Krisen sind eigentlich Zeiten für Chancen. Denn sie erzählen immer davon, dass das Alte nicht mehr richtig funktioniert und es Zeit ist, neue Wege zu gehen. Doch Krise um Krise verpassen die deutschen Regierungen und schaufeln die Milliarden in alte Strukturen und Unternehmen, um sie künstlich am Leben zu erhalten. Das war auch in der Corona-Pandemie so. Leipziger Forscher stellen der Regierung jetzt ein blamables Zeugnis für ihr Krisen-Management aus.

Wirtschaftswissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Leipzig haben für das Umweltbundesamt eine Studie erarbeitet, wie grüne Konjunkturprogramme sinnvoll eingesetzt und ausgestaltet werden können.

Grüne Konjunkturprogramme sollen in wirtschaftlichen Krisenzeiten die Volkswirtschaft stabilisieren und gleichzeitig einen Beitrag zur ökologischen Transformation leisten. Die Bilanz der Wissenschaftler für die im Zuge der Coronakrise beschlossenen Wirtschaftshilfen fällt dabei gemischt aus.

„Grüne Konjunkturpolitik muss einen schwierigen Spagat meistern“, betont Prof. Erik Gawel, UFZ-Ökonom und Leiter der Studie.

„Sie muss helfen, die Volkswirtschaft kurzfristig zu stabilisieren, und gleichzeitig längerfristig wirksame Impulse für die ökologische Transformation setzen“, stellt Ko-Autor Jun.-Prof. Paul Lehmann von der Universität Leipzig dazu klar.

Konjunkturpolitik braucht Ziele

Grundsätzlich kämen für grüne Konjunkturprogramme nur Maßnahmen infrage, mit denen die Wirtschaftskrise zielgerichtet bekämpft werden kann. Für umweltpolitische Instrumente gelte das jedoch nicht in jedem Fall, so Lehmann.

So wurde während der Coronakrise ein „Zukunftspaket“ beschlossen, um die Verkehrswende, den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur und die Gebäudesanierung stärker zu fördern. Derartige Investitionsmaßnahmen entfalteten ihre Wirkung wegen aufwendiger Planungs- und Umsetzungsverfahren in der Regel erst sehr zeitverzögert.

Der erhoffte wirtschaftliche Impuls durch mehr Investitionen trete dann oft erst verspätet ein, nachdem die Wirtschaftskrise bereits abgeklungen ist. Auch wenn sie umweltpolitisch sinnvoll seien, eigneten sich grüne Investitionsmaßnahmen daher eher selten für grüne Konjunkturprogramme.

Umgekehrt hebt Lehmann aber auch hervor: „Konjunkturprogramme sollten langfristig keine neuen ökologischen Schäden verursachen, also dem sogenannten Do-no-harm-Prinzip folgen.“

So müsse vermieden werden, dass Konjunkturprogramme zu neuen Investitionen in langlebige umweltschädliche Technologien führen. Auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten dürften daher Umweltauflagen und -steuern nicht abgeschwächt werden, erläutert Ko-Autor Klaas Korte vom UFZ.

Es sei daher grundsätzlich positiv zu bewerten, dass während der Coronakrise beispielsweise die CO₂-Bepreisung nicht abgeschwächt wurde, obwohl dies von politischen Akteuren auf nationaler und europäischer Ebene gefordert wurde.

Schluss mit Subventionen für umweltschädliche Technologien

In jedem Falle sollten umweltschädliche Technologien nicht direkt staatlich gefördert werden, um die Konjunktur anzukurbeln, betont Lehmann. Zwar sei während der Coronakrise richtigerweise auf eine „Abwrackprämie“ zur Förderung des Kaufs neuer Autos mit Verbrennungsmotor verzichtet worden.

Durch die generelle Senkung der Mehrwertsteuer und die gleichzeitige Erhöhung der Kaufprämie für Fahrzeuge auch mit Hybridantrieb seien jedoch trotzdem unerwünschte Anreize geschaffen worden, Autos mit Verbrennungsmotor neu anzuschaffen. Den Ansprüchen an ein „grünes“ Konjunkturprogramm könnten die beschlossenen Wirtschaftshilfen daher nur in Teilen genügen.

Und das ist noch zurückhaltend ausgedrückt. Denn die Stellschrauben, die hätten genutzt werden können, um das Land wirklich auf grünen Kurs zu bringen, wurden nicht genutzt. Und wurden auch im Krisenjahr 2022 nur ungenügend genutzt.

Auf die richtige Steuerung kommt es an

Es wurde zwar jede Menge über Erleichterungen debattiert. Aber die Erleichterungen kamen nicht dort, wo sie das Land wirklich auf einen klimafreundlichen Weg gebracht hätten.

„Aus konjunkturpolitischer Sicht kann eine Senkung der staatlichen Strompreisbestandteile als ein Instrument zur Unternehmenskostensenkung nicht empfohlen werden. Insbesondere können derartige Maßnahmen nur wenig zielgerichtet die Ursachen konjunktureller Krisen adressieren. Zudem sind sie nur bedingt zeitnah umsetzbar und wirksam“, heißt es im Papier.

„Gleichzeitig sind derartige Instrumente und Maßnahmen auch transformationspolitisch nur eingeschränkt zu empfehlen. Das liegt insbesondere daran, dass eine Senkung staatlicher Strompreisbestandteile aus transformationspolitischer Sicht sowohl zu positiven als auch zu negativen Effekten führen kann. Da die Senkung staatlicher Strompreisbestandteile schon konjunkturpolitisch negativ zu bewerten ist, kann sie auch insgesamt für grüne Konjunkturprogramme nicht empfohlen werden.“

Denn parallel versäumte es die Bundesregierung weiterhin, genau da anzusetzen, wo wirklich nachhaltig ein Kurs hin zur Klimaneutralität eingeleitet worden wäre: „Der Abbau umweltschädlicher Subventionen ist konjunkturpolitisch durchaus zu empfehlen. Er ist konjunkturpolitisch bedeutsam, um staatliche Mittel für andere konjunkturpolitische Ausgaben bereitzustellen.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Abbau tatsächlich zeitnah politisch umsetzbar ist. Für die Erreichung transformationspolitischer Ziele ist der Abbau umweltschädlicher Subventionen ebenfalls äußerst wichtig und zielführend. Mithin kann der Abbau umweltschädlicher Subventionen insgesamt als empfehlenswert betrachtet werden.“

Letztlich stellt die Untersuchung das eigentliche Fehlen einer Politik fest, die wirklich die klimaneutrale Zukunft des Landes im Auge hat: „Transformationspolitik ist damit – wie die Konjunkturpolitik – ein Politikfeld, das sich über die Zielerreichung definiert, welche mit ihrer Hilfe gelingen soll, hier: der strukturelle Umbau der Volkswirtschaft unter ökologischen Nachhaltigkeitsanforderungen. Anders als die Konjunkturpolitik, die der Staatsaufgabe Stabilisierung dient, dürfte Transformationspolitik der Staatsaufgabe Allokation zuzurechnen sein. Sie ist zudem langfristig ausgerichtet.“

Verzerrungen und Barrieren

Aber genau diese Transformationspolitik ist nicht sichtbar. Und das sagen die Autoren der Studie im Grunde auch, wenn sie schreiben: „In einer idealen (erstbesten) Welt würde kein Bedarf an einer ‚grünen Konjunkturpolitik‘ bestehen. Stattdessen würde eine erstbeste Transformationspolitik den Pfadwechsel einer Volkswirtschaft organisieren, während erstbeste Konjunkturpolitik Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität dabei bestmöglich abfängt.

Es bliebe dann ‚nur noch‘ die wirtschaftspolitische Moderation von Zielkonflikten zwischen beiden Politikfeldern. In der durch Verzerrungen und Barrieren gekennzeichneten realen Welt hingegen kann die Frage sinnvoll gestellt werden, inwieweit eine Stabilisierungspolitik zugleich auch transformative Verantwortung übernehmen kann, z. B. weil erstbeste Transformationspolitik politisch gehindert ist.“

Das Ergebnis: Die Forderungen nach einem Ende der Transformationspolitik waren sofort wieder allerseits zu hören – in der Corona-Pandemie genauso wie in der Energiekrise von 2022.

Und sie sind nicht verstummt. Denn die Chancen, die Krisen nicht nur für die Stabilisierung der Nachfrage zu nutzen (auch das geschah ja nicht zielgenau), sondern auch gleich langfristige Investitionen für die Transformation zu setzen, wurden nicht genutzt. Die „Verzerrungen und Barrieren“ erwiesen sich als hemmend und verhindernd. Parteien bestimmten die Debatte, die ihr fossiles „Weiter so“ einforderten, Lobbyverbände, die weitere Subventionen für alte Industrien forderten, Medien, die sofort in die Kriminalisierung der Klimabewegung einstimmten usw.

Das heißt: Außer einem zähen Gebastel in einer zu Kompromissen gezwungenen Regierung ist nicht viel zu sehen. Und aus Sicht der Leipziger Wissenschaftler auch keine „grüne Konjunkturpolitik“.

Doch genau dieses Konzept legen sie der Bundesregierung dringend ans Herz.

„Zusammenfassend bietet das Konzept einer ‚grünen Konjunkturpolitik‘ zahlreiche Chancen einer Nutzung von Co-Benefits aus Stabilisierung und Transformation. Allerdings erweist sich die hier beabsichtigte Verschneidung von Stabilisierung und Transformation als konzeptionell herausfordernd“, heißt es im Fazit des Papiers.

„Weder lässt sich Konjunkturpolitik oder Transformationspolitik ohne Rest durch grüne Konjunkturpolitik ablösen noch bieten sich spezielle Instrumente an, die für Krisenszenarios aller Art stets eine doppelte Eignung aufweisen würden. Dies gilt so auch nicht für staatliche Investitionsausgaben. Notwendig bleibt insbesondere eine Krisenkasuistik, welche die sachliche Adäquanz von Maßnahmen in einer je spezifischen Krisensituation sichert, sowie eine abwägende Beurteilung der jeweiligen stabilisierungs- und transformationspolitischen Zielbeiträge im Einzelfall im Lichte des jeweils verfügbaren Alternativenraums.“

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der grundsätzliche Denkfehler des Systems ist der Ansatz “Konjunkturförderung”. Wachstum auf unserem EINEN Planeten führt immer, ob grün oder nicht, zu Überschreitung der Grenzen des Möglichen. Aber Kapitalismus ohne Wachstum wird wohl eine Utopie bleiben. Ich habe da keine Hoffnung für meine Enkelin – gut, daß ich das nicht mehr erleben werden…Frust

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