Die Angst vor Kriminalität hängt nicht nur mit der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung zusammen, sondern kann auch unabhängig davon zunehmen. Das ist nicht nur in den jährlichen Bürgerumfragen in Leipzig so abzulesen. Das gilt auch für die gesamtdeutsche Kriminalitätsentwicklung. Es sind oft einzelne brutale Vorfälle und terroristische Akte, die tagelang die Schlagzeilen dominieren und so den Lesern suggerieren, dass es da draußen immer krimineller zugeht, auch wenn die Zahl der Straftaten tatsächlich sinkt. Ein Thema, dessen sich jetzt auch das DIW Berlin einmal angenommen hat.

So stieg etwa zwischen 2014 und 2017 die Kriminalitätsfurcht trotz sinkender Straftaten – also in einer Phase, die von Fluchtzuwanderung, aber auch Terroranschlägen in Europa geprägt war, stellt das DIW dazu fest. „Kriminalitätsfurcht ist zudem ungleich verteilt. Regional betrachtet zeigt sich ein Nord-Süd-Gefälle: Die Kriminalitätsbelastung ist im Süden Deutschlands geringer und Menschen fühlen sich dort sicherer. Auch sorgen sich besonders vulnerable Gruppen häufiger um die Kriminalitätsentwicklung, etwa ältere Menschen.

Das sind die Kernergebnisse einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), für die Anna Bindler und Hannah Walther aus der Abteilung Kriminalität, Arbeit und Ungleichheit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und des Gleichwertigkeitsberichts der Bundesregierung 2024 ausgewertet haben.“

Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist gesellschaftlich hochrelevant, betont das DIW. Die Angst vor Kriminalität kann die Lebensqualität mindern und individuelles Verhalten, etwa das Konsum- oder Arbeitsmarktverhalten, beeinflussen. Zudem kann sie politische Einstellungen und staatliches Handeln prägen.

Soziale Unterschiede beim Sicherheitsempfinden

Und auch bei den Betroffenengruppen gibt es Parallelen zu Leipzig, wo es vor allem die älteren und alten Menschen sind, die nicht nur Sicherheit und Ordnung immer wieder zu den Hauptproblemen Leipzigs erklären, sondern auch die größte Angst vor Kriminalität haben. Ihre Sicht auf das Kriminalitätsgeschehen beeinflusst dann oft genug wieder Medien und Politik und führt zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen, obwohl die tatsächlichen Kriminalitätszahlen seit Jahren zurückgehen.

Und so zeigt es auch die Erhebung des DIW: „Nicht alle Menschen in Deutschland fühlen sich gleichermaßen sicher. Männer und junge Menschen haben zwar ein höheres Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, doch Frauen und ältere Menschen sorgen sich eher um die Kriminalitätsentwicklung.“

„Dieser scheinbare Gegensatz lässt sich durch die höhere Verletzlichkeit dieser Gruppen plausibel erklären“, sagt Abteilungsleiterin Anna Bindler. „Auch kann Kriminalitätsfurcht zu Vermeidungsverhalten führen, das das Risiko, Opfer zu werden, senken kann.“

Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich in ihrer Wohngegend unsicherer als Personen ohne Migrationshintergrund. Menschen mit niedrigerem Haushaltseinkommen oder ohne Hochschulabschluss fühlen sich unsicherer als Personen mit höherem Einkommen oder mit Hochschulabschluss. Sie machen sich auch mehr Sorgen um die allgemeine Kriminalitätsentwicklung in Deutschland.

„Dies kann mit unterschiedlichen Lebensumständen zusammenhängen, aber auch damit, wie hoch das tatsächliche Kriminalitätsrisiko vor Ort ist“, erklärt Studienautorin Hannah Walther.

Politik und Medien sollten auf sachliche Aufklärung setzen

Um zu vermeiden, dass subjektive Wahrnehmung und tatsächliche Sicherheitslage auseinanderdriften, fordern die Autorinnen eine sachliche Kommunikation in Politik und Medien. „Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Veränderungen braucht es eine transparente Aufklärung, die auf Fakten basiert und Ängste nicht unnötig verstärkt“, sagt Studienautorin Anna Bindler.

Langfristig könnte eine jährliche Dunkelfeldbefragung, wie sie in vielen europäischen Ländern Standard ist, dazu beitragen, Entwicklungen von Kriminalität und Sicherheitsgefühl in Deutschland systematisch zu erfassen. „Eine evidenzbasierte Kriminal- und Sicherheitspolitik benötigt solche Daten, um Prävention und effektive Strafverfolgung optimal zu verbinden“, so Anna Bindler.

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