Wenn Unions-Innenminister sich treffen, dann spielen sie Eiapopeia. Dann malen sie sich ihre Arbeit schön und verkünden dann der Welt, wie gut sie sind. So, wie es Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Montag, 18. September, taten. Da bejubelten sie gemeinsam eine vor zehn Monaten geschlossene Allianz. Mit zumindest etwas windigen Zahlen.

Im November 2016 hatten die beiden Innenminister eine Kooperationsvereinbarung zur länderübergreifenden Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen unterzeichnet. Was ja sinnvoll ist. Ein Teil der Wohnungseinbrüche in Deutschland geht auf gut organisierte Diebesbanden zurück, die sich systematisch von Stadt zu Stadt durcharbeiten und an Ländergrenzen natürlich keinen Grund zum Einhalten sehen. Wenn man einiger dieser Einbrecher in Kooperation habbar wird, kann das nur gut sein.

Nach zehn Monaten zeige die Allianz zwischen Bayern und Sachsen bereits greifbare Erfolge, vermeldete nun freilich das Sächsische Innenministerium. Dumm nur, dass es das nicht an konkreten Fahndungserfolgen tut. Das wäre wirklich ein Beleg für erfolgreiche Kooperation: so und so viele Einbruchserien aufgeklärt, so und so viele Einbrecher gefasst, so und so viele Diebesgüter sichergestellt.

Aber das fehlt.

Markus Ulbig bezieht sich reineweg nur auf die simple Polizeistatistik.

„Erstmals seit 2007 ist die Zahl der Einbrüche in Sachsen wieder gesunken. Im ersten Halbjahr 2017 wurden bislang um 16,3 Prozent (2.132 Fälle) weniger Wohnungseinbrüche in Sachsen als im Vorjahreszeitraum (2.547 Fälle) erfasst“, erklärte Sachsens Innenminister Markus Ulbig am Montag.

Und sein bayerischer Amtskollege Joachim Herrmann war genauso voreilig: „Diesen Trend können wir auch in Bayern feststellen. So wurden bisher im ersten Halbjahr 2017 mit 3.617 Wohnungseinbrüchen 14,1 Prozent weniger Fälle zur Kriminalstatistik gemeldet als noch im gleichen Vorjahreszeitraum (2016: 4.212 Fälle). Das Einbruchsrisiko war in Bayern 2016 mit 58 Einbrüchen pro 100.000 Einwohner wie im Vorjahr deutschlandweit am niedrigsten.“

Nur kann man mit wahllos aus der Polizeistatistik gezogenen Zahlen nichts beweisen. Abgerechnet wird zum Schluss. Die Polizei veröffentlicht aus gutem Grund keine Halbjahresstatistik. Eine Komplettstatistik gibt es immer erst nach einem kompletten Jahr. Da weiß man nämlich auch, wie viele Fälle tatsächlich abschließend bearbeitet wurden und damit regulär als Einbruch gelten. Aber seit Jahren schwimmt Sachsens Polizei in Bergen von offenen Vorgängen.

Das sind Vorgänge, bei denen die Polizei zwar einen Vorgang eröffnet hat – aber bei denen die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Ende Juli gab es in Sachsen insgesamt 69.153 offene Vorgänge, fast so viele wie im Vorjahr – da waren es 69.356. Dabei verzeichnen die Polizeidirektion Dresden mit 19.282 offenen Vorgängen und die PD Leipzig mit 21.114 offenen Vorgängen die höchsten Zahlen.

Da können sehr wohl noch jede Menge Einbrüche drinstecken. Die Halbjahreszahlen sagen also noch gar nichts aus, stellt Enrico Stange, Sprecher der Linksfraktion für Innenpolitik, zur Jubelmeldung des Innenministeriums „Zahl der Wohnungseinbrüche in Sachsen um 16 Prozent und in Bayern um 14 Prozent gesunken“ fest.

„Innenminister Ulbig und sein Amtskollege Herrmann begeben sich für den gewünschten Wahlsieg der CDU/CSU auf das Glatteis der Statistik und rutschen auch gleich aus“, erklärt er zur windigen Meldung. „Erstens wechseln die Innenminister sicher nicht zufällig vom jährlichen Vergleich zum unüblichen und nicht validen Vergleich auf Halbjahresbasis. Denn die Zahl der offenen Vorgänge liegt nach wie vor auf einem hohen Niveau – darin finden sich auch Wohnungseinbrüche, die von der Kriminalstatistik noch gar nicht erfasst sein können. Deshalb lässt sich daraus nicht auf eine Trendwende schließen.“

Und dann geht er auf Ulbigs Selbstlob ein: „Zweitens kennt Ulbig offenbar die Zahlen seines eigenen Hauses nicht. Denn seine Aussage, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche ‚zum ersten Mal seit 2007‘ gesunken sei, ist falsch. Zur Jahreswende 2008 auf 2009 stagnierten die Zahlen auf fast gleichem Niveau (2.651 zu 2.656), von 2012 zu 2013 gingen sie jedoch merklich zurück – von 3.840 auf 3.620 Wohnungseinbrüche pro Jahr in Sachsen. Das jedenfalls bildet die Kriminalstatistik ab. Nur anhand eines belastbaren Mehrjahresvergleichs kann tatsächlich überprüft werden, wie erfolgreich die sächsisch-bayerische Kooperation bisher gewesen ist. Die (Selbst)Täuschung wahlkämpfender Innenminister reicht dafür jedenfalls nicht aus.“

Heißt: Abwarten, was die komplette Polizeiliche Kriminalstatistik für 2017 sagt, die der Innenminister dann im Frühjahr vorstellt.

Und der Aktionismus von Ulbig und Herrmann hat natürlich noch einen Grund, nicht nur den aktuellen Wahlkampf. Denn 2015 und 2016 hat Sachsen so richtig gemerkt, wie die von Ulbig 2011 begonnenen „Polizeireform“ gewirkt hat – Polizisten fehlten an allen Ecken und Enden. Da fühlen sich Einbrecher pudelwohl. In beiden Jahren sind die Einbruchszahlen massiv gestiegen – von 3.869 im Jahr 2014 erst auf 4.257 im Jahr 2016 und dann im Jahr 2016 auf 4.684. So ein hohes Einbruchsniveau hatte Sachsen zuletzt im Jahr 1995 gehabt.

Die Polizeistatistik belegte also ziemlich eindeutig, wohin man kommt, wenn man zwei wichtige Politikfelder ignoriert (Armut und Sucht) und die Polizei ohne Verbindung zum realen Bedarf zusammenstreicht.

Ob die sächsisch-bayerische Kooperation tatsächlich funktioniert, werden wir vielleicht im Frühjahr 2018 erfahren.

Oder auch nicht. Denn die Polizei zählt nur, was angezeigt wird. Und das war eine der auffallendsten Erkenntnisse in der Leipziger Bürgerumfrage zum Sicherheitsempfinden in diesem Jahr: Die Leipziger zeigen auch Einbrüche seltener an, weil sie nicht mehr glauben, dass sich der Anruf bei der überforderten Polizei lohnt. Auch das senkt die Zahlen. Die Einbrüche finden statt. Aber die Bürger behelligen die schwachbrüstige Polizei nicht mehr damit.

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