Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) bewertet die Bildungssysteme der Bundesländer quasi betriebswirtschaftlich, also praktisch für Politiker, die glauben, man könnte Bildungserfolg so herstellen wie Blumentöpfe oder Transistorradios vom Fließband – mit knappestem Mitteleinsatz, Aufspielen der Software, Expressversand – fertig die gut ausgebildete Manpower für eine gedankenlose Wirtschaft. Logisch, dass Sachsen in so einem Wettbewerb sogar gewinnt, wenn sich am sächsischen Bildungssystem gar nichts verbessert.

Am Freitag, 14. August, veröffentlichte die INSM ihren neuen Bildungsmonitor 2020 und verkaufte ihn mit Worten, die so überhaupt nichts mit dem zu tun haben, was im zusammengewürfelten Zahlenwerk tatsächlich erfasst wird.

„Mangelnde Teilhabechancen, Knappheiten an Lehrkräften, fehlende digitale Ressourcen – das sind die offensichtlichsten Probleme des deutschen Bildungssystems. Die Corona-Pandemie verschärft diese Schwierigkeiten. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse des vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erstellten INSM-Bildungsmonitors 2020“, meldet die INSM.

Mangelnde Teilhabechancen, Knappheiten an Lehrkräften, fehlende digitale Ressource?

Keine einzige dieser Dimensionen wird in dem bunten Zahlensalat erfasst.

Auch wenn INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr diesmal sogar ein bisschen recht hat, wenn er sagt: „Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das Bildungssystem in Deutschland, besonders im Bereich der digitalen Ausstattung, massive Defizite aufweist. Jahrelange Versäumnisse der Politik und träges Handeln der zuständigen Bildungsbehörden müssen jetzt von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern ausgebadet werden. Bildungsferne Familien sind dabei besonders betroffen.“

Was für Worte vom Cheflobbyisten eines auf Effizienz getrimmten Bildungssystems. Eigentlich Grund genug, das seit zehn Jahren verwendete Punktesystem so wie es ist zu nehmen und zu schreddern. Und endlich richtige, belastbare Zielparameter für ein wirklich gutes Bildungssystem zu entwickeln.

Allein die drei oben genannten Dimensionen genommen: Verhältnis von verfügbaren Lehrer/-innen zu Schüler/-innen je Schultyp, Abdeckung mit digitalen Endgeräten je Schüler/-in, Bildungserfolg im Verhältnis zum Einkommen der Herkunftsfamilien usw.

All das findet man in dem Zahlenwerk nicht. Was übrigens dazu führt, dass zentrale Bepunktungen seit Jahren nicht mehr steigen, weil es so eine Steigerung nur gibt, wenn die Kinder und Jugendlichen tatsächlich Bildungserfolge haben.

Aber gerade die, die sowieso schon mit Bleigewichten in den Schulalltag starten, scheitern systematisch. Auch in Sachsen.

Sie kommen seltener ans Gymnasium, plagen sich oft noch in höheren Klassen mit Lern- und Sprachdefiziten herum, weil der Unterricht keine besondere Unterstützung für die vorsieht, die schon mit Manko ins Schulleben gestartet sind. Sie sind auch diejenigen, die überdurchschnittlich oft keinen Schulabschluss schaffen, was im Schulbeamtendeutsch „Schulabbrecherquote“ heißt, als wenn die jungen Leute freiwillig ohne qualifiziertes Zeugnis von der Schule abgehen.

Aber das Gegenteil ist wahr: Ein Land, das seine Kinder ohne guten Bildungsabschluss entlässt, hat versagt, hat seine eigene Aufgabe meilenweit verfehlt.

Es ist nämlich nicht Aufgabe der Bundesländer, die Effizienzquoten der INSM zu erfüllen, sondern allen Kindern eine qualifizierte Bildungsgrundlage mitzugeben. Nicht die Kinder sind schuld daran, wenn sie den Abschluss nicht schaffen, sondern jene Politiker, die jahrelang zu wenige Lehrer eingestellt haben, die Lehrpläne vollgestopft haben mit technischem und meist unnützem Wissen, dafür all jene Lerneinheiten wegrationalisiert haben, in denen Kinder das Denken lernen, die Fähigkeiten zum Wissenserwerb und zum Lösen von Problemen erlernen.

Eigentlich sagen es auch die Ausbilder in den Lehrbetrieben jedes Jahr aufs Neue: Sie können mit diesen mit Wissen-Junkfood gemästeten Lehrlingen nichts anfangen, weil ihnen grundlegende Lösungskompetenzen, Maßstäbe und Lernfähigkeiten fehlen.

Ergebnis auch und gerade in Sachsen: Eine enorm hohe Wechselquote in der Berufsausbildung, die die INSM ebenfalls nicht erfasst, sonst würde man vielleicht auch merken, dass das eben kein erfolgreiches Bildungssystem sein kann, wenn tausende junger Menschen weder wissen, was sie können, was sie wollen, noch welche Kompetenzen sie dafür brauchen.

