"Ein Dach über dem Kopf zu haben, gehört zu den Grundlagen menschenwürdigen Lebens. Oft brauchen Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, Unterstützung", sagt Bürgermeister Thomas Fabian. Sein Dezernat hat jetzt eine Vorlage "Wohnungsnotfallhilfe in Leipzig" veröffentlicht, die der Stadtrat bitte einfach zur Kenntnis nehmen möge. So ganz nebenbei eine kleine Begleitmusik zur Lebens- und Wohnungssituation vieler Leipziger.

Man denkt zwar bei dem Titel sofort an das Thema der klassischen Obdachlosen, die derzeit wieder die Schlagzeilen bestimmen, weil Grundstückbesitzer in London mit rabiaten Methoden gegen diese Menschen vor ihren Häusern vorgehen. In Leipzig ist es noch nicht so – auch weil die klassische Obdachlosigkeit bei Weitem nicht das Ausmaß hat wie in angelsächsischen Ländern. Es liegt aber auch daran, dass sich Leipzigs Sozialpolitik gewandelt hat in den letzten Jahren, weg von der reinen Betreuung hin zur Prävention. Denn die Gefahr, in Leipzig obdachlos zu werden, ist gestiegen. Die Zahl der Räumungsklagen ebenso. Das ist dem Sozialdezernat durchaus bewusst. Das braucht ein frühzeitig ansetzendes Fallmanagement der Stadt, damit die Betroffenen entweder doch in ihrer Wohnung bleiben können oder Hilfe beim Finden einer Alternative bekommen.

“Die Angebote der Leipziger Wohnungsnotfallhilfe sind breit gefächert und reichen von der Notunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften über persönliche und wirtschaftliche Hilfen bis zu ambulant betreutem Wohnen für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten”, formuliert Fabian das Thema in seiner ganzen Bandbreite.

Neben den städtischen Leistungen, die das Sozialamt erbringt, stellen sich auch die in Leipzig tätigen freien Träger mit ihren Angeboten vor. Betroffene und Interessierte können sich im Internet unter www.leipzig.de/sozialamt über Hilfesystem und künftige Strategien der Leipziger Wohnungsnotfallhilfe informieren.

Jährlich rund 800 Personen sind in Leipzig zumindest zeitweise in Notunterkünften oder von der Stadt angemieteten Wohnungen untergebracht.

Wohnungslosigkeit rückt auch in Leipzig vor dem Hintergrund von Bevölkerungswachstum und abnehmendem Wohnungsleerstand zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung, formuliert auch das Sozialdezernat selbst das Problem. Waren es 2007 noch 943 Räumungsklagen, stieg deren Zahl bis 2013 auf 1.300 an.

Wobei schon dort die Trennung der Problemlagen einsetzt. Denn wenn Familien wegen finanzieller Nöte ihre Mieten und Nebenkosten nicht mehr aufbringen können, heißt das noch nicht, dass sie dann ins Obdachlosenasyl wechseln müssen.Leipzig verfügt über zwei Übernachtungshäuser für wohnungslose Menschen. Das Übernachtungshaus für Frauen wird durch den Advent-Wohlfahrtswerk e.V. betrieben und bietet 24 Frauen Platz. Das Übernachtungshaus für Männer ist eine städtische Einrichtung für bis zu 50 Personen. Dazu kommen eine Übernachtungseinrichtung für drogenabhängige Menschen mit 20 Plätzen, die vom Zentrum für Drogenhilfe betrieben wird, und eine kleine Übernachtungsmöglichkeit für psychisch kranke wohnungslose Personen mit vier Plätzen, die durch die Das Boot gGmbH vorgehalten wird. Drei Tagesaufenthalte ergänzen das Angebot.

Außerdem hat die Stadt Leipzig zwischen 65 und 75 Wohnungen als Gewährleistungswohnungen angemietet, die vorrangig an von Wohnungslosigkeit bedrohte Familien mit Kindern vergeben werden. Sie sind quasi das Notquartier, wenn aus ihrer Wohnung geschmissene Familien schnell ein neues Dach über dem Kopf brauchen. Der Grund für die Kündigung sind fast immer finanzielle Probleme. Und selbst hier macht sich die grandiose “Arbeitsmarktreform” von 2005 bemerkbar. Im Bericht heißt es dazu: “Im Zeitraum von 1996 bis 2012 verschob sich das Verhältnis der bei Erstkontakt festgestellten Einkommenssituation kontinuierlich zu einer offenen und ungeklärten finanziellen Situation. Waren im Jahr 1996 lediglich 5 % aller wohnungslosen Klienten ohne geregeltes Einkommen, so war dies im Jahr 2012 bei 50 % aller vorsprechenden Männer und Frauen der Fall.”

Einkommen heißt hier aber auch ALG I, ALG II, Sozialhilfe – wer solche hat, gilt als Mensch mit Einkommen. Was im Umkehrschluss heißt: Immer mehr Menschen, die entweder aus allen sozialen Sicherungssystemen geflogen sind und/oder sich irgendwie mit Jobs aller Art durchzuschlagen versuchen, schaffen es nicht mehr, ihren Wohnraum zu finanzieren. Hier muss also mehr passieren als das Besorgen neuen Wohnraums. Hier muss ein ganzes Leben finanziell wieder stabilisiert werden.

Oft genug spielt dabei eine Suchtproblematik eine zusätzlich verschärfende Rolle.

Die Rahmenbedingungen in der Stadt und die Bedarfslagen wohnungsloser Menschen ändern sich, stellt denn auch das Sozialdezernat fest. So ist in Leipzig beispielsweise seit einigen Jahren eine Zunahme von psychischen Erkrankungen bei wohnungslosen Menschen zu verzeichnen. Versorgungsangebote müssen daher weiterentwickelt und differenziert werden. Erweitert werden soll das Angebot für Menschen mit Doppeldiagnosen. Ziel ist es, bereits 2014 erste Erfahrungen zu Unterbringungsformen mit tagesstruktureller Betreuung unter Einbeziehung der Suchthilfe und Hilfe für psychisch kranke Menschen zu sammeln.

Die Anzahl der Betreuungsplätze für chronisch mehrfach abhängigkeitserkrankte Männer kann dagegen reduziert werden, vermeldet das Dezernat. Da die Nachfrage nach Tagestreffs in den letzten Jahren gesunken ist, soll nun der Tagestreff in der Rückmarsdorfer Straße 5 nicht weiter betrieben werden. Die beiden Treffs Leipziger Oase in der Nürnberger Straße 31 und der Tagestreff Insel in der Plautstraße 18 bleiben bestehen.

Besondere Bedeutung hat – so betont das Dezernat – der Ausbau der präventiven Hilfe, um Wohnungslosigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen. Dazu wurde bereits 2011 die Beratungsstelle für Wohnungslose “Vier Wände” in einen Sozialdienst mit Zuständigkeit für Wohnungsnotfälle erweitert. Durch die Wandlung hin zur aufsuchenden Sozialarbeit können Wohnungsnotfälle bereits vor Räumungsklage oder Räumungstermin betreut und unterstützt werden. Diese präventive Arbeit soll noch weiter ausgebaut und die Vernetzung mit anderen Ämtern und Einrichtungen wie dem Jobcenter oder mit Sozialdiensten der Wohnungsunternehmen vorangetrieben werden. Ziel ist frühestmögliche Hilfe, damit Wohnungslosigkeit gar nicht erst eintritt.

Die Vorlage des Sozialdezernats: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/25E58BF7A8C16D52C1257CEF00255DD3/$FILE/V-ds-3856-text.pdf

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