Das Leipzig der Zukunft wird bunter. Das Sachsen der Zukunft übrigens auch. Und daran können auch die Wir-wollen-nicht-Demonstrierer aus Ost- und Westsachsen nichts ändern. Es wird einfach so. Die Frage ist nur, ob die Bundesrepublik es schafft, sich dabei zu modernisieren, oder ob sie den Weg geht, den sich die verbiesterten Innenminister so ausmalen - das geht dann schief.

Denn ein Land geht natürlich kaputt, wenn es nicht fähig ist, Menschen zu integrieren, teilhaben zu lassen an einer gemeinsamen Zukunft.

Eine Zukunft ohne Zuwanderung wird es übrigens nicht geben. Es sei denn, die Deutschen würden freiwillig den Weg des Neandertalers gehen. Dann passiert das, was die am Montag, 7. August, vorgelegte Prognose des Bundesamtes für Statistik beschreibt: Die Geburtenrate reicht nicht mal, um die Bevölkerung stabil zu halten, die Geburtenzahlen halbieren sich, die Landschaften veröden und irgendwann ist auch in den Großstädten die Luft raus.

Und weil nun einmal Großstädte die eigentlichen Integrationsmotoren und Experimentierfelder der Zukunft sind, ist Leipzig schon lange die Zuwanderungsstadt in Sachsen. Das ist übrigens Teil des Leipziger Bevölkerungswachstums. Von Juni 2014 bis Juni 2015 stieg die Zahl der in Leipzig lebenden Ausländer von 34.597 auf 39.808. Und das sind nur die Menschen, die sich durch ihren ausländischen Pass von den anderen Leipzigern unterscheiden.

Deswegen sprechen die Statistiker auch lieber von Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund. Da sind dann auch all jene dabei, die neben der deutschen Staatsbürgerschaft noch eine zweite haben. Oder die längst eingebürgert sind oder – wie die Spätaussiedler aus den GUS-Staaten – sofort einen deutschen Pass bekommen haben. Und die Kinder, die schon längst in Leipziger Kitas und Schulen gehen. 59.738 Leipziger – von offiziell 544.479 – hatten im Dezember 2014 einen Migrationshintergrund, also auf verschiedene Weise Wurzeln irgendwo außerhalb der Bundesrepublik. 22.347 davon hatten einen deutschen Pass.

Mehr als jeder zehnte Leipziger, stellt Andreas Martin nun in seinem Beitrag im neuen Quartalsbericht der Stadt fest, hatte damit einen Migrationshintergrund. Er hat einmal untersucht, wo die denn alle wohnen innerhalb Leipzigs. Denn Legenden besagen ja, dass die alle an der Eisenbahnstraße wohnen. Was ja schon lange nicht mehr stimmt.

Die schlichte Wahrheit lautet: Die meisten sieht und hört man nicht. Manchmal sieht man sie und kringelt sich, wenn junge Vietnamesen Sächsisch sprechen. Manchmal sieht man sie nicht, hört dann aber, wie Babuschka ihren Enkel tröstet.

Womit schon zwei der größten Gruppen erwähnt sind: 7.382 Leipziger haben einen Migrationshintergrund irgendwo in den riesigen Landschaften Russlands, 3.542 kommen aus Polen, 3.106 aus der Ukraine (und wenn Putin so weitermacht, werden es noch viel mehr), 3.029 aus Vietnam, 2.026 aus Kasachstan und 1.909 aus der Türkei (und wenn Erdogan so weitermacht, werden das auch noch viel mehr, denn das sind zum größten Teil Kurden).

Man muss nicht lange nachdenken und merkt, dass es nationalistische Machos sind, die ihre Länder in Bürgerkriege verwickeln und die Menschen, die eigentlich nur friedlich leben und arbeiten wollen, zur Flucht zwingen, weil sie – wie in der Ostukraine, in der östlichen Türkei, im Norden Syriens oder im Norden des Irak – ihre Städte zerschießen, ihre Felder verwüsten, Schulen, Museen und Betriebe vernichten.

Da sind auch Menschen ohne Ausbildung dabei. Keine Frage. Aber die meisten haben eine gute Schulausbildung, viele einen ordentlichen Berufsabschluss, viele ein abgeschlossenes Studium. Menschen, die sich auf das unbekannte Land Deutschland einlassen, brauchen Mut, Kreativität und die Kraft, völlig neu anzufangen. Deswegen zieht es sie eigentlich auch nicht in Stadtteile, in denen sie quasi abgeschottet oder nur unter lauter Gestrandeten sind. Auch nicht in den Leipziger Osten, obwohl der natürlich nach wie vor geprägt ist von einem hohen Ausländeranteil. 35,5 Prozent sind es in Volkmarsdorf, hat Andreas Martin ausgerechnet, 33,5 Prozent in Neustadt-Neuschönefeld. Das ist die Eisenbahnstraße. Hoch ist auch der Anteil in Zentrum-Südost: 34,5 Prozent. Das ist der Bereich um die Straße des 18. Oktober mit den großen Studentenwohnheimen. Denn Menschen kommen nicht nur auf der Flucht nach Leipzig, sondern auch zum Studieren und Arbeiten.

