Falsches Denken führt zu falschen Ergebnissen. Wie sehr die Arbeitsstrukturen der Leipziger Verwaltung mittlerweile in Schieflage sind, hat die L-IZ am 3. Oktober ausführlich analysiert. Die Reihe von "Skandalen" und unerledigten Aufgaben, die mittlerweile die Arbeit des Mega-Amtes für Jugend, Familie und Bildung begleitet, hat Ursachen. Manche suchen sie im Amtsleiter, der sich mit dem Superamt scheinbar völlig übernommen hat.

Nach der CDU preschen jetzt auch die Grünen vor, um den Rücktritt von Siegfried Haller, dem Amtsleiter, zu fordern. Das mag begründet sein. Denn einige Vorfälle – wie die Herstellung von Hygiene und Nutzbarkeit in den Sporthallen – hätten unter einer gewissenhaften Amtsführung schon seit Jahren passiert sein müssen. Es gab die Anträge der Ratsfraktionen. Dasselbe bei der Instandhaltung von Schulen.

Jürgen Kasek, Vorstandssprecher des Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen: “Die Schulleiter fühlen sich vom Amt für Familie, Jugend und Bildung mit den Problemen allein gelassen. Dies geht sogar soweit, dass eine Schulleiterin, in deren Turnhalle es zu einem tragischen Unfall wegen des defekten Hallenbodens kam, zwischenzeitlich strafrechtliche Konsequenzen fürchten muss, obwohl sie vor dem Unfall mehrfach die Mängel in der Turnhalle beim Amt angezeigt hat. Viele Schulleiter sind verunsichert, da zum Teil nicht nur die Böden sondern auch die Brandschutzsituation ungenügend ist. Ein Rückhalt von Seiten des Amtes fehlt völlig.”

Er zählt den Ärger um die “Kinderbande” auf, das schlecht kommunizierte Thema Lernmittelfreiheit, das nicht funktionierende Vermitteln von Kita-Plätzen über das Kitaplatz-Portal, das schon jetzt akute Fehlen von Kita-Plätzen.

“An allen Ecken und Enden bestehen Probleme. Eine Strategie ist nicht zu erkennen, wohl aber, dass der Leiter die Probleme nicht im Griff hat”, meint Kasek. Aber er weiß auch, dass es falsch wäre, so ein Problem-Chaos allein einem einzelnen überforderten Amtsleiter anzulasten. Wenn die Strukturen und die Wichtungen in einer Stadt wie Leipzig nicht stimmen, leiden die Schwächsten zuerst. Die Diskussion dürfe nicht auf den Leiter verengt werden, so Kasek. Es sei deutlich geworden, dass das “Megaamt” in der derzeitigen Struktur nicht zu händeln sei.

“Es wird ein systemisches Versagen deutlich”, so Kasek weiter. Die gebildete Struktur sei weder arbeitsfähig, noch in der Lage, angemessen auf Probleme zu reagieren. Der Leiter des Amtes hat dabei maßgeblich Anteil an der Bildung dieser Struktur gehabt. “Damit muss auch das Amt als solches reformiert werden. Alle Teilbereiche gehören auf den Prüfstand. Leipzig will eine familienfreundliche Stadt sein und häuft im zentralen Verwaltungsbereich eine Panne nach der anderen an. Das passt nicht zusammen.”Es ist zumindest ein Anfang, das Problem anders zu denken. Aber Fakt ist auch: Wer wieder nur am Amtsbereich Jugend, Familie, Bildung herumdoktert, wiederholt die alten Fehler. Dass die Probleme auch noch diese öffentliche Resonanz fanden, hat ja einen Grund: Hier sind sämtliche elementaren Grundfunktionen der jungen Stadt Leipzig gebündelt. Was auf den ersten Blick logisch klingt. Wenn man die Arbeit mit jungen Menschen bündelt, könnte es ja Synergieeffekte geben. Hat es auch.

Aber auf den zweiten Blick kann jeder Betrachter sehen, dass damit auch alle Primärthemen der Stadt in einem Amt gebündelt sind. Und jedes Einzelne ist seit Jahren, eigentlich sogar seit Jahrzehnten unterfinanziert.

Wenn man Synergien wirklich entfalten will, muss man die entsprechenden Mittel bereitstellen.

Doch das ist die Kehrseite aller Stadtratsanträge zum Thema: Es war immer eine Mangelverwaltung. OBM Jung: “Die Decke ist immer zu kurz.” Und die ehrlichen Mitglieder des Stadtrates wissen das auch. Die Unehrlichen haben die jeweiligen Anträge zu mehr Geld für Sanierung in Kitas und Schulen und Sporthallen immer abgelehnt, haben oft sogar noch eine höhnische Pressemitteilung hinterhergeschickt, die der antragstellenden Fraktion Blauäugigkeit und unredliche Finanzierungsabsichten unterstellte.

Am Ende ist ein kompletter Stadtrat in der Verantwortung, wenn es um die Genehmigung der Gelder geht. Und Fakt ist auch: Mit dem jetzigen Finanzierungspaket für Schulen und Kitas kommt Leipzig um Jahre zu spät. Oft genug sind die notwendigsten Beschlüsse auch einem Gezerre zwischen den Dezernaten zum Opfer gefallen. Denn während ein Dezernat – das Sozialdezernat, zu dem das Amt für Jugend, Bildung und Familie gehört – dauerhaft an der Stressgrenze läuft, sind ein, zwei andere Dezernate mittlerweile zu Blümchendezernaten geworden, die sich nicht wirklich ernsthaft mit den Grundstrukturen der Stadt beschäftigen müssen.Mit Betonung auf “müssen”. Denn wenn die Strukturen stimmen, dann zwingen sie ihre Verantwortlichen zum Handeln – und zum Miteinander-Handeln. Leipzig steckt noch immer im Schubladen-Denken des 20. Jahrhunderts. Und alle sozialen Probleme hat man einfach ins Sozialdezernat gekippt nach dem Motto “Nun macht mal”. Und das ging so lange gut, bis der erste Riss auftauchte. Oder besser: der erste Riss zum Skandal wurde. Über die elenden baulichen und hygienischen Zustände in vielen Einrichtungen war der Stadtrat seit Jahren informiert. Wer jetzt behauptet, er hätte darüber früher informiert werden müssen, ist zumindest jemand, der die letzten Jahre in seinem Amt gründlich geschlafen hat.

Dass jetzt im Amt für Jugend, Familie, Bildung ein Stück nach dem anderen einreißt, zeigt eigentlich sogar nur, wie gut man hier über die Jahre mit völlig unzureichenden Mitteln gewirtschaftet hat. Jetzt ist nicht nur das Amt endgültig überfordert – das ganze System ist überreizt. Die Stadt hat sich auch auf Kosten ihrer Infrastruktur ausgeglichene Haushalte zusammengespart. OBM Burkhard Jung und Finanzbürgermeister Torsten Bonew waren zwar am 11. September bei der Vorstellung der Eröffnungsbilanz der Stadt Leipzig beide der Meinung, man würde die Werte der Stadt nicht aufzehren, man investiere ja genug.

Aber das trifft leider auf die vergangenen 20 Jahre nicht zu. Wenn die Stadt allein bei den Schulen einen Sanierungsstau von über 500 Millionen Euro vor sich herschiebt, dann ist das schon entstandener Wertverlust, der in der Eröffnungsbilanz natürlich nicht auftaucht. Denn da wurde nur gesammelt, was da ist. An Schulgebäuden zum Beispiel ein Bestand von 278,5 Millionen Euro. Bei 143 benutzten Schulgebäuden sind das rund 1,9 Millionen Euro pro Gebäude. Eine Grundsanierung oder ein Neubau kostet aber in der Regel zwischen 10 und 15 Millionen Euro. Die Differenz kann sich jeder ausrechnen: Wären all die Gebäude neu, würden sie allein einen Wert von 1,5 bis 2 Milliarden Euro ausmachen. Was fehlt, ist tatsächlich schon abgeschrieben.

Nicht ohne Grund hat Sozialbürgermeister Thomas Fabian betont, dass das Geld, das in den nächsten drei Jahren jeweils für Schulneubauten und Sanierung eingeplant ist, in dieser Größenordnung jedes Jahr eingesetzt werden müsste, um den Bestand in seinem Wert überhaupt nur zu erhalten. Aber das ist in den letzten Jahren nie geschehen. Man hat wichtige Strukturen einfach auf Verschleiß gefahren.

Und genauso oft wurde in der L-IZ die systematische Unterfinanzierung der anderen Bereiche im Feld Familie, Jugend und Bildung analysiert. Wer da wirklich glaubt, mit dem Auswechseln des Amtsleiters das Problem lösen zu können, der löst es nicht. Der Nachfolger steht vor dem selben Dilemma. Die Amtsstruktur ist völlig überlastet mit Aufgaben, die sämtlich im Verbund aller Dezernate angepackt werden müssten. Systematisch und mit jedem Haushalt. Das geht aber nur mit völlig neuen Zuschnitten. Die alte Art, alles Problematische einfach ins “Soziale” abzuschieben, funktioniert nicht mehr.

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