Ganz so war es dann wohl doch nicht gemeint, wie es die Online-Ausgabe der FAZ vermeldet hat: "Migration ist ein Verlustgeschรคftโ. Eine รberschrift, die nicht nur die L-IZ, sondern auch "Spiegel Online" fragen lieร: Ist ifo-Chef Hans-Werner Sinn nun unter die AfD- und Pegida-Befรผrworter gegangen? - Nein, stellt er nun in einem Interview mit "Spiegel Online" fest. Und eigentlich ist Zuwanderung eben doch ein Plus-Geschรคft fรผr die Einwanderungsgesellschaft.
Vielleicht nicht kurzfristig, langfristig aber schon. Denn das Problem der deutschen Zuwanderungspolitik ist: Sie begreift Zuwanderung noch immer nicht als Gewinn fรผr den deutschen Arbeitsmarkt. โSo wie die Migration in Deutschland derzeit lรคuft, ist sie fรผr den Staat ein Verlustgeschรคftโ, sagt Hans-Werner Sinn nun im Interview mit โSpiegel Onlineโ.
Und auf Nachfrage fรผhrt er es auch aus: โDas liegt einfach daran, dass die Migranten im Schnitt nur รผber eine geringe Qualifikation verfรผgen, wenig verdienen und somit von der Umverteilungspolitik des Staates profitieren. Ich sage aber nicht, dass die Migration fรผr das Land insgesamt negativ ist. Neben den fiskalischen gibt es positive volkswirtschaftliche Effekte der Migration, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Die stehen vรถllig auรer Frage.โ
Auf die geringe Qualifikation kommen wir noch.
Aber die โSpiegelโ-Redakteure waren wohl zu recht verunsichert: Stand in der FAZ-รberschrift also etwas anderes, als was Sinn eigentlich wollte?
Es sieht so aus. Denn auf Nachfrage erklรคrt der Volkswirt dann das, was eigentlich selbstverstรคndlich ist, was aber die Darstellung auf FAZ.net augenscheinlich negierte.
Hans-Werner Sinn: โIch sage ganz klar: Es gibt neben den fiskalischen auch die Arbeitsmarkt-Effekte der Migration, und die sind positiv. Grundsรคtzlich erzeugen Migranten mehr Sozialprodukt, als sie selbst an Lohn bekommen. Es kommt deshalb zu einem Realeinkommensgewinn der bereits ansรคssigen Bevรถlkerung in ihrer Gesamtheit. Und ich sage dort auch, dass Deutschland wegen seiner absehbaren Rentenprobleme gar keine andere Wahl hat, als immer mehr Migranten hereinzulassen, wenn es den eigenen Bevรถlkerungsschwund auch nur halbwegs ausgleichen will.โ
Man kann also Zuwanderung nicht nur รผber das Aufrechnen von Sozialabgaben und Sozialkosten (die staatliche Seite der Rechnung) erfassen. Denn wenn Zuwanderer in qualifizierte Arbeit kommen, tragen sie auch รผber das erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt und die ganzen daran hรคngenden Steuerabgaben zum Wohlstand und zur Staatsfinanzierung bei.
Ist nur die Frage: Sind die Zuwanderer nach Deutschland wirklich so schlecht ausgebildet, wie auch Hans-Werner Sinn andeutet und wie im Kommentarfeld der L-IZ argumentiert wird?
Die Zahlen sprechen dagegen.
Wer mag, kann sich ja die ganze Zahlen aus dem Bericht des Bundesamtes fรผr Statistik โBildungsstand der Bevรถlkerungโ mit Stand 2013 durchlesen, wo man neben dem Bildungsstand der Gesamtbevรถlkerung auch den Vergleich zwischen deutscher und auslรคndischer Bevรถlkerung findet. Da bleibt nicht viel รผbrig vom Verdacht, Zuwanderer in die Bundesrepublik hรคtten ein tieferes Bildungsniveau als die einheimische Bevรถlkerung. Einen Unterschied gibt es, der wirklich zu beachten wird. Aber dazu kommen wir gleich.
Beim Hauptschulabschluss sieht es zum Beispiel so aus: Haben 35 Prozent der deutschen Hauptbevรถlkerung einen Hauptschulabschluss als hรถchsten schulischen Abschluss, so sind es bei Auslรคndern 30 Prozent.
Bei Realschulabschluss bzw. Abschluss einer ostdeutschen POS ist das Verhรคltnis 31 Prozent zu 21,5 Prozent.
Hingegen beim hรถchsten schulischen Abschluss, dem Abitur oder der Fachhochschulreife, haben die Auslรคnder die Nase vorn: Knapp 29 Prozent haben diese Hochschulzugangsberechtigung, bei der deutschen Bevรถlkerung sind es knapp unter 28 Prozent.