Und auch die Uni Leipzig wird noch viel internationaler. Muss sie sogar werden, wenn sie im internationalen Wettbewerb mithalten will.

Aber in anderen Ortsteilen nehmen die Zahlen der dort lebenden Migranten mittlerweile stärker zu. Am stärksten zuletzt in Möckern, Mockau-Süd, Altlindenau und Eutritzsch. Die Entwicklung deckt sich nicht unbedingt mit den neu eingerichteten Unterkünften für Asylbewerber. Oft ziehen Familien mit Migrationshintergrund auch hin, weil sie dort Anschluss finden an Landsleute. Oder weil das Mietniveau noch bezahlbar ist. Denn in der Regel gehören sie auch nicht zu den Schwerverdienern der Stadt.

In einigen Ortsteilen führt das auch zu höheren Prozentzahlen von Kindern mit Migrationshintergrund in Kitas und Schulen. Aber wenn man sich die Karten, die Andreas Martin zu Migranten im Allgemeinen und ausgewählten Herkunftsländern (Russland, Rumänien, Syrien) gezeichnet hat, anschaut mit der Frage: Bilden sich jetzt irgendwo vielleicht doch spezielle Viertel, in denen Migranten sich absondern, dann trifft das nicht zu. Dann scheinen die Leipziger mit Migrationshintergrund eher ganz ähnlich zu ticken wie die Leipziger ohne Migrationshintergrund: Der Geldbeutel bestimmt, wohin man zieht. Wer es sich leisten kann, zieht auch in die Ostvorstadt oder sogar nach Gohlis-Süd.

Aber auch und gerade die Pionierviertel im Leipziger Westen sind attraktiv, wohl auch, weil das Mietniveau noch vielerorts bezahlbar ist. Ähnliches gilt für Möckern und Eutritzsch. Die dezentrale Unterbringung, die seit drei Jahren die dominierende Strategie in der Leipziger Asylpolitik ist, unterstützt natürlich die Integration der Asylsuchenden in den Stadtteilen. Und da die Neuankömmlinge meistens jung sind, führt das dazu, dass sie auch Kinder kriegen, die nicht nur im Leipziger Osten die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund in Kitas ansteigen lassen. Dort liegen die Anteile bei den unter Sechsjährigen übrigens schon über 50 Prozent, in anderen Ortsteilen im Herzen der Stadt über 20 Prozent.

Was natürlich genau das bedeutet, was im Anfang dieses Artikels angesprochen wurde: Leipzigs Zukunft wird bunt. Die Weichen sind längst gestellt. Und wenn Leipzig eine lebendige und kreative Stadt bleiben will, tut die Stadt alles, was an Integration möglich ist. Bis hin zur Arbeitsintegration.

Da taten und tun sich die Vermittler, Ausbilder und Unternehmen noch schwer, aber scheinen zu lernen und die Menschen mit Migrationshintergrund auch als wichtige Arbeitskräfte schätzen zu lernen, auch wenn der Prozentsatz der als arbeitslos registrierten Ausländer von 2011 bis 2014 stieg – von 9,4 auf 11,4 Prozent, während die allgemeine Arbeitslosigkeit in Leipzig von 8,8 auf 7,2 Prozent sank. (Die Zahlen sind niedriger als in der Statistik der Bundesarbeitsagentur, weil Lars Kreymann in diesem Beitrag im Quartalsbericht nur mit einer Vergleichsziffer arbeiten kann – der Zahl der 15- bis 65-Jährigen, nur so lassen sich auch Aussagen auf Ortsteilebene treffen.)

Dabei gibt es durchaus den Leipziger Osten, wo 17,3 Prozent der Ausländer arbeitslos sind (was ja im Umkehrschluss trotzdem heißt: Die Meisten gehen einer Erwerbstätigkeit nach.), oder den Leipziger Süden, wo deren Arbeitslosenrate nur bei 6,5 Prozent liegt. Dass die Zahlen der arbeitslosen Ausländer gestiegen ist, kann natürlich auch mit der verklemmten deutschen Asylgesetzgebung zu tun haben. Das kommentiert Lars Kreymann nicht extra.

Aber da wir schon mal beim Wohnen und den Wohnkosten waren, machen wir dazu im nächsten Beitrag gleich weiter.

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