Leipzig hat ein Problem mit der Fachkräftesicherung. Monat für Monat meldet die Arbeitsagentur Leipzig über 9.000 freie Stellen, viele davon mit hoher Qualifikation. Ein Problem, das nicht neu ist, sondern die Stadt seit 2016 beschäftigt. Dafür wurde damals extra die Fachkräfteallianz Leipzig (FKAL) gegründet. In der Ratsversammlung am 18. Oktober wurde dafür die „Evaluation der Fachkräfteallianz Leipzig und Anpassung an neue Herausforderungen“ zur Information gegeben.

Aber die schlichte Wahrheit dazu sprach dann Linke-Stadträtin Dr. Olga Naumov aus. Eigentlich wird über solche Informationsvorlagen –wie in diesem Fall aus dem Dezernat Wirtschaft, Arbeit und Digitales – nicht groß diskutiert. Es sei denn, es soll etwas Wesentliches an der Arbeit so eines Gremiums geändert werden.

Doch das kann Leipzig leider an der entscheidenden Stelle nicht. Die Stadt kann zwar Projekte und Unterstützungsangebote fördern. Aber sie kann an der eigentlichen Stellschraube, wo Leipzig Jahr für Jahr junge Menschen verloren gehen, nichts ändern.

Genau darauf wies Olga Naumov hin, auch wenn sie vor allem die Fraktionen im Stadtrat ansprach. Aber das Problem sitzt woanders – eigentlich im Dresdner Kultusministerium.

Das Landesamt für Schule und Bildung Leipzig ist zwar Mitglied in der Leipziger Fachkräfteallianz. Aber auch das kann die Probleme nur „nach oben“ melden. Wo man sich in Sachsen seit Jahren schwerhörig stellt. Denn die drei Probleme, die Olga Naumov ansprach, haben allesamt mit einem immer weiter wachsenden Lehrermangel, fehlender Betreuung und Unterstützung, falsch gewichteten Lehrplänen und einem falschen Verständnis von Bildung zu tun.

Jahr für Jahr feiert sich die sächsische Regierung zwar als Primus im immer neuen Bildungsranking der INSM. Aber dieses Ranking zeigt eben keine Bildungserfolge, sondern nur das Funktionieren eines verschlankten und auf Effizienz getrimmten Bildungssystems. Mit welchem Erfolg die Kinder und Jugendlichen am Ende ins Leben entlassen werden, offenbart es nicht.

Und damit eben auch nicht das systematische Scheitern sächsischer Bildungspolitik gerade für jene jungen Menschen, die sowieso schon mit Erschwernissen in ihre Bildungslaufbahn eintreten.

Vergeudete Talente

Und so benannte Naumov die manifest nicht vorhandene Lese- und Schreibkompetenzen. Das betrifft jedes Jahr auch tausende sächsische Schülerinnen und Schüler. Ohne diese früh erworbenen Kompetenzen aber habe sie praktisch keine Chance, die Schule mit Erfolg abzuschließen und später einen Beruf ihrer Wahl ergreifen zu können.

Rund 10 Prozent der Leipziger Schulabgänger bleiben ohne qualifizierten Abschluss. Auch das ein Thema, das Leipzig selbst nicht lösen kann – auch nicht mit flächendeckend eingesetzten Sozialarbeiter/-innen. Hier versagt ein sächsisches Bildungssystem, das den Aussiebe-Mechanismus verinnerlicht hat. Und ganz offensichtlich hat bislang kein sächsischer Kultusminister begriffen, was es bedeutet, wenn man jedes Jahr 10 Prozent eines Jahrgangs mit derart miserablen Chancen ins Leben entlässt.

Und dabei bleibt es ja nicht, wie Olga Naumov noch anmerkte, denn selbst die Schulabschlüsse, die viele Jugendliche in Sachsen bekommen, sind das Papier nicht wert, auf dem sie ausgefertigt wurden. Das merken dann die Unternehmen, die händeringend nach ausbildbarem Nachwuchs suchen und dann registrieren, dass die jungen Leute nicht mal die nötigen Grundkenntnisse mitbringen.

Das können dann auch die in der Fachkräfteallianz ebenfalls vertretenen Kammern nur unzureichend ausgleichen. Denn das resultiert aus einem dysfunktionalen Schulsystem, und falsch gewichteten Lehrplänen.

Und so bleibt der wesentliche Satz aus den Zielen der Fachkräfteallianz auch sieben Jahre nach ihrer Gründung das eigentliche Problem: „Bildungserfolg von Jugendlichen in Leipzig gewährleisten und explizit die Schulabbrecherquoten weiter verringern“.

Falsche Auslese

Das klappt nun einmal nur, wenn das auf Auslese zielende sächsische Bildungssystem endlich reformiert wird und jedes Kind tatsächlich die Chance auf schulischen Erfolg bekommt.

Dass man eigentlich noch immer an denselben Problemen herumdoktert, die auch schon 2016 auf der Tagesordnung standen, macht dieser Satz zur Evaluation der Arbeit der Fachkräfteallianz deutlich: „Im Ergebnis gab es keine wesentlichen Änderungen, da die vorausgehende Version bereits sehr breit verschiedenste Herausforderungen adressiert hat.“

Und dass man einfach nicht vorankommt, macht schon die aktuelle Liste der „Herausforderungen und Potenziale“ deutlich, unter denen man weiterhin den Punkt findet: „überdurchschnittlich hoher Anteil von Schulabgänger/-innen ohne Schulabschluss“.

Recht hat Olga Naumov, wenn sie mahnt, dass sich das ein Land wie Deutschland gar nicht leisten kann und hier regelrecht Talente verliert – und den jungen Menschen kaputte Berufswege beschert, während die Unternehmen den benötigten Nachwuchs nicht (mehr) finden.

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Danke, lieber Autor, Frau Dr. Naumov, ist bestimmt ein Lichtblick im Stadtrat. Letztlich aber lautet deren tieftrauriges Résumé: es geht bergab, und zwar eigentlich überall im Bildungssektor. Und man kann kaum noch was dagegen tun.

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