„Wieder Platz 1 im Bildungsmonitor!“, jubelt die CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag. Und auch der CDU-Bildungsminister jubelt. Als wäre Sachsens Bildungssystem nicht längst eine einzige Notlösung, mit überlasteten Lehrern, fast 9 Prozent Stundenausfall und einer viel zu hohen Zahl an Schülern, die die Schule ohne Abschluss verlassen.

Aber den jährlichen Bildungsmonitor der INSM feiern Sachsens Kultusminister, als wäre es tatsächlich ein Instrument zur Messung von Bildungserfolg. Ist es aber nicht und war es auch nie. Nur ein Werkzeug zur Durchflussoptimierung, auch wenn es die INSM gern anders verkauft.

Das klingt dann zum Beispiel so: „Seit 2013 gab es in den Bundesländern steigende Anstrengungen bei den Bildungsausgaben und der Förderinfrastruktur. Trotz dieser Bemühungen haben sich die Ergebnisse in den Handlungsfeldern Schulqualität, Bildungsarmut und Bildungsgerechtigkeit/Integration verschlechtert. Das heißt, das Geld wird nicht effizient und optimal eingesetzt.“

Das sind eigentlich deutliche Worte, selbst aus dem Hause INSM, die die Ergebnisse am Montag, dem 8. September, vorstellte. Und Sachsens Kultusminister brachte es sogar fertig, sich mit ins Podium zu setzen.

Ob er verstanden hat, was da gesagt wurde?

Studienleiter und Bildungsökonom Professor Dr. Axel Plünnecke vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln: „Die Ergebnisse der letzten zwölf Jahre zeigen, dass steigende Bildungsausgaben und bessere Betreuungsrelationen allein nicht ausreichen, um die Qualität im Schulsystem zu sichern. Die Herausforderungen in den Handlungsfeldern Schulqualität und Bildungsarmut sind deutlich gestiegen. Wir müssen uns von den Erfahrungen erfolgreicher Länder wie Dänemark und Kanada leiten lassen und eine Kultur der datengestützten Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung schaffen, mit mehr Autonomie für die Schulen.“

Alles klar? Selbst der Bildungsmonitor ist nur ein Marketinginstrument, um die Schulen noch weiter durchzuökonomisieren. Qualifizierte und engagierte Lehrer/-innen kommen da gar nicht mehr vor. Auf eine Lehrerin/ einen Lehrer kommen in Sachsen übrigens 31 Schüler. Das ist nur ein mauer 7. Platz im Ranking. Auch wenn es in anderen Bundesländern noch schlimmer aussieht.

Besser, immer besser

Und was sagt der sächsische Bildungsminister Conrad Clemens dazu? „Sachsen steht zum 20. Mal in Folge an der Spitze des INSM-Bildungsmonitors. Gegenüber dem Vorjahr konnten wir uns sogar noch weiter verbessern. Ein Ergebnis, das wir unserem kontinuierlichen Einsatz für die beste Bildung, aber vor allem unseren engagierten Lehrkräften im sächsischen Bildungssystem zu verdanken haben.“

Auf diesem Erfolg ruhe Sachsen sich jedoch nicht aus, so der Minister. „Mit dem Projekt ‚Bildungsland Sachsen 2030‘ haben wir einen langfristigen Fahrplan entwickelt, um die Qualität unseres Bildungssystems weiter zu verbessern und allen Kindern und Jugendlichen in Sachsen die besten Lern- und Entwicklungschancen zu ermöglichen.“

Das mit dem „verbessern“ ist darauf bezogen, dass Sachsen im Vergleich zum Vorjahr die erreichte Gesamtpunktzahl von 64,1 auf 65,4 (wieder) steigern konnte. Gegenüber dem ersten Jahr des Monitors – 2013 – waren es hingegen 0,2 Punkte weniger. Andere Bundesländer wie Hamburg, Saarland oder Berlin haben über die Jahre hingegen tatsächlich zugelegt. Was aber nicht heißt, dass die Bildungsangebote für die jungen Leute tatsächlich besser geworden sind.

