Mit breiter Brust meldete die Lobbyvereinigung Initiative neue soziale Marktwirtschaft (INSM) am Mittwoch, 14. Dezember: „Umfrage: 85 Prozent rechnen mit persönlichen Wohlstandseinbußen“. Parallel dazu gab es noch eine Pressekonferenz. Grundlage war eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD). Das Dumme ist nur: So wie Allensbach gefragt hatte, konnte nur ein ziemlicher Brei dabei herauskommen.

Dazu ein kleiner Blick in die die Wikipedia, die sehr klar formuliert, was Wohlstand (nicht) ist – und warum der eigentlich nicht messbar ist: „Wohlstand (auch Wohl, Wohlergehen) ist ein positiver Zustand, der individuell unterschiedlich wahrgenommen wird. Wohlstand setzt sich aus immateriellem und materiellem Wohlstand (siehe auch Lebensstandard) zusammen. Der Lebensstandard ist leichter zu messen. Umgangssprachlich ist mit Wohlstand gemeint, dass jemand mehr Geld als ‚normal‘ zur Verfügung hat bzw. dass es ihm in materieller Hinsicht an nichts mangelt.“

Wonach hat Allensbach da also gefragt?

„85 Prozent (54 Prozent ‚etwas verschlechtert‘ +31 Prozent ‚deutlich verschlechtert‘) der Deutschen rechnen mit persönlichen Wohlstandseinbußen in Folge der Inflation. 48 Prozent der Menschen mit ‘niedrigem sozioökonomischen Status’ rechnen sogar mit einer deutlichen Verschlechterung“, meint die INSM behaupten zu können.

Alles wird schlechter?

Aber genau das wurde in dieser Frage gar nicht abgefragt. Die Frage lautete tatsächlich: „Wie schätzen Sie das ein: Wird die Inflation Ihre wirtschaftliche Lage deutlich verschlechtern oder etwas verschlechtern, oder wird sie Ihre wirtschaftliche Lage kaum bzw. gar nicht verschlechtern?“

Es ging eindeutig um die wirtschaftliche Lage, die mit Wohlstand schlicht nicht gleichzusetzen ist. Da ist sie wieder: die Messbarkeit von Dingen, von denen die wirtschaftsnahen Ökonomen immer meinen, sie müsste doch ein objektiver Maßstab für alles, auch für Lebensqualität sein.

Ist sie aber nicht. Das ist sie nur, wenn Geld ins Spiel kommt. Geld kann man zählen und messen. Wohlstand nicht.

Mal ganz abgesehen davon, dass die Frage allein schon an Beeinflussung nicht zu überbieten ist: Drei Mal kommt allein das Wort „verschlechtern“ drin vor. Das ist der dicke fette rosa Elefant, an den die Befragten (nicht) denken sollen beim Befragtwerden.

Alles dasselbe? Wohlstand und Lebensqualität

Aber die Frage, in der Allensbach tatsächlich das Wort Wohlstand verwendet, ist auch nicht die Spur besser: „Gehen Sie davon aus, dass Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland in den nächsten 10 Jahren auf einem ähnlichen Niveau bleiben werden wie derzeit, oder werden Wohlstand und Lebensqualität langfristig vermutlich eher steigen oder eher sinken?“

Eben wurde noch nach der „wirtschaftlichen Lage“ gefragt, jetzt wird auf einmal mit Wohlstand und Lebensqualität herumgeeiert, ganz so, als wären beide (oder alle drei) Synonyme füreinander. Was sie aber nicht sind.

„Auch auf die lange Frist sind die Menschen in Deutschland mehrheitlich pessimistisch. 70 Prozent gehen davon aus, dass Wohlstand und Lebensqualität in den nächsten zehn Jahren sinken werden“, liest die INSM da heraus.

Gibt es in den nächsten 10 Jahren Wohlstandseinbußen in Deutschland? Grafik: INSM
Gibt es in den nächsten 10 Jahren Wohlstandseinbußen in Deutschland? Grafik: INSM

Übrigens alles vor dem Hintergrund von lauter Fragen nach der Inflation. Die Leute, die den Fragebogen von Allensbach vorgesetzt bekamen, mussten den Eindruck bekommen, sie sollten einfach ihr Urteil zu den Folgen der aktuell hohen Inflationsrate von 10 Prozent abgeben.

„Die Inflation ist zurzeit die größte Sorge der Deutschen. 85 Prozent rechnen mit persönlichen Wohlstandseinbußen. Besonders betroffen: die schwächeren sozialen Schichten. Dort gehen 48 Prozent davon aus, dass sich ihre wirtschaftliche Lage deutlich verschlechtern wird“, behauptete die INSM.

Auch Allensbach behauptet das. Obwohl die letzte Umfrage dazu etwas anderes ergab. Da lag laut Statista die Ausweitung des Ukraine-Krieges an erster Stelle im November. In der Allensbach-Umfrage gab es dazu überhaupt kein Frageschema.

Was also hat Allensbach da eigentlich für die INSM abgefragt?

Das ist letztlich nicht verifizierbar. Denn nicht einmal die abgefragten Begriffe sind eindeutig. Weder Wohlstand noch Lebensqualität sind eindeutig fassbare Begriffe, bei denen man davon ausgehen kann, dass auch nur zwei Menschen dasselbe darunter verstehen.

Die ewige Sorge vor der Inflation

Lediglich „wirtschaftliche Lage“ ist einigermaßen greifbar und messbar – nämlich übers Geld.

Sodass sich der ganze Wörterklamauk von INSM und Allensbach auf eine einzige Aussage reduziert: „85 Prozent der Befragten rechnen damit, dass sie durch die Inflation in der nächsten Zeit weniger Geld zur Verfügung haben werden.“ Nicht mehr, nicht weniger.

Und das Verblüffende: Die Ergebnisse ähneln dann auch noch den Ergebnissen einer Befragung von vor einem Jahr, in der Allensbach den Befragten suggestiv ebenso schon die Frage vorgesetzt hat: „Die Preise in Deutschland sind ja in den letzten Monaten gestiegen. Wie sehr belasten Sie diese Preissteigerungen?“

Subjektive Belastungen durch Preissteigerungen 2021 und 2022. Grafik: Allensbach
Subjektive Belastungen durch Preissteigerungen 2021 und 2022. Grafik: Allensbach

Das Ergebnis 2021: 67 Prozent der Befragten sagten, dass sie die Preissteigerungen stark bis sehr stark belasteten.

Und 2022?

Da waren es 70 Prozent.

Allensbach hat das Ganze auch noch nach sozioökonomischem Status sortiert. Denn natürlich schlägt die Inflation bei Geringverdienern stärker zu als bei Wohlhabenden. So fühlen sich 81 Prozent der Befragten mit niedrigem sozioökonomischem Status durch die steigenden Preise stark bis sehr stark eingeschränkt, bei den Besserverdienenden sind es 48 Prozent.

Wobei auch hier die Frage steht, was die Befragten eigentlich unter „Einschränkung“ verstehen? Es macht einen Unterschied, ob man sich den Einkauf im Supermarkt nicht mehr leisten kann oder auf den neuen Tesla verzichten muss.

Die ganze Umfrage erzählt von einem „Wohlstands“-Verständnis, das nicht ansatzweise geeignet ist, die Lebenswirklichkeit der Menschen in irgendeiner Weise zu erfassen. Gerade weil mit einem Begriff hantiert wird, der mit Emotionen und Erwartungen aufgeladen ist, aber für jeden einzelnen Menschen etwas völlig anderes bedeutet. Und eben auch nicht messbar ist. Bestenfalls fühlbar.

Aber da darf man ruhig den Abschnitt „Probleme der Wohlstandsmessung“ auf Wikipedia lesen, der deutlich macht, dass genau dieses alte Verständnis von Wohlstand als in Geld messbarer Größe als fatal beschreibt. Denn wenn die Steigerung des Wohlstands in Einkommen (oder BIP) dazu führt, dass unser Klima, unsere Umwelt, unser soziales Umfeld zerstört werden, dann werden wir zwar immer reicher – aber unser eigentlicher Wohlstand geht vor die Hunde.

Was dann dazu führt, dass die „Wohlstands“-Steigerung der einen dafür sorgt, dass die Lebensqualität vieler anderer zerstört wird.

Eine fatale Umfrage kann man nur sagen. Oder eine irreführende. Sie haben die Wahl.

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Keine Kommentare bisher

Aus diesen Gründen gabe ich mich auch von “MDR-fragt” wieder abgemeldet – Suggestivfragen, unklarer Begrifflichkeiten, Aufbau der Umfrage hinleitend zu einem gewünschten Ergebnis usw.

Gibt es denn keine anerkannten Standards, wie Umfragen zu gestalten sind? Es wird immer wieder auf “Befindlichkeiten” abgestellt, ohne diese zu hinterfragen.

Bei marktwirtschaftlichen Umfragen bei Konsumenten, wo ja tatsächlich etwas konkretes – wie zB Nutzung des ÖPNV – herausgefunden werden soll, geht das doch auch.

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