Seit 50 Jahren machen die Berichte an den Club of Rome Furore. Sie zeigen von Mal zu Mal genauer, was da auf die Menschheit zukommt und was getan werden müsste, um die schlimmsten Folgen zu verhindern. Der neueste Bericht ist wie ein Survivalguide angelegt. Denn wenn wir wollten, könnten wir auch. Aber wer ist wir?

Denn natürlich stellen sich die Autorinnen und Autoren des Berichts die Frage, wer da eigentlich noch die Macht zum Handeln hat. Ist es doch offenkundig, dass sämtliche Warnungen seit Erscheinen von „Die Grenzen des Wachstums“ vor 50 Jahren wenig gefruchtet haben. Dass sie gar nichts gefruchtet hätten, kann man auch nicht sagen. Das ist der Trost dabei, dass einige Dinge, die dringend nötig sind, uns aus der fossilen Zerstörung unserer Welt zu befreien, schon begonnen haben. 

Wir starten nicht mehr bei null, wenn wir in diesem Wir die gesamte Menschheit einschließen. Denn hier geht es um alle. Wir sitzen alle in einem Boot, und zwar einem – bildlich gedacht – anderen als dem, das die Abschieber, Grenzschließer und Menschenverachter meinen. Dieses Boot ist ein Planet, den es auf Lichtjahre hinaus nirgendwo im Weltall noch einmal gibt. Mit einer einzigartigen Atmosphäre, die hier, und nur hier, komplexes Leben ermöglicht.

Wie rettet man eine Zivilisation?

Und dazu seit 11.000 Jahren ein relativ stabiles Klima, das überhaupt erst einmal die Entstehung menschlicher Zivilisation ermöglicht hat. Genau dieses Klima zerstören wir gerade – mit unserem Energiehunger, unserem Lebensstil, unserem falsch verstandenen Wohlstand und unserer Sucht nach billiger fossiler Energie. Hier ist das Wir etwas enger gefasst, denn den Hauptanteil an diesem irre gewordenen Konsum tragen die wenigen reichen Staaten im globalen Norden, die heute immer noch für den Hauptteil der CO₂-Emissionen verantwortlich sind.

Auch dem fünften Bericht an den Club of Rome liegt – wie schon den „Grenzen des Wachstums“ – ein Computermodell zugrunde. Doch diesmal ist es keine direkte Fortsetzung des World3-Modells, das – in Weiterentwicklung – allen Berichten bis 2018 zugrunde lag. Das „Earth for all“-Modell bildet jetzt auch die komplexen Ursache-Wirkung-Beziehungen innerhalb der gesellschaftlichen Systeme ab – die Rolle von Verschuldung und Geldmenge etwa, Verteilungseffekte, Wirkungen auf die Ökologie und damit die Artenvielfalt und die Entwicklung öffentlicher Infrastrukturen.

Aber noch entscheidender sind Kategorien wie „Soziale Spannungen“ und „Wohlergehen“.

Und das ist der eigentliche Kern des neuen Modells: Es überlässt die „Steuerung“ nicht einfach irgendwelchen anonymen Playern, die dann kraft ihrer Monopolstellung entscheiden, wer nun die beschränktem Ressourcen verbrauchen und zerstören darf. So, wie das heute eben leider der Fall ist, auch weil sich die Menschen das Falsche erzählen über Wirtschaft, Gesellschaft und Wohlstand.

Von Wohlstand – den die klassischen Ökonomen in der Regel mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) messen, ist hier keine Rede mehr. Denn schon die simpelste Analyse dessen, was die reichen Gesellschaften als Wohlstand bezeichnen, zeigt den Irrsinn dieser Denkweise, die die Menschen weder glücklich macht, noch ihnen und ihren Kindern ein gesundes und sicheres Leben ermöglicht.

