Mit Zahlen kann man das Volk prima veräppeln. Das dachte sich wohl auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), als er am 18. September verkündete: „Erstmals seit 2007 ist die Zahl der Einbrüche in Sachsen wieder gesunken. Im ersten Halbjahr 2017 wurden bislang um 16,3 Prozent (2.132 Fälle) weniger Wohnungseinbrüche in Sachsen als im Vorjahreszeitraum (2.547 Fälle) erfasst.“ Das war echtes Wahlkampfgeklingel.

Immerhin war der Bundestagswahlkampf in seiner heißen Phase angekommen. Und Ulbig hatte sich extra noch seinen Kollegen aus Bayern, Innenminister Joachim Herrmann, dazugeholt, der die Gelegenheit nutzte, gleichermaßen Erfolge für Bayern zu verkünden. Beide behaupteten, die gesunkenen Zahlen seien auf gemeinsame Ermittlungsarbeit zurückzuführen.

Was mal wieder einer nicht glauben mochte: Enrico Stange, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag. Dazu kennt er die Zahlenspielereien von Ulbig zu gut.

Deswegen stellte er eine doppelte Frage.

Die erste drehte sich natürlich um die Wohnungseinbrüche.

Ulbig hat nur zwei Halbjahre verglichen: das 1. Halbjahr 2016 und das 1. Halbjahr 2017. In einem zählte die Polizei 2.547 Fälle, im anderen 2.132 Fälle. Was dann wie ein fetter Rückgang aussieht.

Das war nicht das erste Mal, dass Ulbig gezielt irgendwelche Zahlen herausklaubte. Aber wie sah es im selben Zeitraum 2015 aus, fragte Enrico Stange. Das Ergebnis: Im ersten Halbjahr 2015 hat es in Sachsen 2.166 Wohnungseinbrüche gegeben, also ungefähr genauso viel wie im selben Zeitraum 2017. Das heißt: Sachen ist (statistisch) wieder da, wo es 2015 schon mal war. 2016 war also ein statistischer Ausreißer.

Wobei nicht mal klar ist, ob alle diese gezählten Einbrüche auch in dieses Halbjahr gehören. Die Aussage von Jens Galka, Leiter der Polizeidirektion Leipzig, zum riesigen Bearbeitungsstau der Polizeidirektion Leipzig noch zu Beginn 2017 lässt ahnen, dass sich da nicht nur tausende Fälle von Fahrraddiebstahl stapelten, sondern auch viele Fälle von Einbrüchen. Während die Statistik zum 31.12. jeden Jahres zugemacht wird, sind tausende Fälle, die in das Jahr gehören, noch nicht mal erfasst. Wir bekommen also polizeiliche Statistiken mit sehr begrenzter Aussagekraft. Der Überhang von 2016 könnte durchaus noch ins Jahr 2015 gehören.

Vergleichbar sind eigentlich nur Jahresscheiben. Aber die haben über all die Jahre seit 2010 einen Anstieg der Einbruchzahlen gezeigt. Halbjahre, wie von Ulbig genannt, sagen wenig aus.

2016 sind in Leipzig zum Beispiel sämtliche Zahlen zu Diebstählen in die Höhe geschossen. Allein die Diebstähle aus Böden, Kellern und Waschküchen schossen regelrecht in die Höhe. Die Zahlen des 1. Halbjahres wurden im 2. Halbjahr deutlich überboten.

Aber wie schafft man einen Vergleich, um die Wohnungseinbruchzahlen einzuordnen, fragte sich Stange. Nahelag, auch mal die Zahlen von „Diebstahl unter erschwerenden Umständen in/aus Dienst-, Büro-, Fabrikations-, Werkstatt- und Lagerräumen“. Da steht zwar Diebstahl vorn – aber das alles sind ebenfalls reguläre Einbrüche. Die Diebe verschaffen sich meist gewaltsam Zutritt und klauen dann, was rumsteht.

Und so sehr wird sich das Verhalten von Einbrechern in Wohnungen und von solchen in Büros, Lagern und Werkstätten nicht unterscheiden.

Die Zahlen aus Ulbigs Antwort: Im ersten Halbjahr 2015 gab es 2.806 Diebstähle unter erschwerenden Umständen, im ersten Halbjahr 2016 waren es 2.851. Im ersten Halbjahr 2017 sank die Zahl der gezählten Diebstähle unter erschwerenden Umständen zwar wieder auf 2.518. Aber gleichzeitig ging auch die Aufklärungsrate wieder auf den Wert von 2015 zurück. Vor allem der Blick auf Leipzig hilft, wo diese Diebstahlsart 2016 einen regelrechten Boom erlebte und sogar Dresden überholt wurde – und im ersten Halbjahr 2017 fiel die Zahl wieder deutlich unter die Zahl von Dresden.

Das erste Halbjahr 2016 fällt – übrigens genauso wie das gesamte Jahr 2016 – also immer wieder aus dem Rahmen, ganz so, als wäre Sachsen in dem Moment zum Tummelplatz organisierter Banden geworden, die systematisch vorgehen. Und wenn sie weitergezogen sind, fallen die Zahlen wieder. Aber das ist bestenfalls eine Vermutung. Ob eine verbesserte Zusammenarbeit der Polizei von Bayern und Sachsen das bewirkt hat, ist mit den Zahlen nicht zu belegen. Denn gerade da, wo am häufigsten eingebrochen wird, sind die Aufklärungsraten viel niedriger als in den Landkreisen: in Dresden und Leipzig. Die Anonymität der Großstadt begünstigt Einbrecher. Und selbst wenn reisende Täter eine Rolle spielen, bleiben beide Großstädte immer noch auf ihrem Grundproblem hocken: der hohen Last an Beschaffungskriminalität. Die ist hausgemacht. Da helfen auch die Bayern nicht.

Die Anfrage von Enrico Stange. Drs. 10802

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