Zwar weist das Landesamt für Statistik noch immer darauf hin, dass sich die offiziellen Bevölkerungszahlen für Sachsen verzögern, dass es die Zahl für Dezember 2016 erst 2018 geben wird. Aber vorsichtig holt man so langsam auf und hat sich mittlerweile bis zum September 2016 vorgearbeitet. Ist so eine offizielle Zahl überhaupt wichtig?

Eigentlich schon. Sie bestimmt nämlich, wie viel Geld eine Kommune bekommt nach den diversen Zuweisungsschlüsseln, nach denen die Ausgleichgelder zugewiesen werden. Und die meisten Gelder, die die Stadt Leipzig bekommt und mit denen sie rechnen kann, sind Gelder aus solchen Schlüsselzuweisungen.

Da macht es schon einen Unterschied, ob das Melderegister der Stadt nun 575.979 Einwohner ausweist – wie es das Leipziger Melderegister im September 2016 ja tat. Oder ob die offizielle Statistik Leipzig nur 567.614 Bewohner zugesteht. Das ist nämlich die Zahl, die das Landesamt für Statistik jetzt veröffentlicht hat auf Grundlage der Zahlen, die das Bundesamt für Statistik errechnet hat, das sich seinerseits wieder auf die Ergebnisse des Zensus 2011 bezieht.

Gegen die Zensus-Ergebnisse klagen bis heute mehrere deutsche Großstädte. Denn sie haben durch die Rechenergebnisse fast alle deutlich an Einwohnerzahlen verloren. An Einwohnern wohl eher nicht.

Aber das ist die Tücke dieser Hochrechnungen: Sie ergeben genauso wenig ein reales Bild wie die Melderegisterverzeichnisse. Und das in einem Zeitalter, in dem digital eigentlich alles zählbar ist. Wo eigentlich mit jedem Umzug und einer Ummeldung sofort die Computer addieren bzw. subtrahieren sollten. Aber da fangen die Probleme ja schon an: Es gibt viele Leute, die nehmen es mit der Ummelderei nicht so ernst, melden sich nicht ab, aber anderswo trotzdem an. Die Computersysteme der Meldeämter sind nicht vernetzt. Das ist nicht nur bei der föderal organisierten Polizei so, der schon mal ein Attentäter durch die Lappen geht, obwohl 14 Ermittlungsvorgänge gegen ihn laufen.

Im Leipziger Melderegister sammeln sich so im Lauf der Zeit eine Menge „Karteileichen“ an, die dann regelmäßig aussortiert werden müssen. Aber bis man sie findet, verstärken sie den Zählfehler. Was zumindest vermuten lässt, dass die offizielle Melderegisterzahl immer ein bisschen zu hoch ist.

Genau weiß man es nicht. Deswegen finden ja in größeren Abständen die Volkszählungen statt, die ihrerseits aber auch wieder Rechenfehler enthalten. Beim Zensus 2011 augenscheinlich genau da, wo man mit cleveren Rechenmethoden versucht hat, eine kleine Stichprobe auf die ganze Stadt hochzurechnen. Denn in den Großstädten hat man nur kleine Stichproben wirklich gezählt. Und es sieht ganz so aus, als hätte man bei einigen großen Städten deutlich zu niedrige Ergebnisse bekommen. In Berlin zum Beispiel gingen rund 400.000 Einwohner verloren. Das tut schon weh, wenn es dafür dann viele Millionen Euro Ausgleichzahlungen nicht mehr gibt.

In Leipzig wollte man nicht vor Gericht klagen, obwohl der Zensus für Leipzig ein Abschmelzen der Bevölkerungszahl um rund 20.000 mit sich brachte. Andere Städte wären froh, wenn sie überhaupt so viele Einwohner hätten.

Dazu kam, dass 2011 erst so richtig spürbar wurde, wie stark Leipzigs Bevölkerung wuchs. Dass es 2016 mal 567.000 waren, das klingt im Jahr 2017 schon wie fernste Vergangenheit.

Und jetzt schocken wir das Publikum ein bisschen

Für den 30. September 2017 weist das amtliche Melderegister der Stadt inzwischen 591.608 Einwohner aus. Sollte nur ein bisschen erschrecken. Denn da stecken auch noch die Einwohner mit gemeldetem Nebenwohnsitz drin. Offiziell waren 586.035 Leipziger mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Binnen eines Jahres ist die gemeldete Einwohnerzahl also wieder um 11.000 gestiegen. Das Leipziger Wachstumstempo hält also an. Und es sieht ganz so aus, dass 2018 im Melderegister schon die 590.000 auftauchen wird. Und ein Jahr später die 600.000.

Höchste Zeit für ein großes Wohnungsbauprogramm, könnte man sagen. Und zwar für ein soziales. Die Hälfte der Zuziehenden wird 10 Euro für den Quadratmeter nicht aufbringen können.

Da das Landesamt für Statistik die Endzahl für 2016 erst 2018 melden will und die Zahlen für 2017 wohl noch später, rechnen wir trotzdem schon einmal voraus. Denn die Differenz vom September 2016 ist ja nun amtlich: um 8.365 Personen unterscheiden sich das offizielle amtliche Ergebnis des Landes und die Melderegisterzahl.

Die Zahl ziehen wir einfach von 586.035 ab und sehen: Wahrscheinlich wird das Landesamt für Statistik für den September 2017 für Leipzig offizielle 577.670 Einwohner ausweisen. Vielleicht mit kleinen Abweichungen. Aber die werden nicht groß sein, denn Basis für die Weiterrechnungen sind immer die offiziellen Geburten- und Todeszahlen und die Zu- und Wegzüge, die gemeldet wurden. Also die Zahlen aus dem Melderegister.

Amtlich wird Leipzig also wohl 2020 die 600.000er-Marke knacken

Und noch amtlicher wird die Stadt ganz gewaltige Wohnungsprobleme bekommen, weil schlicht nicht sichtbar ist, dass Sachsens Regierung dieses ungewollte Wachstum am Westrand des Königreiches irgendwie gewillt ist, auch nur zur Kenntnis zu nehmen und die entsprechenden Förderprogramme aufzulegen.

Aber noch größere Auswirkungen wird etwas anderes haben – nämlich die Verschiebungen innerhalb Sachsens.

Dazu gleich mehr.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar