Die Treuhand-Geschichte liegt wieder auf dem Tisch. Seit der Ärger vieler Ostdeutscher sich in diffusen „Wir sind das Volk“-Bewegungen artikuliert, sind zumindest auch Teile der Bundesregierung aufgewacht. Die Ost-Beauftragte Iris Gleicke hat 2016 extra eine Studie zur Bewertung der Treuhand in Auftrag gegeben. Am 24. November hat sie das Ergebnis öffentlich vorgestellt. Aber was Rico Gebhardt sich wünscht, wird es wohl nicht geben.

„Die Aufarbeitung des Treuhand-Unrechts gehört auf die Tagesordnung des Bundestages. Die Linke will für diese Wahlperiode des Deutschen Bundestages die Einsetzung einer entsprechenden Enquetekommission. Ich erwarte, dass die SPD-Bundestagsfraktion ihre sächsische Landesministerin Köpping nicht im Stich lässt und dieses Anliegen mit befördert“, sagte Gebhardt nach den ersten Medienberichten. Es gab ja schon mal einen Treuhanduntersuchungsausschuss, der mehr oder weniger ausging wie das Hornberger Schießen. Halb mit dem Eingeständnis, dass vieles wohl in Wild-West-Art vonstatten ging, ansonsten aber an diesem Transformationsprozess im Affengalopp kein Weg vorbei führte. Schon damals lag das Problem der Transparenz auf dem Tisch. Die Tatsache aber, dass die Treuhandakten sämtlich für 30 Jahre hinter Schloss und Riegel wanderten, spricht eine andere Sprache: Hier ist Transparenz nicht gewollt.

Und das hat Folgen.

„Die Bochumer Wissenschaftler weisen überzeugend nach, dass eine ebenso differenzierte wie offene Diskussion über die Treuhandanstalt und die langfristigen Folgen ihres Wirkens im Sinne der weiteren notwendigen Aufarbeitung des Vereinigungsprozesses nicht nur lohnenswert, sondern zwingend erforderlich ist“, sagte Iris Gleicke. „Die ursprüngliche Idee des Runden Tisches, mit der Treuhand auch für eine gerechte Aufteilung des Volksvermögens zu sorgen, verlor sich im ‚Rauchnebel der Zeitgeschichte‘. Für viele Ostdeutsche ist die Treuhandanstalt bis zum heutigen Tage mit einschneidenden und prägenden biografischen Verlusterfahrungen und erlittenen Enttäuschungen mit Blick auf die freiheitliche Demokratie und die soziale Marktwirtschaft verbunden.“

Und Rico Gebhardt pflichtet ihr bei: „Die noch amtierende Ostbeauftragte der Bundesregierung hat Recht: Die Treuhand-Archive müssen geöffnet werden. Es ist richtig und wichtig festzustellen, wie es offenbar auch die aktuelle, noch unveröffentlichte Studie tut: Die Ostdeutschen empfinden das Abwicklungstreiben der Treuhand bis heute als stark negativ. Die Menschen wollen aber nicht nur Respekt vor ihren Gefühlen, sondern eine konsequente Aufarbeitung des Unrechts, das unzählige, dauerhaft gebrochene Erwerbsbiographien verschuldet hat.“

Denn was die Studie nicht untersucht, weil das den Rahmen gesprengt hätte, liegt für den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Sächsischen Landtag auf der Hand: „Die organisierte Deindustrialisierung Ostdeutschlands hat Folgen bis heute: Langzeitarbeitslosigkeit und Altersarmut, auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es weder wirtschaftlich noch sozial eine deutsche Einheit: Die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Bundesländer liegt erst auf 68 Prozent des Westniveaus, auch bei Löhnen und Renten ist keine Annäherung absehbar. Das Fehlen von Zentralen großer Unternehmen im Osten führt zur Abhängigkeit von andernorts getroffenen Entscheidungen, siehe unter anderem Bombardier und Siemens.“

Aber wozu soll eine neue Beschäftigung mit dem Thema führen?

Gebhardt: „Aus den Schlussfolgerungen der Arbeit einer solchen Enquetekommission wird geschehenes Unrecht nicht wiedergutgemacht, aber sie können dazu beitragen, dass die parlamentarische Demokratie keinen weiteren Vertrauensverlust erleidet. Es werden sich aber auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik neue Aufgaben daraus ergeben. Denn ein ‚Weiter so‘ bringt den Osten und auch Sachsen nicht weiter. Die Nach-Treuhand-Ära muss durch einen neuen Aufbruch überwunden werden, der starke Wirtschafts-Netzwerke in den Regionen fördert.“

Ob eine neue Kommission freilich den Knoten löst, ist fraglich. Warum das so ist, klingt in der Erläuterung der Studienautoren an.

