Am Montag, 7. Mai, stellten Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und Finanzbürgermeister Torsten Bonew ihr Konzept zur langfristigen Entschuldung der Stadt Leipzig vor. Bis 2037 soll Leipzig schuldenfrei sein. Schon ab 2013 sollen jedes Jahr 25 Millionen Euro an Krediten abgebaut werden. Zwei Fraktionen im Stadtrat sehen den Weg sehr kritisch: Grüne und Linke. Die Statements.

Malte Reupert, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:

“Oberbürgermeister Jung erprobt sich als Titanic-Kapitän.

Grundsätzlich freuen wir uns, dass OBM Jung einen vollständigen Schuldenabbau ins Auge fassen möchte. Wir hoffen auch, dass dies mehr ist als Beruhigungspillen an die Adressen von Landesdirektion und Staatsregierung.

Leider aber führt die Politik von OBM Jung bis auf den heutigen Tag genau in die entgegengesetzte Richtung: Mehrausgaben für die Kultur bei gleichzeitig sinkenden Gesamteinnahmen der Stadt, Verschleppung von Verwaltungsinternen Kostenoptimierungen, Verkauf von profitablen Städtischen Unternehmen (Perdata, HL-Komm) so weit unter Wert, dass die eingesparten Zinsaufwendungen die entgangenen Gewinne bei weitem nicht kompensieren, zu teures und fantasieloses städtisches Bauen und das Durchdrücken von Prestigeobjekten (Kongresshalle, Lindenauer Hafen) gegen alle wirtschaftliche Vernunft sind hier einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit.

Auch die allereinfachste Grundlage für einen Schuldenabbau fehlt: Nämlich erkennbare Grundsätze für eine nachhaltige Haushaltsaufstellung. In der Vergangenheit ging man immer wieder bis zum Maximum des gerade noch möglichen Ausgabenvolumens. Und wenn man einmal alle unter Burkhard Jung verabschiedeten Konzepte, Entwicklungspläne usw. nebeneinander legt, dann bräuchte die Stadt Leipzig, um sie alle auch nur annähernd umzusetzen, mindestens 50 % mehr Einnahmen – und die gibt auch das traumtänzerischste Szenario nicht her.

Finanzpolitik muss zuallererst den Gesetzen der Mathematik gehorchen. Wer sie als Wunschkonzert behandelt, steuert in den Schiffbruch – und eine wohlfeile Titanic-Kapelle, die auch auf dem sinkenden Schiff weiter spielt, findet sich in der Politik immer. Wir sollten uns eher um die Passagiere, die Bürger der Stadt, sorgen: Denn viele Leipziger werden ohne Rettungsboot dastehen, wenn sich Kapitän Jung längst davon gemacht haben wird. Deshalb plädieren wir Grüne für das, was auch die Titanic-Passagiere gerettet hätte: Realismus und solide Arbeit anstelle von maximaler Geschwindigkeit.

Geht man von den bisherigen Erfahrungen aus, ist die heutige Erklärung von Jung nichts weiter als eine seiner vielen bunten Seifenblasen: Spätestens dann, wenn deren Umsetzung irgend jemandem weh tun könnte, wird wohl auch diese zerplatzen.

Wenn Herr Jung sein Ansinnen jedoch tatsächlich ernst meinen sollte, dann ist das jetzt eine prima Gelegenheit, endlich unsere vielen Anregungen aufzugreifen, Leipzig in eine nachhaltige Finanzpolitik zu führen.

Im Einzelnen sind dies bisher: Die Einführung eines Kostenrechnungs- und Controllingsystems in der Verwaltung. Die prozentuale Deckelung der Kulturausgaben. Die Öffnung der betonierten Bauämter für preiswertes und energieeffizientes Bauen, ein Nachhaltiger Umgang mit den Städtischen Unternehmen, die ernsthafte Umsetzung der (sogar gesetzlich verankerten) Grundprinzipien transparenter Haushaltswirtschaft. Die Einführung einer echten strategischen Haushaltsplanung unter Einbeziehung des Stadtrates

Wir bieten dem OBM und allen Ratsfraktionen eine konstruktive Zusammenarbeit in dieser zweifellos schwierigen und langwierigen Aufgabe an. Nur sollte dabei wirklich etwas mehr herauskommen als unverbindliche Lippenbekenntnisse oder undurchführbare Fantasien.”

Sören Pellmann, der Fraktionsvorsitzende der Linken, und Steffen Wehmann, ihr Finanzpolitischer Sprecher:

“Eine Entschuldung der Stadt ohne Augenmaß könnte zu einer folgenschweren Illusion verkommen

Die Stadtverwaltung will bis 2037 sämtliche Verbindlichkeiten tilgen. So die Botschaft von Oberbürgermeister Jung und Finanzbürgermeister Bonew. Das Vorhaben einer vollständigen Entschuldung und einer jährlichen Tilgung von 30 Millionen mit dem Ziel einer Erschließung von Handlungsspielräumen für Investitionen in Schulen und Kitas klingt visionär – erinnert bei näherer Betrachtung jedoch an eine der tolldreisten Geschichte des legendären Barons von Münchhausen, der sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog.

Schließlich leidet Leipzig wie alle bundesdeutschen Kommunen zum einen an der stiefmütterlichen Behandlung durch den Bund, der sich bis dato als unfähig zu einer nachhaltigen Reform der kommunalen Finanzen erwies. Mit der Beerdigung der von der derzeitigen Bundesregierung eigens für diesen Zweck ins Leben gerufenen Kommission im Sommer vergangenen Jahres wurde ein solches Projekt auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Zum anderen schickt sich der sächsische Freistaat an, mit der Umsetzung eines strikten Schuldenverbotes zum finanzpolitischen Musterländle zu werden. Auch dies wird nicht ohne Folgen für die Finanzausstattung der Städte und Gemeinden bleiben. Ohne Unterstützung von Bund und Land muss die Nullschuldenpolitik der Leipziger Verwaltungsspitze jedoch eine Illusion bleiben.

Folgt man ihr dennoch ohne Rücksicht auf jene Bedingungen, wird es zwangsläufig zu weiteren Einschnitten und Kürzungen bei den kommunalen Leistungen kommen. So bedeuten z. B. 30 Millionen Euro Tilgung jährlich auch einen Verzicht auf dringend erforderliche Investitionen in der Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur.

Bei der personellen Ausstattung sind die Ämter der Stadt zudem ohnehin aufgrund der Konsolidierungsrunden der vergangenen Jahre am unteren Ende der Erträglichkeitsskala angekommen. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sozial- und Jugendbereich sind kaum mehr in der Lage, den pflichtigen Bereich ihrer Aufgaben auf dem erforderlichen Niveau zu erbringen.

Die Fraktion Die Linke ihrerseits strebt für die nächsten 25 Jahre eine Stadt ohne Armut und kaum messbarer Arbeitslosigkeit sowie eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch ausgewogene Entwicklung ihrer Stadtteile an. Sie sperrt sich indes nicht einer Rückführung des Niveaus der Verbindlichkeiten der Stadt. Allerdings muss das mit Augenmaß und mit Blick auf andere wesentliche kommunale Verpflichtungen, wie dem Erhalt und dem Ausbau der Bildungs-, Sozial- und Verkehrsinfrastruktur sowie der Städtebau- und Wirtschaftsförderung geschehen. Ohne den Bund und den Freistaat dabei mit ins Boot zu holen, droht ein solches Ziel zu einer folgenschweren Illusion für letztere zu verkommen.”
Drei Fraktionen begrüßen den Vorstoß von Jung und Bonew.

Ursula Grimm, Vorsitzende der CDU-Fraktion:

“Dass auch Oberbürgermeister Jung im letzten Jahr seiner Amtszeit auf Entschuldung umsteuert, ist hoffentlich mehr als nur Symbolpolitik im Vorwahlkampf. Ziel der CDU-Politik war immer die schuldenfreie Stadt. Wir wollen das Geld der Bürger investieren und nicht monatlich in Form von Zinsen zur Bank tragen.

Die Stadt brauche dringend mehr finanzielle Beweglichkeit für Investitionen in Kitas, Schulen und Infrastruktur.

Weniger Schulden bedeuten weniger Zinszahlungen. Wir begrüßen ausdrücklich, dass endlich langfristige Entschuldungspläne auf den Tisch gelegt werden.

Der Stadtrat hat 2011 auf CDU-Antrag beschlossen, dass Haushaltsüberschüsse aus 2011 im Jahr 2012 nach folgenden Prioritäten verwendet werden sollen: Schulen und Kindertagesstätten, Straßen und Brücken, unmittelbar ansiedlungsfördernde Investitionsmaßnahmen. Die Laufzeit dieses Beschlusses muss aus unserer Sicht verlängert und verstetigt werden.

Wir werden in den Haushaltsberatungen für 2013 einen entsprechenden Beschlussantrag einreichen. Nicht nur für Einnahmeüberschüsse, auch für Zinsersparnisse muss eine klare Zweckbindung vom Rat festgelegt werden.

Wichtig sei vor allem, dass keine neuen Konsumausgaben erfunden und im Rat beschlossen werden. – Einige Ratsfraktionen waren dafür in der Vergangenheit sehr anfällig. Das können wir uns künftig nicht mehr leisten.”

Christian Schulze, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion:

“Es ist eine positive Botschaft, die der Oberbürgermeister und sein Finanzbeigeordneter heute verkündeten: In 25 Jahren soll unsere Stadt schuldenfrei sein. Nach einem Verschuldungshoch im Jahr 2004 mit rund 912 Millionen Euro stand die Stadt Leipzig am Ende 2011 mit 733 Millionen Euro in der Kreide. Zwar wird es in diesem Jahr wegen verschobener Investitionsvorhaben einen leichten Anstieg der Verschuldung geben, dennoch stehen die Zeichen weiter auf Entschuldung.
Wichtig ist auch zu betonen, dass die Stadt keine Kassenkredite zu bedienen hat. Das heißt, dass mit den Krediten, die Leipzig in den vergangenen Jahren aufgenommen hat, Werte geschaffen und das Geld nicht verkonsumiert wurde. Durch das aktive Zins- und Schuldenmanagement war es möglich, dass Leipzig im vergangenen Jahr sogar etwa 12 Millionen Euro weniger an Zinsausgaben tragen musste, als vorher geplant. Es ist kein Geheimnis, dass jeder Cent, der nicht in Zins und Tilgung gesteckt werden muss, für die Stadt Leipzig neue Möglichkeiten bei den Investitionen eröffnet.

Erfreulich ist, dass vor allem auch Schulen und Kindertagesstätten Nutznießer der freiwerdenden Gelder werden sollen, denn dort haben wir durch Zuzug, hohe Geburtenraten und einen ohnehin erheblichen Investitionsbedarf noch eine ganze Menge zu tun. Auch mögliche Steuermehreinnahmen in den kommenden Jahren sollen prioritär für die Sanierung von Schulen und Kitas verwendet werden, statt sie in eine zusätzliche Entschuldung zu stecken.”

Reik Hesselbarth, Vorsitzender der FDP-Fraktion:

“Der Jung/Bonew-Plan ist grundsätzlich richtig. Es darf aber nicht bei bloßen Absichtsbekundungen bleiben. Mit der Vorlage der Haushaltes 2013 nach der Sommerpause müssen erste grundsätzliche Weichenstellungen erkennbar sein. Ohne Ausgabensenkungen im konsumtiven Bereich wird die Absicht eine Absicht bleiben. Und Absichten hat Burkhard Jung häufiger geäußert. Leider muss man den Oberbürgermeister häufig zum Jagen tragen. Die Umsetzung des Beschlusses zur Einleitung einer Verwaltungsstrukturreform begann schleppend. Im Kulturbereich dreht Burkhard Jung ohne Not den Geldhahn auf und verhindert so nachhaltige und dringend nötige Strukturanpassungen.

Wenn alles bleibt, wie es ist, bekommen wir die Ausgaben nicht in den Griff. Wenn nun zu sinkenden Solidarpaktmitteln und nötigen Investitionen der Schuldenabbau richtigerweise hinzukommt, wird es ohne Ausgabensenkungen nicht gehen. Daher haben wir auf die Einleitung einer Verwaltungsstrukturreform gedrängt. Durch altersbedingten Weggang von mehreren hundert Mitarbeitern können hier langfristig Millionenbeträge eingespart werden. Hier vermissen wir weiterhin einen ernsthaften Umsetzungswillen – gerade bei Burkhard Jung.

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Den Stadtkonzern und Investitionsstaus blenden Jung und Bonew in ihren Überlegungen weitestgehend aus. Dabei sprechen wir bei LVV und LWB über Kredite in Höhe von fast 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kommen die Risiken aus den Finanzgeschäften bei den Wasserwerken.

Darüber hinaus schiebt der Oberbürgermeister bei den Schulen und Kitas sowie bei den Straßen und Brücken einen Sanierungsstau von zusammen mehr als einer Milliarde Euro vor sich her. Hinzu kommt die Herkulesaufgabe, neue Bildungseinrichtungen bauen zu müssen. Diese Themen gehören zur finanzpolitischen Wahrheit mit auf den Tisch, denn die Leipziger Steuerzahler stehen nicht nur für die Schulden im Stadthaushalt gerade, sondern letztlich für alle finanziellen Risiken. Diese sind weit größer als Jung und Bonew es dargestellt haben. Umso wichtiger ist ein nachhaltiges Entschuldungskonzept – nicht nur für den Stadthaushalt, sondern auch für die kommunalen Unternehmen.”

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