„Arbeitslosigkeit steigt wegen Wirtschaftsflaute“, titelte die F.A.Z.gleich mal am Donnerstag, 29. August, als die neuen, höheren Arbeitslosenzahlen bekannt wurden. Man hat sich ja in den großen westdeutschen Zeitungen schon seit Monaten in eine Rezessionsstimmung hineingeschrieben. Man weiß, wie man Stimmungen schafft und verstÀrkt. Auch in Leipzig stiegen die Zahlen. Aber die GrÃŒnde sind durchwachsen. Und eine zum Teil selbst angerÃŒhrte Suppe.

Insgesamt waren Ende August in Leipzig 20.554 Menschen, 732 mehr als im Juli, bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter arbeitslos gemeldet. Im Vergleich zum August 2018 waren es 323 mehr.

„Der RÃŒckgang der Arbeitslosigkeit machte im zurÃŒckliegenden Monat einen Zwischenstopp. Der Juli und auch der August sind jedes Jahr von einem saisonbedingten Anstieg gekennzeichnet“, interpretiert der Vorsitzende der GeschÀftsfÃŒhrung der Agentur fÃŒr Arbeit Steffen Leonhardi die Entwicklung.

„Das ist insofern nichts Ungewöhnliches und hat jeweils dieselben HintergrÃŒnde. Ein Teil der frischgebackenen Ausgelernten wurde nicht in ein ArbeitsverhÀltnis durch den Ausbildungsbetrieb ÃŒbernommen oder hat eine außerbetriebliche Ausbildung absolviert und sucht jetzt nach einem Arbeitgeber. Außerdem sind die Sommermonate durch Urlaubszeiten die Monate, in denen auf dem Arbeitsmarkt ÃŒblicherweise die Dynamik etwas nachlÀsst. Bei anhaltend hoher Nachfrage am Leipziger Arbeitsmarkt, auch im August, und einem leichten Wachstum beim Einstieg arbeitsloser Menschen in eine neue BeschÀftigung ist der Zugang aus der ErwerbstÀtigkeit in die Arbeitslosigkeit stÀrker als in den vergangenen Jahren ausgefallen. Das hat insgesamt dazu gefÃŒhrt, dass der August 2019 die gleiche Arbeitslosenquote wie der August 2018 ausweist.“

Eher machen ihn die 323 Arbeitslosen mehr gegenÌber dem Vorjahresaugust nervös.

Aber schmeißen jetzt Leipziger Unternehmen die Leute raus, weil die AuftrÀge zurÃŒckgehen?

Frei gemeldete Stellen nach Branchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Frei gemeldete Stellen nach Branchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

Nicht wirklich. WÀhrend der Bereich „Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung“ gegenÃŒber dem Vorjahresmonat 40 Arbeitslose mehr meldet, liegt die Zahl der ebendort gemeldeten freien Stellen um 297 höher als vor einem Jahr. Das heißt: In Leipzig steigt die Zahl offener Stellen immer weiter an – ganze Teilbranchen können die Stellen nicht besetzen, weil die Bewerber die falschen oder gar keine Qualifikationen haben. Oder weil die Jobangebote nicht ansatzweise familientauglich sind. Die Schere geht immer mehr auseinander.

Was im August tatsÀchlich an ArbeitskrÀften freigesetzt wurde, kann Leonhardio sogar sehr genau sagen.

Erhöhte Arbeitslosmeldungen gibt es besonders aus den Branchen:

Logistik (+231)
Unternehmensorganisation (+174)
Verkaufsberufe (+145)
Darstellende und unterhaltende Berufe (+ 94)
Lehrende und ausbildende Berufe (+79)

Das heißt: Es werden vor allem gering Qualifizierte (Logistik + Verkaufsberufe) freigesetzt, dazu werden Leiharbeiter als erste gekÃŒndigt, wenn die Auftragslage dÃŒnner wird. Das steckt nÀmlich in der Rubrik „Unternehmensorganisation“. Die gesamte Leiharbeitsbranche gerÀt zunehmend in die Krise, seit sie ihre Scharnierrolle als schneller ArbeitskrÀftelieferant verliert. Die Betriebe behalten nÀmlich – auch in flauen Zeiten – die qualifizierten Leute, die sie brauchen, lieber selbst im Haus.

Und selbst Leonhardi schÀtzt ein: Über die Branchen hinweg ist erkennbar, dass die ArbeitnehmerÃŒberlassung/Zeitarbeit zurÃŒckgeht.

Eigentlich ein gutes Zeichen. Es bedeutet fÃŒr qualifizierte ArbeitskrÀfte nun einmal, dass sie nicht immer gleich wieder gefeuert werden, wenn die „Rezession“ zuschlÀgt.

Aber besonders ins Auge fÀllt der hohe Zuwachs bei lehrenden und ausbildende Berufen. Obwohl das Land unter einem eklatanten Lehrermangel leidet, landen immer wieder PÀdagogen in der Arbeitslosigkeit.

Und nicht nur PÀdagogen betrifft das. Selbst die gesamte Gesundheitsbranche, wo allerenden ÃŒber fehlende Ärzte, Pfleger und Schwestern geklagt wird, leistet es sich, die qualifizierten FachkrÀfte in der Arbeitslosigkeit zu lassen. Hier sind die Ursachen mittlerweile deutlich klarer: Arbeitszeiten, die nicht mit Familie vereinbar sind, radikale Personal„verschlankungen“ in allen Betreuungseinrichtungen, hoher Leistungsdruck – so hoch, dass kein Berufsstand stÀrker unter Verschleiß und psychischen Erkrankungen leidet als ausgerechnet der Gesundheitsbereich.

Hier sind sÀmtliche „Gesundheitsreformen“ der vergangenen Jahrzehnte auf die Knochen der BeschÀftigten gegangen, wurden die Milliarden in immer teurere medizinische Produkte umgelenkt, wÀhrend sich die Arbeitsbedingungen so weit verschlechtert haben, dass einige tausend ausgebildete FachkrÀfte beim Arbeitsamt landen und trotzdem nicht vermittelbar sind.

Ergebnis: Auf 2.756 Arbeitslose im Bereich „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“ (220 mehr als vor einem Jahr) kommen 1.401 als frei gemeldete Stellen, 321 mehr als vor einem Jahr.

Das heißt ja wohl im Klartext: Wenn sich die Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich nicht radikal verbessern, wird sich die medizinische Versorgung weiter verschlechtern – und das, obwohl die FachkrÀfte da sind, nur nicht in Lohn und Brot.

Zu den Lehrern und Lehrerinnen könnte man eigentlich genau dasselbe sagen. 30 Jahre neoliberale Sparpolitik und ein veraltetes Kasten-Bildungssystem haben dafÌr gesorgt, dass hunderte LehrkrÀfte beim Arbeitsamt sitzen, obwohl ebenso hunderte Stellen nicht besetzt sind.

Und dazu kommt so ein typisch Leipziger PhÀnomen: Fast die HÀlfte der 8.802 als frei gemeldeten Stellen werden Ìber Zeitarbeitsformen angeboten: 4.175. Ein Angebot, das viele Arbeitsuchende nicht mehr bereit sind anzunehmen, weder Àltere noch junge Arbeitssuchende. In Krisenzeiten (wie etwa 2003 bis 2010) mochte Zeitarbeit als Krisen-Helfer einen Sinn gemacht haben. Aber spÀtestens wenn es darum geht, einen Hausstand zu grÌnden, eine Familie zu planen oder auch nur die ganze Vorsorge fÌrs Alter, genÌgt ein prekÀrer Arbeitsplatz nicht mehr. Dann suchen gerade qualifizierte FachkrÀfte eine feste Anstellung, möglichst nach Tarif bezahlt.

Was eben auch heißt: Arbeitgeber, die noch immer auf prekÀre und hochflexible ArbeitskrÀfte setzen, bekommen ihre Stellen nicht mehr besetzt.

Entwicklung der Arbeitslosigkeit nach SGB II und SGB III in Leipzig. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Entwicklung der Arbeitslosigkeit nach SGB II und SGB III in Leipzig. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

NatÌrlich schlÀgt im August auch noch anderes zu, betont die Arbeitsagentur Leipzig.

So hat das Auslaufen verschiedener arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen Einfluss auf den Zugang in Arbeitslosigkeit. So endete fÃŒr 548 durch die Agentur fÃŒr Arbeit und fÃŒr 1.309 durch das Jobcenter Leipzig geförderte Menschen die Weiterbildung oder BeschÀftigungsmaßnahme. Diese Entwicklung bildet sich analog in den jeweiligen Altersgruppen ab. Bei den jungen Menschen bis 25 Jahren stieg die Zahl der Arbeitslosen innerhalb des letzten Monats um 271 auf 2.166 (Vorjahr: 2.167). Bei den LebensÀlteren in der Altersgruppe ab 50 Jahren wuchs die Arbeitslosigkeit um 130 auf 5.510 Personen (Vorjahr: 5.502).

Und dazu kommt dann auch noch eine Statistikbereinigung, wie die Arbeitsagentur mitteilt: „Seit April 2019 sind die Jobcenter, die als gemeinsame Einrichtungen aus Arbeitsagenturen und Kommunen arbeiten, verpflichtet, DatensÀtze mit möglicherweise fehlerhaftem Arbeitsvermittlungsstatus regelmÀßig zu ÃŒberprÃŒfen und zu aktualisieren. Die ÜberprÃŒfung wirkt sich tendenziell erhöhend auf die Zahl der Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II aus. FÃŒr diesen Agenturbezirk schÀtzt die Statistik der BA die Auswirkungen auf ÃŒber 1 bis max. 2 Prozent.“

Einige Zahlen zum Arbeitsmarkt im August:

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im Vergleich zum August 2018 um deutliche 694 Menschen zurÃŒckgegangen. GegenÃŒber dem Vormonat ist sie um 143 auf 4.618 gestiegen.

Der Zugang in die Arbeitslosigkeit aus der ErwerbstÀtigkeit lag in den letzten vier Wochen bei 2.281 (Juli 2.066, Juni 1.988). Abgemeldet in ErwerbstÀtigkeit haben sich im gleichen Zeitraum 2.074 (Juli 1.973, Juni 2.086) Personen.

Der Bestand an freien Arbeitsstellen hat im August mit 8.802 einen neuen Höchststand erreicht und lag mit 1.046 höher als ein Jahr zuvor. Dieses gilt analog beim Zugang im Vorjahresvergleich, wÀhrenddessen die Wirtschaft und die Verwaltung in den letzten vier Wochen mit 2.040 freien Stellen 173 weniger als im Juli 2019 zur Besetzung gemeldet haben, waren es aber 280 mehr als im August 2018.

Zum statistischen ZÀhltag im August betrug die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig 6,6 Prozent (Vormonat: 6,3 Prozent). Im August 2018 lag diese auch bei 6,6 Prozent.

Im August waren 7.023 Menschen in der Arbeitsagentur im Rechtskreis SGB III arbeitslos gemeldet. Das waren 257 mehr als im Vormonat und 724 mehr als im August 2018. Im Jobcenter im Rechtskreis SGB II waren 13.531 Menschen arbeitslos registriert. Das waren 475 mehr als im Juli und 401 weniger als vor einem Jahr.

In Leipzig gab es im August 33.461 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 42 weniger als im Vormonat und 2.377 weniger als im August des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreute aktuell 42.364 erwerbsfÀhige Leistungsberechtigte. Das waren 179 mehr als im Juli und 2.995 weniger als vor einem Jahr.

Seit Oktober 2018 wurden der Arbeitsagentur Leipzig 3.044 Ausbildungsstellen zur Besetzung gemeldet. Das waren 306 mehr als ein Jahr zuvor. Bei den betrieblichen Ausbildungsstellen betrug der Zuwachs 5,7 Prozent. GegenwÀrtig sind noch 695 Ausbildungsstellen unbesetzt.

Im gleichen Zeitraum meldeten sich 2.930 Bewerberinnen und Bewerber fÃŒr eine Ausbildungsstelle. Das waren 106 oder 3,5 Prozent weniger als vor einem Jahr. Ende August waren noch 522 unversorgt.

Mehr Jugendliche und mehr AuslÀnder arbeitslos gemeldet, Stellenangebot wÀchst weiter

Mehr Jugendliche und mehr AuslÀnder arbeitslos gemeldet, Stellenangebot wÀchst weiter

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“Die gesamte Leiharbeitsbranche gerÀt zunehmend in die Krise, seit sie ihre Scharnierrolle als schneller ArbeitskrÀftelieferant verliert. Die Betriebe behalten nÀmlich – auch in flauen Zeiten – die qualifizierten Leute, die sie brauchen, lieber selbst im Haus.”

Ich weiß nicht, ob ich das richtig verstanden habe. Sind Leiharbeiter unqualifiziert und werden deshalb nicht “im Haus gehalten” ?
Wenn sie aus den Leiharbeitsfirmen entlassen werden, dann nÀmlich auf den Arbeitsmarkt und nicht in die Entleihfirmen. In letzterem Fall erscheinen sie nicht als Arbeitslose in der Statistik.

Die Leiharbeitsbranche war auch nie ArbeitskrÀftelieferant. Vielmehr hat sie den Unternehmen die Arbeitgeberrisiken abgenommen. Zum Beispiel die “atmende Fabrik” ermöglicht.

https://www.nachdenkseiten.de/?p=49327
https://m.youtube.com/watch?v=Zse-KgXFDWg

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