Gegen diesen Mann sieht die komplette Bundesregierung uralt aus. Er könnte sich unter die Jugendlichen von „Fridays for Future“ mischen und wäre genau am richtigen Platz. Denn all das, was die streikenden Schüler fordern, ist seit Jahrzehnten Thema in den Büchern des Journalisten und Theologen Franz Alt. Er hat gezeigt, dass auch ein 1938 Geborener lernen kann, wenn er nur aufmerksam ist und sein Herz für das Leben entdeckt.

Er gibt es selber zu, dass es ein Lernprozess war. Als die Bundesrepublik in den 1950er Jahren losdampfte ins Wirtschaftswunder, war Kohle der Haupttreibstoff der Wirtschaft, boomte an der Ruhr der Kohlebergbau. Kaum jemand sprach damals davon, dass diese Kohleverbrennung binnen weniger Jahrzehnte die Erdatmosphäre so aufheizen würde, dass das Klima, wie wir es kennen, zu kippen droht. Als Willy Brandt seine ersten Kampagnen gegen die Kohle machte, ging es vor allem um Ruß und Dreck und den Smog in den Städten: „Der Himmel wird blau“. Damals gab es jeden Grund, gegen den Sauren Regen zu demonstrieren, der die Kammwälder verheerte.

Die Kernkraft galt in den 1960er und 1970er Jahren als die „saubere“ Zukunftsenergie. Erst die Aufstellung der neuen Kurzstreckenraketen Anfang der 1980er Jahre brachte das Gefährliche an der Atomkraft wieder ins Bewusstsein. Und Tschernobyl machte auch 1986 dem Fernsehreporter Franz Alt klar, dass Atomkraftwerke ganz und gar keine risikolose Technologie sind – ganz abgesehen von den strahlenden Abfällen, von denen man in Deutschland noch immer nicht weiß, wohin damit. Denn sie werden Millionen Jahre strahlen.

Spätestens seit den 1980er Jahren verband Alt sein Wissen um die Gefährdung unserer Welt mit der Botschaft der Bibel. Jesus würde heute nirgendwo in der Kirche einen Platz finden, dessen ist er sich sicher. Jesus wäre draußen auf einem Greenpeace-Schiff, denn gerade die Bergpredigt zeigt den Prediger aus Galiläa als einen Mann, der in den Menschen die Liebe zur Schöpfung erwecken will.

Kein Wunder also, dass Franz Alt jetzt auch in der ambitionierten Reihe Chrismon gelandet ist, die zeigt, dass man auch in einer modernen und komplexen Welt wie der unseren ganz christlich handeln kann. Und in diesem Fall: Dass man auch einen Franz Alt nicht mehr in einer Partei mit dem „C“ im Namen findet. Da ist er ausgetreten, weil viel zu offensichtlich ist, dass die Christlichen Unionsparteien nicht einmal begriffen haben, wie sie mit ihrem Schmusekurs mit den fossilen Energiegiganten unsere Welt zerstören.

Und mit journalistischem Blick sieht er auch, dass das eben kein Kurs ist, der noch das Mindeste mit den Wünschen und den Erwartungen der Bürger zu tun hat, sondern dass hier einfach die uralte Politik der „atomar-fossilen Energiewirtschaft“ gemacht wird. Die Ergebnisse der Strukturkommission zur Kohle hält er für völlig unsinnig. Deutschland kann und darf überhaupt nicht bis 2038 warten, bis es die alten Kohlemeiler alle abstellt.

Und er wird auch sehr bitter und deutlich an einigen Stellen. Denn all das, was jetzt die Artenvielfalt, die Stabilität der Staaten und die Zukunft der Kinder bedroht, wissen wir schon lange. Spätestens seit 1972, als der Club of Rome seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte.

Und wer etwas schwerer von Begriff war, hat es seit 1992 wissen müssen, seit der Konferenz in Rio de Janeiro, wo auch deutsche Unterhändler mit am Tisch saßen und sich verpflichteten, endlich umzusteuern. Da war das Zeitfenster zum Umsteuern schon um 20 Jahre geschrumpft. Und die Deutschen wussten es.

Und die Deutschen waren unter der rot-grünen Regierung vor 20 Jahren die ersten, die ein richtiges Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg brachten und damit Deutschland zum Vorreiterland beim Ausbau von Wind- und Solaranlagen machten. Bis 2012, stellt Alt fest. Ab da taten die jeweiligen Merkel-Regierungen nichts anderes, als das EEG regelrecht zahnlos zu machen, den Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen radikal zu bremsen und – erster fataler Erfolg – die deutsche Solarwirtschaft in die Knie zwangen. Eine echte Zukunftsbranche wurde – politisch gewollt – abgewürgt und wanderte nach China ab.

Das nächste Ergebnis lässt sich aus allen Vergleichen zum Thema herauslesen: Land um Land überholte Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Und das waren fast alles Länder, die ihre EEG-Gesetze beim deutschen EEG abgeschrieben hatten.

Wir haben also live zugeschaut, wie nicht nur eine Zukunftsbranche in Deutschland abgewürgt wurde – im Fall der Solarwirtschaft verbunden mit dem Verlust von 80.000 Arbeitsplätzen. Franz Alt kann auch die Geschichte des 3-Liter-Autos und der Elektroautos erzählen, bei denen Deutschland vor 20 Jahren mal auf dem Sprung war, hier wieder zum Pionier zu werden. Doch die Bosse der deutschen Autokonzerne tricksten lieber an der Motorsoftware, bliesen die PS-starken Pkw immer weiter auf und sind heute Schlusslicht beim Bau moderner, bezahlbarer E-Autos. Von E-Bussen ganz zu schweigen.

Andere Länder zeigen Deutschland heute, dass es sehr wohl geht, komplett aus den alten, klimazerstörenden Fossil-Energien auszusteigen und dabei auch noch moderne Technologien zu fördern. Und zwar ohne Wohlstandsverluste.

Auf einmal begegnet man der „German Angst“, die eigentlich die Angst alter, völlig überbezahlter und innovationsfeindlicher Politiker und Konzernbosse ist, die zu feige sind, die Herausforderungen der Zeit anzunehmen und das Land umzubauen. Aber Franz Alt wütet nicht. Aus langer Erfahrung weiß er, dass die Veränderungen trotzdem kommen, dass sich neue Technologien trotzdem durchsetzen gegen die alten, nämlich dann, wenn die Bürger selbst handeln und zugreifen, Solaranlagen, Solarstrom und E-Autos kaufen.

Das dauert zwar länger. Deutschland hat die nächsten 20 wertvollen Jahre ausgesessen und verplempert. Aber selbst für die Kohlekraftwerke gilt: Wenn der mit Sonne und Wind erzeugte Strom immer billiger wird (und er ist heute schon billiger als Kohlestrom), dann sind sie über kurz oder noch kürzer nicht mehr konkurrenzfähig.

Leute, die rechnen können, saßen augenscheinlich nicht in der Kohlekommission. Das Jahr 2038 ist eine elende Kompromisszahl, mit der vor allem die Politiker mit dem „C“ beruhigt werden sollten, die damit ihren (bald Nichtmehr-)Wählern noch einmal erzählen konnten, bis 2038 würde sich an der Kohleverbrennung nichts ändern.

Franz Alt gibt der Kohle in Deutschland maximal noch bis 2030. Die meisten Kohlemeiler werden schon viel früher vom Netz gehen, weil sie sich nicht mehr rechnen. Das wirkliche Problem: Deutschland hat den noch von Rot-Grün geplanten Ausbau von Stromleitungen und Speichern auch um 20 Jahre vertrödelt. Die Energie- und Verkehrswende ist möglich, schreibt Alt. Hat er schon oft geschrieben. Jetzt hat er das einfach noch einmal in einem possibilistischen Plädoyer kurz niedergeschrieben. Denn er hat begriffen, dass man Menschen nicht ermutigt, wenn man sie in Pessimisten und Optimisten scheidet. Das ist viel zu statisch. Er weiß, dass Menschen lernen können und dass sie aufblühen, wenn sie neue Dinge möglich machen.

Wir hatten und haben viel zu viele Politiker, die am Alten kleben und unfähig sind, sich eine andere Welt vorzustellen. Und die lieber verheerende alte Technologien weiter jedes Jahr mit Milliarden subventionieren (auch die Kohle), und damit genau die Heißzeit riskieren, deren Vorboten wir alle 2018 schon erlebt haben. Nur weil sie nicht in der Lage sind, sich eine Welt vorzustellen, in der keine stinkenden Autos durch die Städte drängeln und Milliarden Tonnen Kohle verbrannt werden, um unseren Strom zu erzeugen. Obwohl wir noch Milliarden Jahre lang genug Sonnenlicht bekommen werden, um unsere komplette Wirtschaft und Gesellschaft mit Strom versorgen zu können. Die Zukunft wird anders aussehen.

Aber – auch das betont Franz Alt – wir sollten auch wieder lernen, Zukunft als Möglichkeit zu denken. Heute regieren überall die Dystopien, kaum ein Politiker scheint auch nur ansatzweise die Möglichkeiten einer Welt zu sehen, in der wir nicht alle Arten ausrotten, die Meere in sauerstofflose Wüsten verwandeln und die Küstenstädte absaufen.

Das Buch ist eine Ermutigung – für Gläubige und Ungläubige. Aber wohl auch für all die Trauerklöße, die Politik damit machen, indem sie uns beständig Angst vor der Zukunft machen – und dann doch beim Verfeuern von Öl und Kohle bleiben. Wie es geht, fasst Alt dann noch in „Zwölf Geboten, um den Klimawandel zu überstehen“ zusammen. Und mancher wird gar nicht verwundert sein, wenn darin das Ende der Herstellung von Spritautos bis 2025 genauso vorkommt wie der Ausbau des ÖPNV. An anderer Stelle erwähnt Alt das Pflanzen von Wäldern, berührt auch kurz die „Wende in der Landwirtschaft“.

Und in Punkt 10 wird er deutlich: „Wir dürfen nur noch Politiker wählen, die auch wirklich unsere Interessen vertreten und nicht die Interessen der alten fossil-atomaren Energiewirtschaft oder der fossilen Autowirtschaft.“

Das Buch hat er drei Monate vor der Europawahl beendet. Aber auch da war schon klar, dass gerade jüngere Wähler genau so wählen würden. Denn sie müssen mit der Zukunft zurechtkommen, die wir heute anrichten. Und wir haben nur noch wenige Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen.

Franz Alt Die ALTernative, Edition Chrismon, Leipzig 2019, 10 Euro.

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