Was die Studie nicht leisten kann, beschreiben die Autoren so: „Was die vorliegende Studie ausdrücklich nicht leisten konnte und auch nicht leisten wollte, ist eine generelle politische, ökonomische oder juristische Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt oder ihrer langfristigen Resultate. Hierfür standen weder die erforderliche Zeit noch die entsprechenden Mittel und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung. Man wird mit einiger Sicherheit annehmen können, dass eine solche Bewertung – so man sie denn vornehmen möchte – kaum pauschale oder gar eindeutige Ergebnisse hervorbringen dürfte. Die Organisation, ihre kurzfristige Entstehung und explosive Entwicklung, ihr stark gemischtes Personal, ihre sehr unterschiedlichen Aufgabenfelder sowie ihre intensiven Auseinandersetzungen mit ihren diversen Umfeldern erscheinen als komplexe und vielschichtige Forschungsgegenstände, die aus verschiedenen Perspektiven empirisch erkundet und sehr differenziert bewertet werden müssen. Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser sehr kurzlebigen Übergangsorganisation zwischen Plan und Markt bietet sehr viel aber keine einfachen oder pauschalen Antworten im Modus von ‚Erfolg‘ oder ‚Misserfolg‘ – auch wenn ein entsprechendes Urteils- und Orientierungsbedürfnis bei Beteiligten und Betroffenen nur allzu verständlich ist.“

Denn ein Hauptergebnis der Studie war ja auch, dass praktisch alle Beteiligten auch parteiisch sind. Und vor allem die „Macher“ aus dem Westen, die fast alle Führungsposten besetzten, verteidigen ihre Arbeit natürlich bis heute als Erfolg, während gerade die Betroffenen das Ergebnis als Abwicklung und Enteignung empfanden.

Und ein Grundgefühl der Gegenwart wird auch in der Studie sichtbar: „Denn die Bilder, die sich gerade viele ältere Ostdeutsche auch noch im Jahr 2017 vom Wirtschaftsumbau in den frühen 1990er-Jahren machen, erscheinen von vielfältigen Ernüchterungen, Abstiegen und Abbrüchen dominiert zu sein. Diese individuell so empfundene Ohnmacht gegenüber den Zeitläufen findet ihr Gegenstück in einer fremden Allmacht: Wenn man so will, bündeln sich gerade in den hier untersuchten Rückblicken auf die Treuhandanstalt und ihre Aktivitäten individuelle Überwältigungserfahrungen vieler älterer Ostdeutscher gegenüber einer stets als fern, kalt, anonym und arrogant erlebten ‚Obrigkeit‘. Im erinnerungskulturellen Rückblick insbesondere dieser Gruppe setzte das ‚Treuhand-Regime‘ der frühen 1990er-Jahre auf diese Weise die zuvor von der SED-Führung und ihren ‚Staatsorganen‘ praktizierte, unanfechtbare Macht- und Herrschaftspolitik fort.“

Indirekt stellen die Studienautoren eigentlich fest, dass sich diese Einmauerung in den eigenen Sichtweisen in West und Ost auch in einer Nicht-Bewältigung der ganzen Treuhand-Thematik artikuliert. Jeder wiederholt seine Positionen gebetsmühlenartig. Eine differenzierte, analytische Aufarbeitung findet praktisch nicht statt.

„Ehemaligen westdeutschen Führungskräften erscheint diese Phase als verkannter Höhepunkt ihres beruflichen Schaffens beziehungsweise patriotischen Engagements, für zahlreiche Ostdeutsche ist sie hingegen das Symbol westlicher Dominanz, eines ungebremsten Kapitalismus sowie der Arroganz der Macht“, kann man als Feststellung lesen.

Denn das wirkt bis in die Gegenwart fort und verstellt den Blick auf die tatsächlich noch immer vorhandenen Probleme. Und zwar nicht nur psychologischer Art, sondern faktischer: Dem Osten fehlt bis heute die nötige Wirtschaftskraft, um sich selbst zu tragen und vor allem die eigenen Geschicke selbst zu gestalten. Ergebnis: Das fortwährende Erlebnis von Abhängigkeit und Bevormundung.

Was schon verblüfft: Ein ganzes Land verweigert 25 Jahre lang die faktische Aufarbeitung des heftigsten Transformationsprozesses, den es in dieser Region je gab. Und dann tun alle Verantwortlichen und Unverantwortlichen so, als hätte das keine Folgen in Demografie, Bildung, Politik und Stimmungslage.

Die Empfehlung der Studienautoren: „Dennoch erscheint eine differenzierte ‚Inventur‘ dieses erinnerungskulturellen Bezugspunktes in hohem Maße produktiv, um auf diese Weise einen zeithistorischen Beitrag zu gegenwärtigen Problemkonstellationen liefern zu können. Eine entsprechend differenzierte, pluralisierte wie offene Diskussion über die Treuhandanstalt, die Transformationszeit und deren langfristige Folgen in Ost und West erscheint uns letztlich als überaus lohnenswertes Unterfangen.“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar