Am 18. Juni veröffentlichte das Berlin-Institut ein Diskussions-Papier zur Frage: Wie kommen Geflüchtete in Deutschland eigentlich in Arbeit? Wie lange dauert das? Wo liegen die Hürden? Immerhin lebten Ende des Jahres 2018 knapp 1,7 Millionen Schutzsuchende in Deutschland. Die meisten von ihnen sind seit 2015 gekommen. Flucht ist keine Erwerbszuwanderung und Geflüchtete kommen nicht zuvorderst als Arbeitskräfte ins Land, betont das Berlin-Institut.

Aber wenn die Lage in den Herkunftsländern über Jahre gefährlich bleibt und nicht einmal absehbar ist, ob die Geflüchteten jemals wieder in ihre Heimat zurückkehren können, dann macht es keinen Sinn, wenn diese Menschen einfach irgendwo untergebracht werden und sich nicht in die neue Gesellschaft integrieren. Integration funktioniert über Sprache, kulturelle Kontakte, aber zuallererst über Arbeit. Denn wer sich eine eigene Existenz aufbauen kann, ist auch nicht mehr von staatlichen Transfers abhängig.

Für eine erfolgreiche Integration sollte der Übergang von Geflüchteten in Ausbildung, in Nachqualifizierung oder direkt in Beschäftigung so schnell wie möglich erfolgen, betont das Berlin-Institut.

Aber auch wenn deutsche Politiker manchmal mit dem dummdreisten Spruch aufwarten „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, hat die Bundesrepublik seit Jahrzehnten Erfahrung mit Zuwanderung und Asylpolitik. Und wer keine Kartoffeln auf den Augen hat, kann aus dieser Zuwanderungsgeschichte etwas lernen.

Zum Beispiel auch, dass die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten erfahrungsgemäß einen langen Atem erfordert. Denn nicht nur Sprache muss gelernt werden. Oft passen auch Bildungs- und Berufsabschlüsse nicht.

Doch augenscheinlich gelingt diese Integration derzeit besser als anfangs erwartet. Im Februar 2019 hatte fast jede dritte Person aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern eine sozialversicherungspflichtige Arbeit gefunden.

„Das ist unzweifelhaft ein Erfolg, der aber mit Vorsicht zu genießen ist“, sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, „denn viele der Geflüchteten arbeiten in Branchen, in denen die Fluktuation hoch ist, der größte Teil von ihnen ist in der Leiharbeit und in Helfertätigkeiten untergekommen.“

Jeder Dritte landete in der Leiharbeit

Die Asylbewerber arbeiten also schon jetzt verstärkt in Branchen, in denen prekäre Beschäftigung besonders ausgeprägt ist und in denen die einheimischen Arbeitskräfte schon lange fehlen. Was nicht unbedingt etwas Gutes sein muss, wie das Papier des Berlin Instituts ausführt: „Die Vergangenheit zeigt, dass die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten einen langen Atem erfordert. Während zu früheren Zeiten, etwa während der Jugoslawienkriege, im Zuzugsjahr im Schnitt acht Prozent der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter Arbeit fanden, lag die Beschäftigungsquote nach fünf Jahren bei knapp 50 Prozent und nach zehn Jahren bei 60 Prozent. Erst nach 15 Jahren glich sie sich mit 70 Prozent der Quote anderer Zugewanderter an. Diese Erfahrungen bestätigen sich im Rahmen der aktuellen Zuwanderung, auch wenn die Integration in den Arbeitsmarkt etwas schneller vonstattenzugehen scheint. Im Februar 2019 hat ein knappes Drittel der Personen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern eine sozialversicherungspflichtige Arbeit gefunden, Tendenz steigend. Dies ist unzweifelhaft ein Erfolg. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Beschäftigungsverhältnisse auch nachhaltig sind. Ein Blick auf die Branchen, in denen der Großteil der Geflüchteten eine Anstellung findet, offenbart, dass es sich vielfach um Helfertätigkeiten handelt, zumal in Bereichen, in denen die Fluktuation meist hoch ist, etwa in der Gebäudereinigung oder der Gastronomie. Über ein Drittel der Geflüchteten, die zwischen Februar 2018 und Januar 2019 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fanden, kamen in der Leiharbeitsbranche unter.“

Arbeitsaufnahme von Geflüchteten nach Wirtschaftszweigen. Grafik: Berlin-Institut
Arbeitsaufnahme von Geflüchteten nach Wirtschaftszweigen. Grafik: Berlin-Institut

Natürlich landen diese Menschen, die nach einer bezahlten Arbeit suchen, in diesen prekären Beschäftigungen auch deshalb, weil sie von den Jobcentern genau dorthin vermittelt werden. Den Jobcentern ist es eher gleichgültig, ob jemand tatsächlich in seiner Qualifikation arbeiten kann. Noch immer gilt das sture Tonnagedenken des Jahres 2005, nach dem jede Vermittlung in irgendeine Art Job auch gleich als gelungene „Integration“ verzeichnet wird. Was es aber in der Regel nicht ist.

Die Geflüchteten erfahren nur einmal mehr, dass ihre Situation höchst prekär bleibt. Von nachhaltig, wie das Berlin-Institut betont, kann keine Rede sein.

Restriktion statt Integration

Das Berlin-Institut hat in seinem Discussion Paper auch die Hürden untersucht, die Geflüchteten ihren Weg in Arbeit erschweren. Das Papier basiert auf zwei Workshops und zahlreichen Einzelinterviews mit Geflüchteten sowie mit Experten aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Aufgrund der Fluchtsituation haben die Menschen eine ganze Menge individueller Hürden im Gepäck, zum Beispiel mangelnde Sprachkenntnisse oder fehlendes Wissen über den deutschen Arbeitsmarkt. In Deutschland angekommen, finden sie dann zusätzliche, institutionelle Hürden vor, die Politik und Verwaltung aufbauen. Die Sachlage in letzterem Bereich lässt sich in drei Thesen zusammenfassen: Die Zuständigkeiten sind über zu viele Akteure verteilt, die Gesetzeslage ist zu komplex und die Anforderungen an die Geflüchteten sind zu restriktiv.

Während für die meisten mitgebrachten Hürden mittlerweile bewährte Angebote und Strukturen existieren, welche die Geflüchteten dabei unterstützen, diese zu überwinden, sind die vorgefundenen, bürokratischen Hürden hausgemacht und damit vermeidbar, betont das Institut.

„In den Gesprächen haben die Geflüchteten wie auch die Experten übereinstimmend geäußert, dass die institutionellen Hürden mindestens ebenso hoch sind wie die individuellen“, so Klingholz. Das Berlin-Institut fordert daher unter anderem, dass die Politik Reformen und Gesetze stärker von ihrer Umsetzbarkeit her planen muss, um den ohnehin langen Weg der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt nicht durch unpraktikable Regelungen zusätzlich zu erschweren.

Und eigentlich müssten sich die verwaltenden Instanzen auch endlich die Kompetenzen aufbauen, die bei den helfenden Akteuren längst vorhanden sind. Aber seit 2015 hat sich am sturen Verwalten nach Schema F nichts geändert.

Wenn Vitamin B fehlt

Und während einheimische Betroffene bei so viel Behördenignoranz auch schon oft genug verzweifeln, haben die arbeitsuchenden Geflüchteten noch ein zusätzliches Problem: Ihnen fehlen die Kontakte in die hiesigen Netzwerke. Der wichtigste Kontakt ist und bleibt immer noch der Arbeitsplatz.

Im Papier kann man dazu lesen: „Vielen Schutzsuchenden mangelt es an Kontakten zu Einheimischen. In einer Befragung gab jeder Fünfte an, nie Zeit mit Deutschen zu verbringen. Und auch die 46 Prozent, die dies mehrmals pro Woche tun, pflegen den Kontakt vor allem auf der Arbeit und in der Nachbarschaft. Nicht einmal ein Drittel von ihnen ist mit Deutschen befreundet. Deutsche als enge Bezugspersonen hatten gar nur knapp sechs Prozent der Befragten. Somit fehlt den Geflüchteten das sprichwörtliche ,Vitamin B‘, also ein persönliches Netzwerk, das bei der beruflichen Orientierung und Jobsuche hilft.“

Aber die meisten Behörden, mit denen es die Geflüchteten zu tun bekommen, sind keine Vermittler oder Integrationsbeförderer. Sie arbeiten mit unreflektierten und „unpraktikablen Regelungen“. Übrigens nicht nur, was die arbeitsuchenden Geflüchteten betrifft. Die sogenannten „arbeitsmarktfernen“ Arbeitsuchenden aus der Region kennen diese Verwaltungspraxis ja nur zu gut, eine Praxis, die in Zeiten gewachsen ist, als Deutschland seine liebe Not hatte, die wachsende Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.

Mittlerweile aber rufen ganze Branchen händeringend nach (qualifizierten) Arbeitskräften. Nur hat sich am disziplinierenden Verwaltungshandeln gegenüber den Arbeitsuchenden nicht wirklich etwas geändert. Das wird noch ein richtiges Problem in Zukunft, denn die demografische Entwicklung in Deutschland zwingt eigentlich zum Umdenken. Aber das funktioniert mit den alten Denkweisen nun einmal nicht.

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