Aber auch INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben tutete in das Horn: „Sachsen zeigt, dass man sich kontinuierlich verbessern kann. Aber insgesamt ist es erschreckend, dass das Bildungsniveau in Deutschland seit Jahren sinkt. Wir brauchen dringend eine bildungspolitische Wende, für mehr Qualität. Unsere Umfrage zeigt, dass die Bevölkerung das auch will: von verpflichtenden Sprachtests im Kita-Alter über mehr Autonomie für Schulen und mehr Vergleichbarkeit durch Leistungstests.“

Nein: Sachsen zeigt eben nicht, wie man sich „kontinuierlich verbessern kann“. Im Gegenteil: Die Hauptparameter des sächsischen Bildungssystems verschlechtert sich. Und an der entscheidenden Stelle hat das System sogar ein Riesenloch. Das stellt sogar die INSM fest: „Verbesserungspotenzial besteht in Sachsen noch bei der Schulabbrecherquote (Sachsen 8,5 Prozent; Bundesdurchschnitt 7,1 Prozent).“ Das ist nun einmal Zeichen dafür, dass viel zu viele Schüler durchs System fallen.

Das Beste in Deutschland?

Formidabel fand natürlich auch der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Holger Gasse die neuen Ergebnisse: „Dies ist eine gute Nachricht für Eltern und Schüler: Trotz Lehrermangel und Unterrichtsausfall ist das sächsische Bildungssystem das Beste in Deutschland und der schulische Erfolg kann sich sehen lassen! Gegen die bekannten Probleme wird das Maßnahmenpaket zur Absicherung des Unterrichts unseres Kultusministers mittelfristig helfen.“

Das ist schon stark, die Formel „trotz Lehrermangel und Unterrichtsausfall“ in so einem Lob mit unterzubringen. Aber Holger Gasse meint das ernst: „Bildung hat nachweislich in Sachsen auch in schwierigen gesamtwirtschaftlichen Zeiten und einer angespannten Haushaltslage oberste Priorität. Die Ergebnisse des Bildungsmonitors bestärken uns zum nunmehr zwanzigsten Mal darin, die Kontinuität unseres gegliederten Schulsystems auch weiterhin zur Grundlage unseres bildungspolitischen Handelns zu machen.

Oberste Priorität hat dabei auch weiterhin die Unterrichtsabsicherung, mit aller Konsequenz. Die Maßnahmen, die wir seit 2019 zur Ausbildung und Einstellung von Lehrkräften umsetzen, zeigen positive Wirkung. Das belegen auch die aktuellen Einstellungszahlen. Zufrieden sind wir damit zwar noch nicht, aber im Vergleich der Bundesländer sind wir auf einem guten Weg.“

Das peinliche Ritual um die „Bildungsstudie“ der Unternehmerlobby

Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Luise Neuhaus-Wartenberg, sieht das natürlich anders. Denn der „Bildungsmonitor“ sagt nun einmal nichts über die tatsächlichen Bildungserfolge in Sachsen.

„Ich hatte gehofft, dass der neue Kultusminister das alljährliche peinliche Ritual um den dubiosen ,Bildungsmonitor‘ der Unternehmenslobbygruppe ,Neue Soziale Marktwirtschaft‘ beenden würde. Wenigstens leise Zweifel an dieser sogenannten Studie hätte ich mir gewünscht“, meldete sich Neuhaus-Wartenberg am Dienstag zu Wort.

„Seit 20 Jahren erweckt die INSM einmal im Jahr den trügerischen Eindruck, Sachsens Bildungssystem bewertet zu haben, und setzt den Freistaat auf Platz 1. Umgehend jubeln Regierung und CDU, weil angeblich alles bestens läuft, und die Medien berichten über den angeblichen Spitzenplatz. Dieser Blick aus einer ‚ökonomischen Perspektive ist eine ebenso durchschaubare wie kaum hilfreiche Verkürzung, die Studie nicht mehr als ein PR-Instrument. Zurück bleibt Kopfschütteln, nicht zuletzt bei vielen Eltern.“

Die INSM ist genauso wenig unabhängig wie das IW.

„Mit ihrer ‚Studiebeurteilt die Wirtschaft das, was ihr wichtig ist. Das Gesamtbild zeigt sie nicht. Eine Untersuchung im Auftrag von Unternehmen fragt eben nicht, was die jungen Leute brauchen, sondern nur, ob sie schon das wissen, was die Wirtschaft später von ihnen brauchen wird“, kommentiert Neuhaus-Wartenberg den „Bildungsmonitor“.

„Wir schauen nicht auf Lobbygruppen, sondern in die Schulen, und sehen erheblichen Handlungsbedarf. Auch fünf Jahre nach deren Einführung muss man Gemeinschaftsschulen in Sachsen mit der Lupe suchen – die Familien sollten sich aber am besten überall für längeres gemeinsames Lernen entscheiden können. Moderne Unterrichtskonzepte haben es nach wie vor schwer.

