Dass die aktuelle Ampel-Regierung im Bund in derartige Finanzierungsprobleme geraten ist, hat zwei wesentliche Gründe: Das eine ist ein zutiefst ungerechtes und ungenügendes Steuersystem, das insbesondere hohe Einkommen und große Vermögen verschont, sodass die Steuerhauptlast auf den Schultern der Normal- und Geringverdiener liegt. Und das andere ist die sogenannte Schuldenbremse, die den Staat genau da handlungsunfähig macht, wo Zukunftsinvestitionen dringend gefragt sind. Ein Thema für Marcel Fratzscher.

Im „Handelsblatt“, also da, wo viele Verfechter dieser konservativen Finanzpolitik auch mitlesen, hat der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung am 20. Dezember einen Beitrag veröffentlicht, der auf die Unsinnigkeit der so emsig auch vom FDP-Bundesfinanzminister verfochtenen Schuldenbremse hinweist. Und natürlich auf die Vernarrtheit vieler Bundesbürger, die das Mantra verinnerlicht haben, Schulden seien für den Staat des Teufels.

„Zwei von drei Deutschen finden die Schuldenbremse gut und wollen an ihr festhalten – so eine neue Umfrage im Auftrag des ‚Spiegels‘. Es gibt wohl kaum eine Gesellschaft, in der es so tief in der Psyche verankert ist, dass Sparen gut ist und Schulden schlecht sind“, stellt Fratzscher fest.

Die falsche Seite des Sparens

„Die Obsession beim Sparen könnte Deutschland jedoch die Zukunft kosten, denn kluge Schulden heute sind der Wohlstand von morgen. Wir müssen mit grundlegenden Missverständnissen zu Sparen und Schulden in Deutschland aufräumen. Von klein auf wird Kindern in Deutschland beigebracht, Sparen sei uneingeschränkt gut.

Das politisch inkorrekte Bild der schwäbischen Hausfrau wird auch von Finanzministern gerne zitiert: Man müsse erst Geld erwirtschaften und sparen, bevor es ausgegeben werden könne. Daher trifft die Kritik von Opposition und Medien an der Bundesregierung für ihre Ausgabenpolitik auf so starke Resonanz und könnte Deutschland in eine tiefe politische Krise stürzen.“

Doch Geld, das nicht ausgegeben wird, landet ja trotzdem irgendwo. Und wenn es der Staat nicht mit Steuern einnimmt, landet es in den Depots der reicheren Deutschen, wie Fratzscher feststellt: „Der öffentliche Diskurs in Deutschland ist von drei grundlegenden Widersprüchen geprägt. Zum einen gibt es kein Land in der Welt, das jedes Jahr mehr Ersparnisse anhäuft.

Was in den Statistiken als Leistungsbilanz beschrieben wird, zeigt, dass Deutschland seit 2005 meist mehr als 200 Milliarden Euro jährlich an Nettoersparnissen aufgebaut und ins Ausland verliehen hat. So hat Deutschland mittlerweile 2.500 Milliarden Euro mehr an Ersparnissen im Ausland – Direktinvestitionen, Kredite oder Finanzanlagen – als das Ausland in Deutschland.

Das Problem: Deutsche Sparer und Investoren haben diese häufig nicht sehr klug angelegt und immer wieder viel Geld im Ausland verloren. Es wäre in vielen Fällen sehr viel klüger, Gelder in Deutschland zu investieren.“

Die „Sparguthaben“ der einen sind die Schulden der anderen

2,5 Billionen Euro – das entspricht so ziemlich genau den Schulden der Bundesrepublik Deutschland. Die – schlecht angelegten – Geldvermögen der Deutschen sind die Schulden des Staates. Und dazu kommt: Das Geld ist völlig unproduktiv angelegt. Es fließt nicht in die dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen.

Es ist sogar noch schlimmer, wie Fratzscher feststellt: Die öffentlichen Vermögenswerte verfallen, weil nicht einmal für den Bestandserhalt genug investiert wird.

„Die öffentlichen Vermögenswerte wie Straßen, Brücken, Schulen, öffentliche Einrichtungen, Beteiligungen und andere Finanzvermögen sind geschrumpft. Und genau hier liegt das Problem bei der deutschen Obsession hinsichtlich der Schuldenbremse. Die Schuldenbremse ist blind, wenn es darum geht, wofür der Staat sein Geld ausgibt. Sie behandelt Investitionen genauso wie öffentlichen Konsum oder staatliche Subventionen“, schreibt Fratzscher.

„Der Widerspruch im öffentlichen Diskurs liegt darin, dass Unternehmen und Bürger sich über zu hohe Schulden und eine schlechte Infrastruktur beklagen, aber gleichzeitig auch weniger Steuern und Abgaben zahlen wollen.“

Beides zugleich geht nicht.

Die so gerne zitierten künftigen Generationen

Und dann ist das noch das Märchen, das konservative Politiker wie ein Mantra vor sich hertragen – auch in der sächsischen Landregierung und im Leipziger Stadtrat: „Dies führt zum dritten Widerspruch im Diskurs um die Schuldenbremse. Kein Tag vergeht ohne Kritik von Politikern, wir könnten uns keine Schulden leisten, weil dies zulasten künftiger Generationen ginge.“

Dumm nur, dass diese immer wieder beschworenen künftigen Generationen gar nicht bekommen, was sie sich wünschen. „Was wir von Umfragen heute wissen, ist, dass es jungen Menschen wichtig ist, eine intakte Umwelt, gute Arbeitsplätze, Freiheit, ein gutes Bildungssystem, eine leistungsfähige Daseinsfürsorge, sozialen und geopolitischen Frieden zu haben. Und genau dafür sind staatliche Investitionen heute dringender denn je“, so Fratzscher. Aber genau das wird durch die falsch eingebaute Schuldenbremse verhindert.

Und dann wird Fratzscher deutlich: „Gerade der deutsche Staat hat mit seinem Sparkurs in den vergangenen zwanzig Jahren der Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft geschadet und lebt nach wie vor von seiner Substanz. Dabei sind manche (nicht alle!) Schulden heute die Voraussetzung für einen schnelleren Abbau von Schulden in der Zukunft: Für jede 100 Euro, die der Staat heute in Bildung investiert, erhält er langfristig 200 bis 300 Euro durch höhere Steuereinnahmen zurück.“

Sein Fazit: „Die Schuldenbremse darf nicht länger als Alibi für das Scheitern kluger Zukunftspolitik missbraucht werden.“

Es brauche eine pragmatische Lösung. Oder eben eine gründliche Abkehr vom Märchen, mit dem eine ungerechte Steuerpolitik mit einer Schuldenbremse verknüpft wird, die dazu führt, dass das Land seine Substanz verzehrt. Bei der nächsten Brückensperrung, dem nächsten Zugausfall, der nächsten PISA-Klatsche darf man genau daran denken. Wer aus Knauserigkeit die Zukunft kaputt spart, macht keine zukunftsfähige Politik.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar