Am Freitag, dem 27. Januar, preschte das sächsische Kultusministerium mit der Meldung vor: „Bildungsforscher empfehlen Notmaßnahmen zum Umgang mit akutem Lehrkräftemangel“. Was in Sachsen seit zehn Jahren vor sich hinköchelt, ist längst ein bundesweites Problem geworden. Das Peinliche daran ist nur: Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz empfiehlt dieselben falschen Rezepte, die auch in Sachsen nicht funktionieren.

Auch wenn es nur Empfehlungen zum Umgang mit akutem Lehrermangel sind, welche die Kommission den Bundesländern am Freitag vorgelegt hat.

„Die Empfehlungen sind wichtig und in der dramatischen Situation folgerichtig. Sie decken sich an vielen Stellen mit unseren Überlegungen und Vorhaben“, ließ sich Kultusminister Christian Piwarz am Freitag zitieren, wohl wissend, dass es allesamt Vorschläge sind, die zusätzliche Leistungen von den vorhandenen Lehrerinnen und Lehrern fordern.

„Die vorgeschlagenen Maßnahmen greifen zwar mitunter in gewachsene Besitzstände ein, aber wir müssen auch hier den Weg gehen, um dem Lehrkräftemangel wirksam entgegentreten zu können. Die gemachten Empfehlungen einfach abzulehnen und nur ‚Nein‘ zu sagen, wird die Probleme nicht lösen.“

Da hat Piwarz sehr wohl gemerkt, dass die Vorschläge das Problem nicht lösen können.

Was die Kommission vorgeschlagen hat

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) ist ein unabhängiges Beratergremium, bestehend aus 16 Bildungsforschern unterschiedlicher Disziplinen. In ihrer aktuellen Stellungnahme sehen die Bildungsforscher alle Bundesländer vom Lehrkräftemangel mehr oder weniger stark betroffen. Ein Problem, das seit Jahren absehbar war, das man aber nicht gelöst bekommt, wenn man am alten starren Bildungssystem festhält und den Lehrerberuf nicht attraktiver macht. Und damit sind nicht Bezahlung und Beamtenstatus gemeint.

Vor diesem Hintergrund schlägt die Kommission kurz- und mittelfristige Maßnahmen vor, die darauf ausgerichtet sind, das vorhandene Lehrkräftepotenzial bestmöglich auszuschöpfen und auszuweiten. Gleichzeitig räumt das Gremium ein, dass die Maßnahmen eine zusätzliche Belastung für Lehrkräfte mit sich bringen würde und deshalb in der Umsetzung befristet werden müssten.

Unter den Maßnahmen findet sich eine strikte Begrenzung der Teilzeitarbeit für Lehrkräfte, worin die Kommission die größten Reserven sieht. Dabei solle die „Reduktion der Arbeitszeit auf unter 50 Prozent (…) nur bei Vorliegen eng gefasster Gründe (z. B. Betreuung kleiner Kinder) gewährt werden“.

Hinzu kommen eine „Ausweitung der Beschäftigung von Lehrkräften in Ruhestand“, also der Pädagog/-innen über 65 Jahren und ein Ausbau der „670 Assistenzkräfte“ (ohne Schulsozialarbeiter/-innen) in Sachsen auf 750.

Ferner will Sachsen gemäß der SWK-Vorschläge „die Möglichkeit einer befristeten Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung beamteter und tarifbeschäftigter Lehrkräfte (z. B. mittels Einführung sog. Arbeitszeitkontenmodelle) prüfen. Zusätzlich geleistete Stunden können in einem solchen Lebensarbeitszeitmodell in späteren Jahren entsprechend reduziert werden“. Dazu soll eine Art Lebenszeitkonto-Modell entwickelt werden.

Besonders interessant für die Schüler/-innen selbst scheint darüber hinaus die Empfehlung, die Klassengrößen zu erhöhen: von derzeit laut den SWK-Angaben durchschnittlich 21 bis 23 Schüler/-innen pro Klasse aufwärts.