Dafรผr fรคllt natรผrlich auf, dass 12,8 Prozent der Einwohner mit Migrationshintergrund keinen Schulabschluss besitzen, wรคhrend es in der deutschen Bevรถlkerung nur 1,8 Prozent sind.
Aber auch das liegt nicht am Bildungsniveau der heutigen Zuwanderer, was dann die Tabellen zur Altersstruktur zeigen.
Denn ein Hauptgrund fรผr die hohe Zahl von Migranten ohne Schulabschluss liegt augenscheinlich in der Vergangenheit: Die hรถchsten Werte von รผber 17 Prozent haben nรคmlich die Migranten รผber 60 Jahre, Frauen noch wesentlich stรคrker als Mรคnner. Ein Zeichen dahin, dass man es hier noch mit vielen Zuwanderern aus der Zeit der 1960er und 1970er Jahre zu tun hat, als die deutsche Wirtschaft noch massiv โ meist auch ungelernte โ Arbeitskrรคfte aus der Tรผrkei, Portugal, Jugoslawien usw. anwarb. Sie wurden auch ohne hรถheren Bildungsabschluss gebraucht, um den Arbeitskrรคftebedarf zu decken. Und oft brachten die Mรคnner dann ihre Familien mit โ was dann eben auch viele Frauen aus Gesellschaften betraf, in denen Bildungsabschlรผsse fรผr Frauen nicht die Norm waren.
Der Blick in die Tabelle zeigt, dass der Anteil der Migranten ohne Schulabschluss mit jรผngerem Alter immer weiter sinkt. Bis er bei den ganz jungen im Bereich von 6 Prozent landet.
Und da ist man dann bei einem Effekt, der auch in Sachsens Schulen sichtbar wird, denn gerade beim Besuch der Oberschule (frรผher Mittelschule) wird sichtbar, dass das deutsche Schulsystem den Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund nicht unterstรผtzt. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht in der 5. Klasse den Sprung aufs Gymnasium schaffen. Sie gehen deutlich รถfter ohne Abschluss aus der Oberschule ab als Kinder aus deutschen Familien.
Was eben nicht auf die mangelnde Ausbildungsfรคhigkeit der Jugendlichen mit Migrationshintergrund hin deutet. Dem widerspricht schon allein der Fakt, dass deutschlandweit rund 40 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund das Abitur schaffen, also mit ihren Altersgenossen aus deutschen Familien auf Augenhรถhe sind.
Schwieriger wird es im Anschluss daran. Und es ist durchaus ein Problem fรผr eine Wirtschaft, wenn dann 30 bis 40 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund keinen Berufsabschluss haben. Das deutet darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft hier im Grunde ein groรes Potenzial von mรถglichem Fachkrรคftenachwuchs nicht nutzt.
Und das ist der Punkt, an dem die Sache teuer wird, denn wenn Menschen an dieser Stelle nicht Zugang finden zum Erwerbsleben und Teil haben an der Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums, dann werden sie logischerweise schneller zu Transferempfรคngern und die volkswirtschaftliche Rechnung gerรคt ins Minus.
Die Bundesrepublik braucht also nicht nur โ wie Sinn fordert โ mehr hochqualifizierte Zuwanderung, sondern eindeutig auch ein wesentlich besseres Integrationsangebot. Auch und gerade fรผr die jungen Migranten. Eine Aus- und Abgrenzungpolitik, wie sie jetzt รผber 40 Jahre gefahren wurde, produziert nur Verlierer. Und am Ende soziale Spannungen, die das Land zerreiรen, die ansteheden Probleme (Stichwort Fachkrรคftemangel) aber nicht lรถsen. In der deutschen Bevรถlkerung liegt der Anteil von Menschen ohne Berufsabschluss bei rund 10 Prozent. Das Bestreben sollte also sein, junge Migranten stรคrker noch als bisher in eine qualifizierte Berufsausbildung zu bekommen. Fรผr die Wettbewerbsfรคhigkeit der deutschen Wirtschaft wรคre das elementar.
Oder um noch einmal Hans-Werner Sinn zu zitieren: โIch vermute einmal, dass sie trotz der vermeidbaren Fehlentwicklungen per Saldo immer noch einen groรen Gewinn bedeutet. Dafรผr spricht nicht nur die Migrationstheorie, sondern auch der Blick auf die deutsche Immigrationsgeschichte der letzten Jahrhunderte. Wir brauchen die Migration wegen des Rentenproblems und auch fรผr den Arbeitsmarkt.โ
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