Manchmal sorgt sich Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) einfach um sein eigenes Bundesland: Da melden alle Bundesländer von Oktober zu Oktober eine sinkende Arbeitslosenzahl - nur Bremen nicht. Und am stärksten sinkt die Arbeitslosigkeit mittlerweile in Sachsen. Was ist da los?

“Das Bundesland Bremen ist das einzige Land, in dem im Oktober 2015 mehr Arbeitslose registriert wurden als im Oktober 2014. Und das Land Bremen ist weiterhin das Land mit der höchsten Arbeitslosenquote (10,7 Prozent) und dem höchsten Anteil von Arbeitslosen, die bei den Jobcentern (Rechtskreis SGB II) registriert sind (82,8 Prozent). Und: In keinem anderen Bundesland stieg die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (Arbeitslosengeld II) im (vorläufigen) Vorjahresvergleich so stark wie im Land Bremen. (+4,6 Prozent)”, stellt Schröder fest.

Aber die Zahlen aus der Bundesarbeitsagentur, die er wie kaum ein anderer kennt, verraten natürlich nicht, warum das ausgerechnet in Bremen so ist.

Aber sie eröffnen Interpretationsspielräume. Denn unübersehbar hat auch Hamburg keinen besonderen Abbau der Arbeitslosigkeit geschafft, nur 0,1 Prozent, und das auch nur durch den Rückgang der Arbeitslosigkeit bei Frauen, während die Arbeitslosigkeit bei Männern stieg.

Ein Rätsel? Oder doch der Effekt des Stadtstaates, der auf die umliegenden Flächenbundesländer als Metropole wirkt? Das ist durchaus vergleichbar mit Leipzig: Auch Leipzig schafft mit seinem Beschäftigungsaufbau verstärkt Arbeitsplätze für die ganze Region. Während das für Leipzig selbst übers Jahr nur einen Rückgang der Arbeitslosenquote von 0,6 Prozent bedeutet, hat es im Landkreis Leipzig einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 5,4 Prozent bewirkt, in Nordsachsen um 4,0 Prozent.

So ähnlich sehen die Zahlen auch in Bremen und Hamburg aus, die eben auch Arbeitsplätze für Niedersachsen, Schleswig Holstein und teilweise noch Mecklenburg-Vorpommern bereitstellen (in diesem Fall Hamburg). Und in Niedersachsen sank die Arbeitslosigkeit um 2,5 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern um 3,9, in Schleswig-Holstein um 0,2 Prozent.

Wobei im Osten natürlich auch der gewaltige Umbruch, der die Wirtschaft seit 2010 beschäftigt, immer sichtbarer wird. Die seitdem halbierten Ausbildungsjahrgänge sorgen dafür, dass in einigen Branchen schon mit recht heftigen Bandagen um Fachkräfte gekämpft wird. Und dass logischerweise die Arbeitslosenzahl sinkt – man schickt die Leute nicht mehr zum Arbeitsamt, wenn sie das Methusalem-Alter von 50 Jahren erreicht haben, sondern behält sie im Betrieb und versucht sie auch nach dem 62. oder 65. Lebensjahr noch zu halten, wenn es gute Leute sind.

Und man tut alles, um den Nachwuchs auszubilden, auch wenn der seinen Schulabschluss nicht geschafft hat. Was in Sachsen zum Beispiel dazu führt, dass auch die Jugendarbeitslosenquote deutlich sinkt. Auch hier führt Sachsen mit einem Rückgang von 15,6 Prozent binnen eines Jahres die Tabelle an. Bremen taucht hier übrigens mit 5,3 Prozent auf Rang 8 auf, eigentlich ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaftsunternehmen in Bremen durchaus etwas tun, die Leute in Anstellung zu bringen.

Die erfolgreichsten Länder bei der Ausbildung und Einstellung der jungen Leute sind freilich Bayern und Baden-Württemberg: Dort sind nur 2,6 Prozent der jungen Leute unter 25 Jahren ohne Arbeit. Womit im Grunde auch die Quote beschrieben ist, die jedes Bundesland erreichen kann, wenn es wirklich alle Leute, die arbeitsfähig sind, in Arbeit bekommen will. Sachsen hat derzeit eine Jugendarbeitslosenquote von 6,2 Prozent – und es sieht ganz danach aus, dass sie mit viel Anstrengung weiter sinkt, weil die hiesige Wirtschaft eigentlich jeden braucht, der fähig ist zur Ausbildung.

Denn in der Breite fehlt im ganzen Osten der Nachwuchs. Deswegen liegen die ostdeutschen Bundesländer beim Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit genauso im Spitzenfeld wie beim Rückgang der Gesamtarbeitslosigkeit. Auch da ist Sachsen ganz vorn, mit – 7,1 Prozent. Die sächsische Arbeitslosenquote ist mittlerweile auf 7,5 Prozent gesunken. Das ist das Niveau von NRW (7,7 %) und Hamburg (7,3 %). Das ist aber auch noch doppelt so hoch wie in den beiden Südländern Bayern (3,3 %) und Baden-Württemberg (3,7 %).

Womit sich schon andeutet, welchen Arbeitskräftehunger die beiden Südländer in der nächsten Zeit entwickeln werden – den sie nicht mehr mit jungem Nachwuchs aus dem Osten abdecken können, denn den brauchen die Ostländer selbst. Und das wissen auch die jungen Leute im Osten, die nun eigentlich schon seit zwei Jahren lieber einen nicht ganz so gut bezahlten Job im Heimatland suchen, als in den schönen Westen abzuwandern. Was dann übrigens der Hauptgrund dafür ist, dass Sachsen keine Abwanderung mehr hat, sondern seit Frühjahr 2014 wächst. Auch befeuert durch die steigenden Flüchtlingszahlen.

Und die Signale aus der sächsischen Wirtschaft klingen ganz ähnlich wie die aus der süddeutschen: Man weiß zwar um all die von Politikern errichteten bürokratischen Schwierigkeiten und die nicht ganz leichte Aufgabe der Integration für die Ankömmlinge. Aber man sieht es ganz ähnlich wie die Bundeskanzlerin: “Wir schaffen das.”

Denn nirgendwo in der Bundesrepublik sehen die Geburtenraten so aus, dass auch nur ein einziges Bundesland seinen Arbeitskräftebedarf in den nächsten Jahren aus eigener Kraft wird decken können. Man ist auf alle Einwanderer angewiesen, die jetzt nach Deutschland finden.

Was man sich nicht leisten kann – und dafür steht auch ein wenig das Beispiel Bremen – ist die Nicht-Integration dieser Menschen. Dann tauchen sie nämlich wirklich alle in den Arbeitslosenstatistiken auf.

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