„Bei aller zusätzlicher Belastung muss aber auch allen Akteuren im Schulsystem klar sein, dass die Gesellschaft vor einer historischen Herausforderung steht, die größte Anstrengungen erfordert, um den kommenden Generationen von Schülern ein Unterrichtsangebot zu machen, das ihnen soziale, kulturelle, gesellschaftliche und berufliche Teilhabe ermöglicht“, schreiben die Bildungsforscher in ihrer Stellungnahme.

Was die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) vorschlägt, kann man hier nachlesen.

Deutliche Kritik von der Gewerkschaft: Das löst die Probleme nicht

„Aus sächsischer Sicht wird mit den heute vorgelegten Empfehlungen nicht viel Neues zur Lösung der akuten und weiterhin zu erwartenden Personalprobleme im Schulbereich vorgetragen“, meldete sich noch am Freitag, dem 27. Januar, Uschi Kruse, Landesvorsitzende der GEW Sachsen, zu Wort. „Es werden vor allem Maßnahmen vorgeschlagen, die in unserem Bundesland schon lange Praxis sind und Vorschläge unterbreitet, deren Umsetzung sich angesichts der aktuellen Belastungssituation schlichtweg verbieten.”

Die erst vor kurzem vorgelegte Studie zu Arbeitsbelastung und Arbeitszeit sächsischer Lehrkräfte zeigt nicht nur das erschreckende Ausmaß an Mehrarbeit und Belastung. Sie macht auch die Auswirkungen auf die Qualität schulischer Bildung deutlich. Wer diese Daten ignoriere und die Belastungen weiter steigere, verschlimmere und verlängere die Probleme am Ende, so die GEW.

„Es ist realitätsfern zu glauben, personelle Spielräume entstünden, wenn man etwa der großen Gruppe der älteren Lehrkräfte Teilzeit verweigert, Altersermäßigungen streicht und gleichzeitig die Unterrichtsverpflichtung erhöht. Wir leben zudem in einer Zeit, in der in allen Branchen Nachwuchs gesucht wird. Wer will, dass junge Menschen im Lehrerberuf verbleiben oder sich für ihn entscheiden, darf ihn nicht durch überbordende Aufgabenfülle unattraktiv machen”, betont Uschi Kruse.

Der Lehrkräftemangel und seine Folgen für ganze Schülergenerationen seien dramatisch. Die GEW Sachsen fordert nunmehr seit drei Jahrzehnten ein Personalentwicklungskonzept, das den Herausforderungen gerecht wird.

„Wir stimmen der SWK bei den Empfehlungen hinsichtlich einer umfassenden Aufgabenkritik, der Entlastung von Organisations- und Verwaltungsaufgaben und der Bereitstellung von verlässlich unterstützendem Personal zu. Dass mit dem vor kurzem beschlossenen sächsischen Doppelhaushalt erneut entschieden wurde, keine eigenen Stellen für Assistenzkräfte auszubringen, zeigt, dass man zumindest im sächsischen Finanzministerium die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat”, erklärt Kruse mit Blick auf einen sächsischen Finanzminister, der die Arbeit seines Kollegen im Kultusministerium einfach konterkariert.

Die GEW hat im Dezember eine eigene Vorschlagsliste mit 15 Punkten vorgestellt, wie der Bedarf an Lehrkräften gedeckt werden könnte. Die sich natürlich radikal von der Notlösung der Kultusminister unterscheidet.

Linke-Kritik: Wer Lehrkräfte will, muss Freiheit und gute Arbeitszeiten bieten

Auf den grundlegenden Denkfehler in der Vorschlagsliste der Kultusministerkonferenz weist auch die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Luise Neuhaus-Wartenberg, hin. Denn dahinter steckt das alte und fatale Denken der konservativen Finanzminister, die fest davon überzeugt sind, dass die Menschen immer zu wenig arbeiten. Man kann es auch deutlicher formulieren: Es ist das falsche Bild vom „faulen Lehrer“.