Man denkt die ganze Zeit: Die wirtschaftsnahe Lobby-Organisation INSM müsste doch eigentlich lauter Erwartungen der Wirtschaft an Schule auch in einen Wertekatalog übersetzen können. Tut sie aber nicht.

Eher begünstigt sie Tricksereien und bewertet das langjährige stockkonservative Bildungsland Sachsen mit Parametern, die nicht die Bohne aussagen über den tatsächlichen Erfolg des Bildungssystems. Noch immer hat Sachsen eine der höchsten „Schulabbrecher“-Quoten in Deutschland. Die IQB-Testerfolge in den 4. und 9. Klassen sagen nichts aus über die tatsächliche Schulqualität. Weder werden die Klassenstärken untersucht noch die Ausstattung mit digitalen Endgeräten, weder der Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund noch die Ausstattung mit Sozialarbeitern, weder die Vielzahl zur Auswahl stehender Schultypen noch die Erfolgsquoten von Spezialschulen.

Hätte sich Sachsen um all diese Dinge gekümmert, hätte es ihm übrigens nichts genützt, den eigentlich sehr mittelmäßigen Wert von 66,9 Punkten zu verbessern. Stattdessen gab es 2,7 Punkte weniger gegenüber 2013. Vielleicht weil man bei der INSM meint, dass die Zahl der Berufsausbildungsplätze in Sachsen zu gering ist, obwohl man auch dort weiß, dass die Hälfte der Schulabgänger auch in Sachsen ein Hochschulstudium anstrebt.

Und das sind nur die Schulen. Bei den Hochschulen werden die Bewertungen noch willkürlicher, beklagt die INSM doch tatsächlich, dass Sachsen die neoliberale Bologna-Reform nicht noch weitergetrieben hat, obwohl die prekären Verhältnisse in den Hochschulen heute schon jede mittel- und langfristige Perspektive für Forschung und Lehre unterlaufen.

Wirklich belastbare Forschung ist mit Bologna gar nicht möglich. Ganze Stäbe von Mitarbeitern sind nur noch damit beschäftigt, Drittmittel einzuwerben, also die Unabhängigkeit von Forschung völlig zu untergraben und die Wissenschaft zur Magd der Geldgeber zu machen.

Schade ist nur, dass es in Deutschland kein wirklich unabhängiges und kompetentes Institut gibt, das wirklich mal einen belastbaren Index für ein gutes Bildungssystem entwickelt.

So bleibt nur dieser jährliche Ärger über das INSM-Punktesystem, das nicht mal den meist wenig bildungskompetenten Kultusministern eine Richtschnur gibt, wo man das Bildungssystem tatsächlich verbessern kann, sodass es mehr Kinder und Jugendliche zum Erfolg führt, ihnen wirklich echte Lernerfolge verschafft und am Ende Staatsbürger hervorbringt, die nicht nur allerhand Formeln und Sätze beherrschen, sondern ihre erlernten Kompetenzen auch in Beruf und Leben fruchtbringend anwenden können.

Aber selbst die INSM stellt fest, dass ihr Monitor eigentlich eine Sackgasse ist. So bekommt man keine besseren Schulen.

Sie selbst schreibt: „Insgesamt ergibt sich über alle Handlungsfelder der Studie seit 2013 eine Stagnation der Ergebnisse. Verbesserungen gibt es bei der Internationalisierung der Bildungssysteme und beim Ausbau der Förderinfrastruktur durch Ganztagsschulen. Der Bildungsmonitor 2020 zeigt aber deutlich, dass in den Handlungsfeldern Schulqualität, Integration und Bildungsarmut die größten Verschlechterungen bereits vor der Coronakrise festzustellen sind. Empirische Studien zeigen deutlich: die Bildungsarmut und fehlende Chancengleichheit drohen sich durch die Schulschließungen während der Coronakrise noch weiter zu verschärfen. Der Kaltstart beim digitalen Fernunterricht konnte die negativen Effekte nicht voll kompensieren.“

Was für wahre Worte.

Nur haben sie nichts, aber auch gar nichts mit diesem Monitor zu tun. Es sind Beobachtungen, die völlig abseits der seltsamen Parameter getroffen wurden, die im Monitor bepunktet werden.

Übrigens im Auftrag der INSM von jenem Wirtschaftsinstitut, das sich stets der größten Wirtschaftsnähe rühmt: dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Was natürlich die Frage aufwirft: Hat die tonangebende deutsche Wirtschaft keine Ahnung von Bildung oder hat man am IW keine? Oder summieren sich hier einfach die alten und falschen technokratischen Vorstellungen von Bildungsproduktion nach Betriebswirtschaftslehre zu einem gewaltigen Irrtum, der mit dazu beiträgt, dass immer mehr Deutsche so herzlich unfähig sind, die Welt wissensbasiert und kompetent zu verstehen?

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