Gerechtigkeit beginnt mit Umverteilung

Tatsächlich zerstört dieser Wirtschaftsstil mit seinem ungehemmten Ressourcenverbrauch unser aller Lebensgrundlagen, zerstört das Klima und vernichtet die Natur, ohne die wir ebenfalls nicht leben können. Und gleichzeitig nehmen die sogenannten Zivilisationskrankheiten zu – von Fettleibigkeit bis zu all den psychischen Erkrankungen, unter denen unsere überdrehten Gesellschaften leiden.

Und der simple Blick auf die Straßen genügt, wie trotzdem die Angst umgeht, dass das alles bald nicht mehr bezahlbar sein wird. Statt zufrieden in Fülle zu leben, herrscht in den reichen Ländern die Angst, machen Populisten mobil und arbeiten finstere Gestalten systematisch an der Zerstörung der Demokratie.

Natürlich hat das mit falschem Wohlstandsdenken zu tun, das aber als Narrativ so gut wie alle Ökonomielehrstühle und Wirtschaftsinstitute beherrscht, von den diversen Wirtschaftsverbänden und politischen Parteien ganz zu schweigen. Die Autoren des Buches führen deshalb eine andere Messgröße ein, das Wohlergehen, das sich tatsächlich um körperliche und psychische Gesundheit der Menschen dreht. Sie schütteln die Kategorie nicht einfach aus dem Ärmel, denn längst gibt es dazu jede Menge wissenschaftlicher Studien. Es ist nicht so, dass wir nicht wüssten, was Menschen tatsächlich brauchen, um ein glückliches Leben zu führen.

Und das wieder hängt aufs Engste zusammen mit dem, was man so beiläufig Ungleichheit nennt: dem Missverhältnis zwischen Arm und Reich – und zwar nicht nur zwischen den armen Ländern im globalen Süden, die meist durch Schulden bei den reichen Ländern geknebelt sind, sondern auch in den reichen Gesellschaften, wo durch die neoliberalen Reformen seit den 1980er Jahren das Missverhältnis zwischen den prekär beschäftigten Armen und reicher 1 Prozent immer eklatanter wird. Und das hat Folgen. Denn die zunehmenden sozialen Spannungen, die als Indikator im Earth4all-Modell mit auftauchen, resultieren genau aus dieser Kluft. Einerseits aus der nur zu berechtigen Angst der Armen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Und andererseits aus einer Macht der wenigen Superreichen, die längst das demokratische Gemeinwesen zerfrisst. Denn Geld gibt Macht. Und es korrumpiert.

Ein bisschen flicken hilft nicht mehr

Es ist also nur zwangsläufig, dass auch die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern müssen. Denn es sind die alten und falschen Narrative, die uns alle in diese Situation gebracht haben. Und die nicht herausführen. Und wenn, dann viel zu langsam und viel zu spät.

Das Modell „Earth für all“ ist online für jeden abrufbar. Jeder kann sich also selbst darin probieren, einen Weg aus unserem aktuellen Schlamassel heraus zu modellieren.

Die Autoren des Berichts beschränken sich aber nur auf zwei Szenarien, die sie im Buch auch ausführlich erläutern. Es sind zwei logische Szenarien, die sie „To Little Too Late“ und „Giant Leap“ genannt haben.

In „To Little Too Late“ steckt so ungefähr das, was die Staaten der Welt seit 1992, seit der Konferenz in Rio de Janeiro betreiben: Flickschusterei, da und dort ein bisschen an den Stellschrauben drehen, ein kleines Förderprogramm hier, ein paar schöne Konferenzbeschlüsse dort. So wird die Menschheit zwar auch irgendwie irgendwann fossilfrei.

Nur wird das viel zu spät sein und selbst das magere 2-Grad-Ziel von Paris wird weit verfehlt. Was eben bedeutet, dass wir alle zusammen – vielleicht mit gedrosselter Geschwindigkeit – in die Heißzeit rauschen. Was aber zuallererst eine Zunahme der heute schon erlebbaren Wetterextreme bedeutet: mehr und stärkere Orkane, Dürren, Überschwemmungen und so weiter und so fort. Vom Versiegen unserer Nahrungsquellen, der Zerstörung der Böden und der Weltmeere ganz zu schweigen.

Der Elefant im Raum: die soziale Frage

Die gute Nachricht: Noch haben wir alle Möglichkeiten in der Hand, das 2-Grad-Ziel zu schaffen. Aber nicht mit den kosmetischen Maßnahmen, mit denen heute teilweise Klimapolitik suggeriert wird, sondern mit einem Maßnahmenbündel, das die Autoren „Giant Leap“ – „Gewaltiger Sprung“ – genannt haben.

Und sie arbeiten sehr genau heraus, dass es dabei gar nicht zuerst um Ingenieurtechnik und Investitionen geht – obwohl es auch um diese geht. Es geht zuerst um die soziale Frage. Denn wenn das Problem der Armut und Verteilungsungerechtigkeit nicht sofort angegangen wird, wird den meisten Maßnahmen zum Umsteuern die Akzeptanz fehlen, werden viele Staaten den Umbau gar nicht leisten können. Und die scheinbar so reichen Staaten des Nordens werden es mit Protestbewegungen zu tun bekommen, die gegen das derzeit Erlebte richtig bedrohlich sein werden für den Frieden in der Welt.

Denn natürlich werden sich dann – wie bei den Gilets jaunes in Frankreich – all jene zu Wort melden, die von den kommenden Kosten des Umbaus und insbesondere steigenden Kosten für Energie, Wohnung und Nahrung – überfordert sind. Und sie werden keine fein formulierten Konzepte vorlegen, sondern rebellieren.

Denn man kann eine auf maximalen Profit und maximale Umweltzerstörung aufgebaute Wirtschaftsweise nicht ändern, indem man die alten Mechanismen in Kraft lässt. Mechanismen, die dazu führen, dass Besitz, Vermögen und Profit immer wieder geschont werden und – wie 2008 – die einfachen Steuerzahler wieder herhalten müssen, damit die „Ersparnisse“ der Superreichen und die zockenden Finanzinstitute geschont werden.

Der ignorierte Preis der Umweltzerstörung

Die Finanzarchitektur muss sich also genauso ändern wie die Welthandelsverträge, die heute dazu führen, dass die Reichen im Norden ihre miserable Klimabilanz auch noch auslagern können in Länder wie China und Vietnam. Man tut dann so, als wäre man sauber. Die Umweltkosten hat man ja anderen aufgebürdet. Und so geht das weiter. Wie bepreist man eigentlich die ganzen Umweltsünden, von denen die CO₂-Steuer ja nur eine Variante ist? Wie sorgt man dafür, dass klimaschädlich produzierte Ware diesen Schaden eingepreist bekommt? Und wie gleicht man das aus, damit dann nicht wieder die Armen die Zeche zahlen?

Wie beendet man die Zerstörung unserer Umwelt und der Artenvielfalt durch eine Landwirtschaft, die auf Böden und Naturerhalt keine Rücksicht mehr nimmt? Und wie kommt man raus aus dem Wahn der Wohlstandsgesellschaften, es müsse immerfort bergeweise billiges Fleisch in Massentierhaltung produziert werden, während eben diese Massentierhaltung die Zerstörung von Wäldern, Mooren, Böden zur Folge hat?

Dabei existieren die schonenden Formen der Landwirtschaft längst genauso wie sämtliche Technologien, um die (fast) komplette Wirtschaft auf Strom umzustellen. Und das Geld ist auch da. Da genügt der Blick schon auf die milliardenschweren Bankenrettungspakete von 2008, die riesigen Corona-Ausgaben der reichen Staaten und den „Wumms“ von 100 Milliarden Euro, die auf einmal für zusätzliche Militärausgaben da sind.

Das Geld ist nicht das Problem. Die Vertrauenswürdigkeit der „Märkte“ ist es schon eher. Denn natürlich ist der Aufbau einer klimaschützenden Energielandschaft ein riesiges Wirtschaftsprojekt. Aber das lässt sich nur mit Regierungen anschieben, die frei im Handeln sind und nicht durch internationale Gremien bestraft werden, werden, wenn sie Geld für Klimaschutz und Bildung ausgeben.

Wo bleibt der Anteil der Bürger an den commons?

Man kommt also um eine gerechtere Steuerpolitik nicht umhin. Und um eine Umverteilung. Denn Studien belegen schon seit langem, dass die Konzentration von immer mehr Vermögen bei wenigen Superreichen den sozialen Frieden massiv gefährdet – während die Reichen längst schon nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld. Sie stecken es also wieder in Aktien und Immobilien und machen damit für die Bedürftigen alles noch teurer. Während den Staaten das Geld fehlt, jetzt wirklich die benötigten Milliarden in neue Technologien zu investieren.

Womit dann auch das Thema der commons angesprochen ist und die Quelle für die enthemmte Bereicherung von Konzernen und Superreichen, die sich im Lauf der Zeit immer mehr Güter, die der Allgemeinheit gehören, angeeignet haben. Von Böden, Bodenschätzen, Trinkwasserreservoirs und landwirtschaftlichen Flächen bis hin zu Patenten und technischen Entwicklungen, die fast immer – als universitäre Forschung – die Allgemeinheit bezahlt hat. Die Nutzung dieser Güter sollte also einen Preis haben – und der sollte an die Allgemeinheit gezahlt werden.

Denn immer wieder kommen die Autoren natürlich darauf zurück, dass die anstehende große Transformation nur funktioniert, wenn sie auch die Armen und Un-Mächtigen mitnimmt und teilhaben lässt. Manche der Ideen gibt es schon in kleinen, oft regionalen Ansätzen. Und jeder kann da, wo er ist, drüber reden und mitmachen, stellen die Autoren am Ende fest. Je mehr mitmachen, umso eher wird die Idee verstanden, dass wir ein anderes Narrativ, eine andere Erzählung für unsere Zukunft brauchen.

Die Zeitenwende ist längst da

Am Ende gibt es auch noch kompakte „Empfehlungen an die Politik“, die jetzt die Weichen stellen kann, um auf den Weg des „Giant Leap“ zu kommen.

Und viel Zeit, diese Weichen zu stellen, haben wir nicht. Vielleicht noch zehn Jahre. Und natürlich ist die Frage, ob Politiker so schnell umdenken können? Gerade weil wir doch wissen, wie sehr einige Parteien durch das große Geld und den Einfluss der Superreichen und ihre Lobbyorganisationen korrumpiert sind, also profitierten von einem „Weiter so“, auch wenn das schon in absehbarer Zeit in eine Katastrophe führt.

Wir stehen an einer Zeitenwende. Und die muss zuallererst in den Köpfen passieren. Und es kann mit vielen kleinen Veränderungen beginnen, die teilweise schon da sind, weil einige Menschen längst begriffen haben, dass die Kosten der kommenden Katastrophen viel zu hoch sind und am Ende unbezahlbar. Während wir unsere Wirtschaft mit deutlich weniger Kosten resilient machen können. Und müssen, wie letztlich auch der von Putin angezettelte Krieg zeigt.

Und in der Erzählung, wie eine resiliente Welt künftig aussehen soll, müssen die Armen und Vermögenslosen ihren Platz finden – und die nur zu berechtigte Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Wohlergehen, das nicht mehr vom Geldbeutel abhängen darf.

Club of Rome (Hrsg.) „Earth for all. Ein Survivalguide für unseren Planeten”, Oekom Verlag, München 2022, 25 Euro.

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