Dass der aber in ein enges Korsett gepresst wird, das Wissen und Bildung nicht als ganzheitliches Konzept versteht, sondern als Fließbandarbeit für genormte Karrieren, werden diese Leute wohl nie verstehen. Und dass dieses Lieferprogramm für Bausteinwissen den Beruf geradezu unattraktiv macht, ebenfalls nicht.

„Die Empfehlungen der KMK sind wirklich hanebüchen. Ich schließe mich der Einschätzung der GEW an. Die Staatsregierung muss alle zumutbaren Mittel ausschöpfen, um mehr Lehrkräfte zu gewinnen. Die beste Werbung für den Lehrkraftberuf sind aber weder Mehrbelastung noch Einschränkungen, sondern gute Arbeitsbedingungen, Gestaltungsfreiheit und Freude“, sagt Luise Neuhaus-Wartenberg.

„Empfehlungen wie größere Schulklassen und mehr Druck, in Vollzeit zu arbeiten, gehen in die falsche Richtung. Die Entscheidung über die eigene Arbeitszeit hängt doch immer von den individuellen Lebensumständen ab. Sachsens Lehrkräfte arbeiten schon jetzt zu viel.“

Die Linke plädiere stattdessen für mehr Sensibilität und Kreativität.

„Es fängt damit an, wie das Landesamt für Schule und Bildung Bewerberinnen und Bewerber anspricht und mit ihnen umgeht. Es geht weiter mit echter Entschlackung, damit Lehrkräfte tatsächlich vor allem unterrichten können“, sagte die Bildungspolitikerin. „Noch mehr nicht-pädagogisches Personal muss ihnen etwa administrative, technische und Kommunikationsaufgaben abnehmen. Ausländische Abschlüsse und Leistungen sollen leichter anerkannt werden. Außerschulische Lernorte wie Bibliotheken, Museen, Konzerthäuser oder Forschungszentren, externe Bildungsträger sowie Akteurinnen und Akteure aus der Berufspraxis sollten in die Unterrichtsgestaltung einbezogen werden. Zudem braucht es attraktive Beschäftigungsangebote für Lehrkräfte im Ruhestand und Lehramtsstudierende als Unterrichtsaushilfen.“

Spannend findet die zumindest die Empfehlung, stärker auf Hybridunterricht und Selbstlernzeit zu setzen.

Kaputt gespartes Bildungswesen

„Das passt zur allgemeinen Entwicklung, dass Schule nicht mehr Wissen eintrichtern, sondern zum selbstständigen Erwerb und Umgang mit Wissen befähigen soll, das heute schließlich allumfassend verfügbar ist. Sachsen muss deshalb dringend an modernen Unterrichtskonzepten arbeiten, wie sie an den wenigen Gemeinschaftsschulen bereits umgesetzt werden“, sagt Neuhaus-Wartenberg. „Das heißt auch: Lehrkräfte sollten nicht mehr für Schularten, sondern für Schulstufen ausgebildet werden. Das bringt Flexibilität.“

Und mit Blick auf Sachsen: „Sachsen zahlt bis heute einen hohen Preis für die bildungspolitische Unfähigkeit der CDU: Jahrelang haben die Staatsregierungen die Geburtenzahlen nicht ernst genommen und Lehrkräfte in Teilzeitarbeit gebracht, um Geld zu sparen. Ohne diese Fehler stünde der Freistaat heute viel besser da, auch wenn die bundesweite Mangelsituation wohl dieselbe wäre. Es ist das Mindeste, stets genug Studienplätze und Stellen vorzuhalten, auch in künftigen Zeiten, wenn weniger Schülerinnen und Schüler nachwachsen. Fällt Unterricht aus, nimmt die Bildungsungerechtigkeit zu, weil die Schulen unterschiedliche Voraussetzungen dann schlechter ausgleichen können.“

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