Dann kann man nämlich gezielt qualifizieren. Und zwar systematisch.

Und das trifft auch auf all die Personengruppen zu, die da als “Ältere” und “Langzeitarbeitslose” gemeldet werden.

Denn dass die Augustzahlen in Leipzig derart anstiegen, hat nur zu einem Teil mit den jungen Leuten zu tun, die da nun im Reservoir der Betreuten landeten.

Insgesamt waren im August 28.215 Männer und Frauen in Leipzig arbeitslos gemeldet. Im Juli waren es noch 27.600 gewesen. Der Anstieg beträgt 615. Und das war ein Plus von 2,2 Prozent.

Nur zum Vergleich der bundesdeutsche Wert: Der Anstieg um 30.000 registrierte Arbeitslose bedeutet dort ein Plus von 1,0 Prozent. Was da in Leipzig sichtbar wird, ist also eine deutlich höhere Unsicherheit. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die im Sommer reihenweise ihre Arbeitskräfte “freisetzen”, wie das so schön heißt. Das sind meist Leute, die einen dieser schönen modernen Arbeitsverträge haben – befristet auf drei oder auch mal sechs Monate. Im Sommer fällt das dann auf, weil natürlich die meisten Unternehmen in dieser Zeit wirklich Urlaub machen und erst ab September wieder einstellen.

Die Menschen mit diesen schönen modernen Zeitverträgen sind noch zumeist in der Betreuung der Arbeitsagentur, schlagen also im Segment ALG I zu Buche. Dort stieg die Zahl der gezählten Arbeitslosen im August von 6.145 auf 6.445 Menschen.

Im Bereich des Jobcenters stieg die Zahl der als arbeitslos Registrierten von 21.455 auf 21.770 Menschen.

Aber warum fielen dann die Zahlen bei den über 50-Jährigen? Wären sie nicht die prädestinierte Gruppe, die man im Sommer auf die Straße setzen würde? – Nicht wirklich. Tatsächlich zeigen die Arbeitslosenzahlen, dass die sommerliche Entlassungsrunde im Wesentlichen die jüngeren Erwerbstätigen betrifft, die sich mit Zeitarbeitsverträgen durchs Leben hangeln.

Die älteren werden in der Regel von ihren Arbeitgebern im Job gehalten, wenn sie qualifiziertes Personal sind. Die anderen aber entschwinden Richtung Ruhestand aus der Statistik des Jobcenters. Auch jene 124, die für August gemeldet wurden.

Übers Jahr schmolz die Zahl der über 50-Jährigen freilich nur um den Kleckerbetrag von 282 auf nunmehr 8.280. Tatsächlich waren es natürlich deutlich mehr, die in diesem Jahr aus dem prekären Jobcenter-Dasein in ein prekäres Rentnerdasein wechselten. Aber das Reservoir der über 50-Jährigen wurde natürlich wieder angefüllt. Es gibt in Leipzig noch lange keine Wirtschaftsstruktur, die wirklich auch in größerem Umfang Arbeitsplätze für ältere Menschen bereit hält. Gebraucht wird sie dringend. Doch die neuen Arbeitsplätze in Leipzig entstehen vor allem in Branchen, in denen junge, rüstige Menschen gesucht werden – Paketpacker, Flugzeuglogistiker, Pflegekräfte, junges flexibles Callcenter-Personal.

Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit ist deshalb vor allem eines der älteren Arbeitsuchenden.

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen war im zurückliegenden Monat in Leipzig leicht rückläufig. Gegenüber dem Vormonat sank die Zahl um 91 auf 9.224 Personen. Im Vergleich zum August 2013 waren das 208 langzeitarbeitslose Menschen weniger.

Das ist so gut wie nichts. Und das entlastet den Leipziger Haushalt natürlich nicht. Im Gegenteil: Im August stieg die Zahl der Bedarfsgemeinschaften wieder an auf 42.725 – das waren zwar 1.009 weniger als im August des Vorjahres, aber 34 mehr als im Juli. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Jobcenter Leipzig stieg von 53.035 auf 53.134, im August 2013 waren das noch 54.682 gewesen. Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften stieg von 42.691 auf 42.725. Dort wurden 71.221 Personen gezählt. Nur in winzigen Portionen wird dieser Berg im Lauf der Jahre abgetragen. Die hier Betreuten sind diejenigen, die am allerwenigsten vom Abbau der Arbeitslosigkeit in Leipzig profitieren.

Zum statistischen Zähltag im August betrug die Arbeitslosenquote im Agenturbezirk Leipzig nun 10,1 Prozent (Vormonat: 9,8 Prozent). Im August 2013 stand sie bei 10,8 Prozent und noch ein Jahr zurück, im August 2012, stand sie bei 11,6 Prozent.

Der Rest sind natürlich reine Wettereffekte. Oder mit den Worten von Elke Griese: “Der September ist der Monat der beginnenden Herbstbelebung auf dem Arbeitsmarkt. So wird dieser Monat wieder sinkende Zahlen bringen.”

www.arbeitsagentur.de

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