Die Entlastung der Lehrkräfte durch weiteres Fachpersonal kommt kaum voran. Es gibt hohe Abbruchquoten sowohl in der Schule als auch im Lehramtsstudium. Weiterhin fallen hunderttausende Schulstunden aus. Und immer noch müssen Kinder und Jugendliche hungrig lernen, weil es keine kostenfreie Mittagsversorgung gibt. Ein Spitzenplatz sieht anders aus!“

Es ist kein Qualitätsmonitor

Und was sagen diejenigen dazu, die sich mit Bildung in Sachsen tatsächlich professionell befassen?
Die Bildungsgewerkschaft GEW Sachsen kritisiert die jährliche Veröffentlichung als Instrument für Wirtschaftsinteressen statt für Bildungsqualität.

„Der Bildungsmonitor bemisst allein den Beitrag des Bildungssystems zur Wirtschaft. Er ist kein Qualitätsmonitor, sondern ein Instrument für Wirtschaftsinteressen“, erklärt Burkhard Naumann, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW in Sachsen. „Es ist peinlich, dass das Kultusministerium Jahr für Jahr den vermeintlichen Erfolg nutzt, um von den eigentlichen Problemen im Bildungssystem abzulenken.

Mit der Teilnahme des Kultusministers an der Pressekonferenz des Bildungsmonitors in Berlin ist dabei ein neuer Höhepunkt erreicht. Die Beschäftigten an Kitas und Schulen geben tagtäglich ALLES für die Bildung der Kinder und Jugendlichen unter immer schlechteren Bedingungen: Der Alltag ist geprägt von Personalmangel, Abordnungen und Mittelkürzungen. Anstatt sich mit uns an einen Tisch zu setzen und die Probleme ernsthaft anzugehen, fährt Kultusminister Clemens extra nach Berlin, um sich für Wirtschaftsinteressen einspannen zu lassen.“

Der von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden finanzierte Auftraggeber INSM verkaufe die Studie gern als „Bildungscheck“, geht die GEW auf das seltsame Marketinginstrument der INSM ein. „Doch das ist sie nicht. Die Auswahl der Kriterien für die Bewertung erfolgt nach bildungsökonomischen Gesichtspunkten, wie in der Studie nachzulesen ist.

Als Beispiel: Die Schulqualität wird ausschließlich an den Ergebnissen von Kompetenztests gemessen. Dabei gehören jedoch auch Faktoren wie der Umgang mit Heterogenität, Inklusion, die digitale Ausstattung, wenig Unterrichtsausfall, Arbeit in multiprofessionellen Teams und das Schulklima zur Qualität einer Schule.

Dass Sachsen so gut in den Kompetenztests abschneidet, ist allein der Verdienst der Lehrkräfte, die trotz schlechter Rahmenbedingungen nach wie vor guten Unterricht anbieten. Doch mit der sinkenden Qualität angesichts des Lehrkräftemangels und der neuerlichen Maßnahmen des Kultusministeriums droht auch das zu kippen.“

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Sehr gut, lieber Autor, wie Sie die Selbstbeweihräucherung der sächsischen Offiziellen darlegen. Und ansonsten fällt mir eines meiner Lieblingswörter ein: Meßbarkeitsillusion. Ich habe es meiner Erinnerung nach aus dem Buch “Sinnlose Wettbewerbe” von Mathias Binswanger (einem Professor für Volkswirtschaftslehre an der FHNW am Standort Olten) aus dem Jahr 2010. Ich empfehle einen Text von Binswanger aus der “Weltwoche” vom 4.7.2013: https://www.mathias-binswanger.ch/inhalt/Zeitungsartikel/Kompetenz_ohne_Wissen_Lehrplan21.pdf

Der Niedergang des Bildungssystems geht einher mit dem verkrampften Versuch, die vermeintlichen Bildungserfolge messen zu wollen. Gemäß der Managerweisheit “Was man nicht messen kann, kann man nicht managen”. Tja, es war, ist und bleibt schwer, solchem Geschwätz beständig standzuhalten.

Hinsichtlich der Besetzung der bildungspolitischen Fraktionssprecherinnenstelle von “Die Linke” mit Luise Neuhaus-Wartenberg hadere ich dennoch. Schade bleibt, daß Conny Falken, ihre Vorgängerin mit klar mehr Format, 2019 aus dem Landtag ausscheiden mußte.

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