Gerade erst hat der Koordinierungskreis der Leipziger Agenda 21 die gegenwärtige Stadtpolitik gemahnt, endlich nachhaltiger zu werden. Es ist ja nicht so, dass Leipzigs Stadtverwaltung mit den Agenda-Akteuren nicht spricht. Aber so richtige Konsequenzen hat das nicht. Jetzt hat das Umweltdezernat mal wieder eine neue Broschüre aufgelegt: „Nachhaltige Umweltentwicklung in Leipzig. Indikatoren 2003/2004 - 2013/2014“. Schön wär’s gewesen.

Aber wer in der 30-seitigen Broschüre tatsächlich einmal die kompletten Tabellen für die Jahre 2003 bis 2014 sucht, findet sie nicht. Von einer „grundlegenden Überarbeitung“ spricht Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal. Aber die Jahreszahlen trügen. Es gibt zu keinem der angeführten 23 Indikatoren die komplette Entwicklung in grafischer Form seit 2003. Fast immer beschränkt sich das Umweltdezernat nur auf drei Jahre – 2011 bis 2013. Was schlicht sinnlos ist, etwa wenn es um den Wärme- und Stromverbrauch Leipzigs geht, der besonders mit harten und kalten Wintern extrem schwanken kann.

An anderer Stelle werden gewaltige Fortschritte suggeriert, obwohl wichtige Entwicklungen nur im einstelligen Prozentbereich stattfinden.

Womit leider nicht möglich ist, zu erkennen, „in welchen der oben genannten Handlungsfelder sich Verbesserungen oder Verschlechterungen im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung der Umwelt abzeichnen bzw. wo bezogen“. Und schon gar nicht das zu zeigen, was Heiko Rosenthal im Vorwort verspricht: „Umweltindikatoren dienen dazu in anschaulicher Weise über den Zustand der Umwelt zu informieren, wesentliche Trends der Umwelt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung aufzuzeigen und Entscheidungshilfen für die Verwaltung und Kommunalpolitik zu liefern.“

Tatsächlich sind die Daten wieder so willkürlich zusammengestellt, dass sich daraus überhaupt keine „Entscheidungshilfen“ für die Verwaltung ableiten lassen.

Nachhaltige Umweltentwicklung in Leipzig. Indikatoren 2003/2004 – 2013/2014. Cover: Stadt Leipzig
Nachhaltige Umweltentwicklung in Leipzig. Indikatoren 2003/2004 – 2013/2014. Cover: Stadt Leipzig

Es sei denn, man nimmt die winzigen Smileys bei jeder Grafik als Richtungsweiser: Der lächelnde Smiley steht für „Zielwert wurde dauerhaft erreicht“. Der traurige steht für das Gegenteil: „Der Indikator entwickelt sich in die falsche Richtung, das Ziel kann nicht erreicht werden.“ Aber auch der eher gleichgültige Smiley steht für Ziel-Nichterreichung: „Der Indikator entwickelt sich zu langsam, um den Zielwert dauerhaft zu erreichen.“

Der ist übrigens am häufigsten anzutreffen und bestätigt, was wir nach der Stellungnahme des Agenda-Kreises feststellen konnten: Leipzigs Stadtpolitik ist nicht nachhaltig. Alle Projekte werden viel zu zaghaft angepackt, um überhaupt eine Chance zu haben, dass die Ziele je erreicht werden können.

Das geht schon mit der Luftbelastung los: Stickstoffoxidbelastung, Rußentwicklung, Feinstaub – alles viel zu zaghaft angepackt. Man hätte es richtig anpacken können. Dafür gibt es ja einen beschlossenen „Luftreinhalteplan“. Doch für alle drei Indikatoren gilt: „Für eine dauerhafte Einhaltung des Grenzwertes ist eine konsequente Umsetzung des Luftreinhalteplans erforderlich.“

Was ein Eingeständnis ist. Denn der Luftreinhalteplan (in dem die Umweltzone nur einer von 49 Punkten ist), wurde eben nur in wenigen Teilen umgesetzt.

Es hat immer wieder mit Verkehr zu tun. Wenn Leipzig kein nachhaltiges Verkehrssystem aufbaut, wird der Motorisierte Individualverkehr (MIV) noch auf Jahre das Geschehen bestimmen und die Grenzwerte ad absurdum führen. Zum Beispiel beim Stickstoffoxid: „Zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist seit 2010 gemäß der 39. BImschV ein Jahresgrenzwert von 40 μg/m3 einzuhalten. Der 2009 in Kraft getretene Luftreinhalteplan zielt auf die Einhaltung dieses Grenzwertes ab und enthält Maßnahmen zur Senkung der Stickstoffdioxidbelastung, die hauptsächlich durch den Kfz-Verkehr verursacht wird. Der in den Umweltqualitätszielen definierte Zielwert für das Jahr 2015 beträgt 20 μg/m3.“

Logisch, dass der Smiley nicht smiled, sondern ziemlich trübe aus der Wäsche guckt.

Wobei wir auch die Sache mit dem „Luftreinhalteplan“ hier schon einmal mit einem fetten Fragezeichen versehen. Denn selbst diese 49-Maßnahmen-Liste war nur ein mutloser Kompromiss nach der Formel „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Nur ja keine Veränderungen, die wirklich gravierende Neuerungen im System gebracht hätten. Und damit sind nicht Verbote gemeint, sondern echte Strukturveränderungen, ohne die es auch keine Verhaltensänderung gibt. Denn die gibt es nur, wenn sich das Angebot wandelt.

In gewisser Weise hat es der Agenda-Kreis aufgegriffen, als er in der letzten Woche als fünfte Forderung formulierte: „Stadtverträgliche Mobilität stärken“. Was klipp und klar bedeutet: der ÖPNV muss wachsen und der Fahrradverkehr muss ausgebaut werden. Was schlicht nicht passiert, obwohl über beides heftig diskutiert wird und die Strategen mit einer seltsamen Attitüde nach „alternativen Finanzierungsmöglichkeiten“ suchen.

Deswegen ist es auch eher unwahrscheinlich, dass irgendeine Maßnahme aus dem „Luftreinhalteplan“ irgendetwas zu den sachte sinkenden Werten beigetragen hat. Das Absinken der Rußwerte hat z.B. schon 2007 eingesetzt, zwei Jahre vor Verabschiedung des „Luftreinhalteplans“. Was vor allem mit besseren Filtern in den neuen Fahrzeugmodellen zu tun hat. Da hat augenscheinlich jemand darauf spekuliert, dass die Autohersteller mit besseren Filtern das Problem einfach aus der Welt schaffen, da brauche es keine Konsequenz im eigenen Handeln.

Das hat nur nicht ganz geklappt.

Was zum Teil auch an fehlenden Zahlen liegt. 2012 wurde zum letzten Mal die Belastung der Leipziger mit Kfz-Lärm ermittelt. Es gibt schlicht keinen Vergleichswert. 2017 soll die nächste Erhebung stattfinden. Und das bei einem Thema, bei dem es regelmäßige Diskussionen über den „Lärmaktionsplan“ der Stadt gibt. Diskussionen, die völlig zahnlos sind, weil es keine einzige Zahl gibt, die zeigt, ob Leipzig beim Lärmthema überhaupt Fortschritte gemacht hat und die ganzen beschlossenen Maßnahmen irgendeinen Sinn machen.

Und weil wir beim Verkehr sind, machen wir auch beim Verkehr weiter – gleich in Kürze an dieser Stelle.

Die Broschüre zur nachhaltigen Umweltentwicklung in Leipzig 2003 – 2013.

In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar