Wenn der Doktor selbst ganz offiziell feststellt, dass die Medizin wohl doch die falsche war, sollte man vielleicht den Arzt wechseln. Oder darüber nachdenken, warum 20 Jahre klinische Beobachtung durch die INSM am Ende ein Bildungssystem bestärkt haben, das noch kaputter ist als zu Beginn der Beobachtung. Auch Sachsen hat keinen Grund zum Jubeln mehr, obgleich Sachsens CDU trotzdem jubelt: „Spitze!“

Dabei klingt selbst die Einschätzung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) diesmal von Anfang an ernüchternd: „Das Bildungsniveau in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert. Vor allem in den Bereichen Schulqualität, Integration und Bildungsarmut gibt es negative Entwicklungen.“

Und unter den durch die Bank kriselnden Bundesländern liegt Sachsen weiter ganz vorn an der Spitze, hat sich aber selbst in der INSM-Wertung verschlechtert: „Im aktuellen Ländervergleich schneiden erneut Sachsen, Bayern und Thüringen am besten ab. Allerdings ist auch in Sachsen und Thüringen das Niveau in den letzten zehn Jahren gesunken, in Bayern nur minimal gestiegen. Besonders große Herausforderungen haben die drei Schlusslichter Brandenburg, Berlin und Bremen. Baden-Württemberg, aktuell auf Platz 5 im Ländervergleich, hat gegenüber 2013 am deutlichsten verloren (- 9,6 Punkte).“

Ist die Migration schuld?

Der Studienautor Prof. Dr. Axel Plünnecke vom wirtschaftsnahen IW glaubt die Ursache gefunden zu haben: „Die Kitas und Schulen haben noch keine gute Antwort darauf gefunden, dass die Schülerschaft in den vergangenen Jahren deutlich heterogener wurde, ein steigender Anteil zu Hause nicht Deutsch spricht oder nur wenige Bücher im Haushalt besitzt.

Die Folge: Die Ergebnisse von Kindern aus Haushalten mit Migrationshintergrund oder von bildungsfernen Haushalten sind besonders stark gesunken. Leichte Verbesserungen bei der Ganztagsinfrastruktur und den Betreuungsrelationen konnten diese Verschlechterungen der Bildungsergebnisse nicht umkehren. Es fehlt an Qualität beim Ganztag und an gezielter Förderung. Internationale Vergleiche zeigen, dass es anderen Ländern besser als Deutschland gelingt, den Bildungserfolg von der familiären Herkunft zu entkoppeln.“

Aber die Rezepte, die das von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesverband der Deutschen Industrie getragenen Instituts in Köln vorschlägt, sind wieder einmal die alten: „Die Forscher des IW Köln fordern unter anderem einen Ausbau der frühkindlichen Bildung, mehr Schulautonomie, jährliche Vergleichsarbeiten in allen Klassenstufen, gezielte Förderung und bessere Verwaltungsstrukturen. Auch werden mehr hochwertige Ganztagsangebote gebraucht. Das Angebot an Lehrkräften müsse durch zielorientierte Zulagen gesichert werden. Es sollten die Chancen der Digitalisierung besser genutzt sowie demokratische Kompetenzen und Weltoffenheit vermittelt werden.“

Schlusslicht in Sachen Integration

Daran aber, dass der INSM-Bildungsmonitor das Bildungssystem wie einen auf Effizienz getrimmten Automaten betrachtet, hat sich nichts geändert. Auch wenn der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag, Holger Gasse, jubelt: „Wir danken allen, die diesen Erfolg ermöglicht haben. Besonders unseren engagierten und leistungsbereiten Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern. Sie vermitteln den Kindern nicht nur wichtiges Wissen, sondern auch Kompetenzen, um im künftigen Leben zu bestehen und in eine erfolgreiche berufliche Zukunft zu starten. Das Ergebnis erinnert uns aber auch daran, die Bildung in Sachsen stetig weiterzuentwickeln. Nur so kann Sachsen seinen Platz an der Spitze weiter behaupten.“

Nur wird Bildung in Sachsen eben nicht stetig weiterentwickelt. Ausgerechnet beim Themas Integration ist Sachsen im sogenannten Dynamikranking, das die Veränderungen in den vergangenen zehn Jahren zeigt, völlig abgeschmiert und mittlerweile Schlusslicht in Deutschland. In diesem Messfeld stecken diese einzelnen Indikatoren:

Anteil der ausländischen Schulabgänger ohne Abschluss
Studienberechtigtenquote von ausländischen Jugendlichen an allgemeinbildenden Schulen
Studienberechtigtenquote von ausländischen Jugendlichen an beruflichen Schulen
Steigung des sozialen Gradienten – Lesen (IQB 4. Klasse)
Varianzaufklärung – Lesen (IQB 4. Klasse)

Und das hat wieder mit dem Indikator „Betreuungsbedingungen“ zu tun, der sich in Sachsen ebenfalls deutlich verschlechtert hat. Und da stecken dann die Klassengrößen drin, die Lehrer-Schüler-Relationen, die erteilten Unterrichtsstunden. Dies hat wiederum mit vorhandenen Lehrerinnen und Lehrern zu tun.

Wenn Lehrer nur noch Fließbandarbeiter sind

Aber nicht nur. Sondern auch mit der Anziehungskraft des Lehrerberufes, die in Sachsen massiv gelitten hat. Denn natürlich wird ein Berufsfeld völlig unattraktiv, wenn Lehrer nur noch dazu da sind, die Kinder für Testate, Vergleichstests und effektive Marktbefähigung zu trainieren – aber kein Raum mehr bleibt, Kindern tatsächlich die Welt der Bildung zu erschließen und Schule als Ort der Persönlichkeitsentwicklung zu gestalten.

Abfragbare Wissenshappen sind keine Bildung. Und wenn dann – wie in Sachsen – über Jahre der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern auch noch bewusst in Kauf genommen wurde, fällt nicht nur wertvoller Unterricht aus und werden gerade „Blümchenfächer“ gern gestrichen, dann verlieren die Kinder auch jede Motivation und die Lehrerinnen und Lehrer brennen aus. Ergebnis: Ein System aus Stress, Unlust und Überforderung.

Sparen an der falschen Stelle

Und eine richtige Ohrfeige für die sächsische Sparwut gab es beim Punkt „Ausgabenpriorisierung“. Auch da ist Sachsen in den letzten zehn Jahren abgeschmiert. Hier geht es um die Bildungsausgaben pro Schüler und Studierende. Platz 13 für Sachsen. Nur Thüringen und Sachsen-Anhalt geben noch weniger aus.

Im Ergebnis hat sich die Betreuungsrelation in Sachsens Schulen markant verschlechtert, stellt selbst die INSM fest: „Auch bei der Schüler-Lehrer-Relation in der Sekundarstufe I (ohne Gymnasien) weist Sachsen mit 14,1 den schlechtesten Wert aller Bundesländer auf (Bundesdurchschnitt: 12,9). Unterdurchschnittliche Betreuungsrelationen weist Sachsen darüber hinaus auch in den Grundschulen, in der Sekundarstufe II, in den beruflichen Vollzeitschulen und an den Hochschulen auf.“

Das ist zwar auch einer der besonders von Betriebswirtschaft geprägten Wertungspunkte der INSM. Aber er zeigt eben auch, dass der „Betrieb“ in Sachsen falsch geleitet wird und miserabel finanziert ist. Übrigens ein Ergebnis extremer Zentralisierung, das just dann entsteht, wenn überforderte Regierungen ein ganzes Politikfeld unbedingt zentral steuern wollen und den eigentlich ausgebildeten Fachleuten vor Ort kaum noch Handlungsmöglichkeiten lassen, selbst Lösungen zu finden. Noch ein Grund, warum das sächsische Bildungssystem für Menschen, die wirklich Lehrer werden wollen, höchst unattraktiv ist.

Die „Bildungsexperten“ aus der Wirtschaft

INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben fordert dann mal wieder eine „Zeitenwende in der Bildungspolitik“, ohne wahrzunehmen, dass der „Bildungsmonitor“ selbst mit dafür gesorgt hat, dass in deutschen Schulen falsche Entscheidungen getroffen wurden.

Deutschland verliere in vielen Bereichen den Anschluss an die Weltspitze, seit einigen Jahren auch in der Bildungspolitik, so Alsleben: „Bildung ist der Schlüssel, um Deutschland aus der Abwärtsspirale zu holen. Wann handeln Bund und Länder endlich?“

Man könnte auch fragen: Wann hören die großen Wirtschaftsverbände auf, den Menschen zu erklären, wie Bildung „funktioniert“?

Sie können es selbst nicht. Und ihre Ratschläge haben langfristige Folgen, die die Kinder dann ausbaden müssen. Bei Bildung geht es nicht um „Effizienz“.

Das stellt auch Burkhard Naumann, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW in Sachsen, fest, nachdem er das neue Zahlenprodukt aus dem Hause INSM gelesen hat.

„Der Bildungsmonitor ist ein marktwirtschaftliches Benchmarking und kein Qualitätsmonitor der Bildung“, sagt Naumann. „Der von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden finanzierte Auftraggeber verkauft die Studie gern als ‚Bildungscheck‘. Doch das ist sie nicht. Die Auswahl der Kriterien für die Bewertung erfolgt nach bildungsökonomischen Gesichtspunkten, wie in der Studie nachzulesen ist.“

Bildung hat nichts mit Leistungstests zu tun

Und dann kommt er gleich auf den falschen Charakter der auch dem „Bildungsmonitor“ zugrunde gelegten Vergleichstests zu sprechen: „Als Beispiel: Die Schulqualität wird ausschließlich an den Ergebnissen von Kompetenztests gemessen. Dabei gehören jedoch auch Faktoren wie der Umgang mit Heterogenität, Inklusion, die digitale Ausstattung, wenig Unterrichtsausfall, Arbeit in multiprofessionellen Teams und das Schulklima zur Qualität einer Schule. Dass Sachsen so gut in den Kompetenztests abschneidet, ist allein der Verdienst der Lehrkräfte, die trotz schlechter Rahmenbedingungen nach wie vor guten Unterricht anbieten. Doch mit dem Lehrkräftemangel droht auch das zu kippen.“

Und er sieht eine grundlegende Kritik der GEW selbst durch den „Bildungsmonitor“ bestätigt: „Trotz der Kritik zur Einordnung der Studie sind die Einzelergebnisse interessant. Wie andere Studien kommt nun auch der Bildungsmonitor zum Schluss, dass Sachsen bei der personellen Ausstattung an Kitas und bei der Schüler-Lehrer-Relation bundesweit am schlechtesten aufgestellt ist. Ähnlich ist es bei der Digitalisierung im Bildungssystem. Die Beschäftigten an den Bildungseinrichtungen fragen sich deshalb, wie Sachsen trotz der schlechten Bedingungen regelmäßig Platz 1 beim Bildungsmonitor werden kann.“

Eine gute Frage.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar