Demoliert sich Sachsens CDU jetzt selbst? Oder lässt sie sich von einigen Abgeordneten demolieren, die sich von den Windbeuteleien der AfD kirre machen lassen und nun auf einmal gemeinsame Koalitionsbeschlüsse nicht mehr mittragen und damit ihr eigenes Führungspersonal beschädigen? Nachdem sie auf diese Weise schon die Zustimmung zum gemeinsam ausgehandelten Agrarstrukturgesetz verweigert haben, wurde jetzt auch noch die geplante Verfassungsänderung zum Opfer.

Am 15. März verweigerte eine Gruppe von CDU-Abgeordnete schon die Zustimmung zum Regierungsentwurf für ein Agrarstrukturgesetz in Sachsen, das den Verkauf von landwirtschaftliche Flächen an Nicht-Landwirte und damit das Landgrabbing unterbinden sollte.

Am Dienstag, dem 26. März, gab es indessen den nächsten Knall und die CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag musste mitteilen: „In den vergangenen Monaten wurden intensive Verhandlungen mit den Koalitionspartnern über eine behutsame Änderung der Sächsischen Verfassung geführt. Auf der heutigen Sitzung des Koalitionsausschusses hat die CDU die Koalitionspartner informiert, dass eine notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit der Koalition mit der Linksfraktion nicht mehr gegeben ist.“

Fünf CDU-Abgeordnete reichen, um das Projekt jetzt zu Scheitern zu bringen.

Hierzu sagte der Erste stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Sören Voigt: „Sachsen hat eine gute Verfassung, die es behutsam weiterzuentwickeln gilt. Dazu haben wir uns zu Beginn der Legislatur entschieden. Diesen Prozess haben wir in den letzten Jahren sehr intensiv mit den Koalitionspartnern geführt. Die Mehrheit der CDU trägt eine Verfassungsänderung grundsätzlich mit.

Aber durch den Austritt eines Mitgliedes sowie die Ablehnung der Verfassungsänderung durch vier Abgeordnete ist eine notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Plenum nicht mehr zu erreichen. Gleichzeitig respektieren wir diese Gewissensentscheidungen der Abgeordneten!“

Bündnis 90/Die Grünen: Ein schlechter Tag für den Freistaat

Der bissige Kommentar aus den Reihen der Koalitionspartner ließ freilich nicht lange auf sich warten.

„Der heutige Tag ist eine empfindliche Niederlage für Ministerpräsident Michael Kretschmer. Eines seiner zentralen Wahlversprechen, die Quoren für die Volksgesetzgebung abzusenken und einen Volkseinwand einzuführen, wird durch einige Abweichler in den eigenen Reihen gebrochen“, erklärte Valentin Lippmann, Parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Verfassung und Recht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag.

„Dies ist aber vor allem ein schlechter Tag für den Freistaat Sachsen. Eine Modernisierung der Verfassung ist längst überfällig. Nach Jahren der intensiven Verhandlungen haben wir einen für alle Fraktionen tragfähigen Kompromiss erzielt, der im Wesentlichen den klaren Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag entspricht. Diesen haben wir im Dezember letzten Jahres in den Landtag eingebracht. Nun müssen wir leider konstatieren, dass die CDU nicht mehr in der Lage ist, die getroffenen Vereinbarungen sicherzustellen.“

Die CDU-Fraktion sei nach diesem Fiasko in der Pflicht, gegenüber dem Land und den Koalitionspartnern deutlich zu machen, dass sie noch vertragstreu hinter den Vereinbarungen dieser Koalition stehe.

„Bei allen inhaltlichen Verwerfungen, war dies in den vergangenen Jahren die Grundlage der parlamentarischen Zusammenarbeit“, so Lippmann. „Als bündnisgrüne Fraktion sind wir bereit, weiterhin konstruktiv im Sinne des Landes die besten Kompromisse zu finden. Das setzt aber voraus, dass mit Blick auf die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, Verlässlichkeit wieder die Maxime dieser Koalition wird und nicht das Lotteriespiel mit parlamentarischen Mehrheiten.“

Linksfraktion: Kretschmer und Hartmann haben ihren Laden nicht im Griff

Weil die CDU-Fraktion zerstritten und die Zwei-Drittel-Mehrheit nicht in Sicht ist, fällt die für diese Wahlperiode geplante Verfassungsänderung aus, stellte dann auch die Linksfraktion fest. Der Landtag werde nicht mehr über den Gesetzentwurf abstimmen, den die Koalition eingebracht hat. Und dabei hätte auch die Linksfraktion geholfen, die Verfassungsänderung, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag nötig ist, zu ermöglichen.

„Der Landesvorsitzende Michael Kretschmer und der Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann haben ihren Laden nicht im Griff. Wer will mit einer Partei regieren, die auf jeden Koalitionsvertrag pfeift?“, fragt sich nun Linksfraktionschef Rico Gebhardt.

„Die geplanten Verfassungsänderungen hätten nicht ausgereicht, aber sie wären ein erster Schritt nach vorn gewesen. Unsere Vorschläge gehen deutlich weiter. Jetzt bleiben die Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide unangemessen hoch und die Investitionsbremse fest angezogen.

Es gibt weder ein Sondervermögen für den sozialen Ausgleich noch eine Privatisierungsbremse, die das öffentliche Eigentum schützt. 16- und 17-Jährige müssen außer bei der Europawahl der Wahlurne fernbleiben, Tierschutz bekommt keinen Verfassungsrang.“

Unterm Strich habe die Koalition die Chance vertan, die seit 1992 kaum veränderte Landesverfassung zu modernisieren. Das „kaum“ bezieht sich auf die Änderung der Sächsischen Verfassung im Jahr 2013, als der Landtag nach Bundesvorbild eine „Schuldenbremse“ in die Verfassung schrieb, die im Land genauso wie im Bund dieselben verheerenden Folgen für die Investitionspolitik mit sich bringt.

„Die Gefahr ist groß, dass die Verfassungsfeinde im Parlament auf absehbare Zeit jede Änderung verhindern können“, stellt Gebhardt fest. „Der CDU sind ihre Parteiinteressen wichtiger als eine gute Zukunft für Sachsen. Grüne und SPD haben sich wie beim Vergabegesetz und beim Agrarstrukturgesetz über den Tisch ziehen lassen, indem sie der CDU offensichtlich vorschnell alle Wünsche erfüllt haben.“

Mehr Demokratie e. V: Scheitern der Verfassungsreform in Sachsen verheerendes Signal

Das Schlimme an diesem Vorgang aber ist, dass die Senkung der Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide ein wichtiges Signal an die Wahlbürger gewesen wäre, dass sie auf die Politik in Sachsen mehr Einfluss bekommen hätten. Entsprechend deutlich kritisiert der Mehr Demokratie e.V. das Scheitern der sächsischen Verfassungsreform im Koalitionsausschuss am 26. März in aller Schärfe.

„Die Reform wurde versprochen, lange verhandelt und nun vergeigt. Das ist ein Armutszeugnis für das Parlament, das nicht in der Lage ist, sich auf eine Stärkung der Bürgerrechte zu verständigen“, sagt Ralf-Uwe Beck, Sprecher des Bundesvorstands von Mehr Demokratie.

Das wesentliche Anliegen der Verfassungsreform wäre die Verbesserung der direkten Demokratie gewesen. Momentan hat Sachsen die bundesweit höchste Hürde für Volksbegehren. Die Hürden sollten halbiert werden.

„Die Bürgerinnen und Bürger hätten endlich richtig mitentscheiden können. So aber bleibt die direkte Demokratie im vergangenen Jahrhundert stecken“, sagt Beck.

Mehr Demokratie befürchtet jetzt, dass so noch mehr Wähler in die Arme der AfD getrieben werden. „Einige scheinen den Ernst der Lage nicht zu begreifen. Wenn eine so wichtige Reform am Ende am Einzelinteresse von Abgeordneten scheitert, fahren wir die Demokratie irgendwann gegen die Wand. Will die CDU eine Volkspartei sein, dann dürfen bessere Volksbegehren nicht an ihr scheitern“, so Beck.

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