Leipzigs Stadtverwaltung ist ein hierarchisch aufgebauter Apparat. Und so ist auch das Denken in diesem Apparat. Auch dann, wenn es eigentlich um das wichtige Thema Bürgerbeteiligung geht. Die Stadt möchte die Hoheit nicht aus der Hand geben - und brüskiert damit auch den Stadtrat, der zu Wahlverfahren noch gar nicht entschieden hat. Und den existierenden Migrantenbeirat gleich mit. Ist ja egal, wen man mit amtlicher Arroganz einfach mal verprellt.

Anlass für zwei geharnischte Wortmeldungen von Linken- und Grünen-Fraktion war eine amtliche Bekanntmachung, die der Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller (SPD) am 27. September ins “Amtsblatt” der Stadt Leipzig setzen ließ: “Öffentliche Ausschreibung – engagierte Migrantinnen und Migranten zur Mitarbeit aufgefordert”.

Obwohl man im Verwaltungsdezernat sehr wohl wissen müssten, dass der Migrantenbeirat am 16. Mai einen Antrag gestellt hat, die 16 nicht durch die Fraktionen bestellten Mitglieder durch direkte Wahl ermitteln zu lassen. Aber irgendwie ist Leipzigs Verwaltung zwar für Mitbestimmung – aber lieber nur auf dem Papier.

“In zwei Wochen steht der Antrag zur Direktwahl des Migrantenbeirats durch die migrantische Bevölkerung von Leipzig zur Abstimmung auf der Tagesordnung der Ratsversammlung”, stellt dazu Diana Ayeh, Stadträtin von Bündnis90/Die Grünen, fest. “Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum das Dezernat Allgemeine Verwaltung nicht die demokratische Entscheidung über den Antrag abwartet, zumal sich der neue Stadtrat ja auch noch nicht konstituiert hat. Die Verwaltung möchte damit allem Anschein nach noch einmal ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Direktwahl bzw. einem Mischmodell von Urwahl und Benennung bekräftigen, unterläuft damit aber faktisch die demokratische Entscheidungsbefugnis des Rates einerseits und die politische Initiative des Migrantenbeirats andererseits.”

Im Juli hatte die Verwaltung einen Verwaltungsstandpunkt formuliert, in dem sie den Antrag des Migrantenbeirates rundweg ablehnte. Doch dabei spielt das Papier wieder einmal Stadtrat und Migrantenbeirat gegeneinander aus. Denn sein eigentlicher Inhalt bezieht sich auf einen ablehnenden Prüfauftrag aus dem Jahre 2013. Dort werden verschiedene Modelle der Konstituierung zwischen Urwahl und Benennung vorgestellt und gegeneinander abgewogen. In der Formulierung klingt das dann so: “Im Ergebnis der daraufhin erfolgten Prüfung hat die Verwaltung am 18.09.2013 der Ratsversammlung eine Information vorgelegt, die diese ohne Wortmeldungen zur Kenntnis genommen hat ( vgl. DS V/3124 ). Darin plädierte die Verwaltung – in Abwägung verschiedener Aspekte und wegen der insgesamt positiven Erfahrungen mit dem Leipziger Modell – für die Beibehaltung des bisherigen Verfahrens zur Einrichtung des Migrantenbeirats der Stadt. Da die damalige Einschätzung auch durch den zweiten und abschließenden Tätigkeitsbericht des Migrantenbeirates für die V. Wahlperiode 2009 – 2014 (Drucksache Nr. V/3732, Ratsversammlung am 25.05.2014 ) bestätigt wurde, gibt es für die Verwaltung keinen Anlass für eine Neubewertung zum nun vorliegenden Antrag des Migrantenbeirats, der die gleiche Intention wie der o.g. Prüfauftrag von 2012 hat.”Die Stadtratsfraktionen hätten sich also zu Wort melden sollen, um öffentlich kund zu tun, was sie von dem Ergebnis der Prüfung, das in der Informationsvorlage zu finden war, halten. Immerhin hatte die Verwaltung solche Dinge wie den hohen bürokratischen Aufwand, die schwierige Herstellung einer ausgewogenen Vertretung der Migrantengruppen und – natürlich – die saftigen Kosten ins Spiel gebracht: 40.000 bis 100.000 Euro.

Das den Stadträten damals nicht gleich eine zünftige Argumentation einfiel, findet Diana Ayeh durchaus nachvollziehbar: “Dort wird ganz richtig angeführt, dass es bei der Wahl zwischen Urwahl und Benennung keinen Königsweg gibt. Aufgeführt werden dann aber fast ausschließlich nur mögliche negative Aspekte, wobei nicht ersichtlich wird, wodurch diese durch die bisherige Benennungspraxis ausgeräumt werden können. In der Information geht es immer wieder um die ‘hohe Akzeptanz’, die ‘guten Erfahrungen’, die von Verwaltungsseite mit dem ‘Leipziger Modell’ des Migrantenbeirats gemacht wurden. An dieser Stelle muss sich ernsthaft gefragt werden, ob es um die Schaffung einer möglichst demokratisch legitimierten, politischen Interessenvertretung von MigrantInnen geht oder der Beirat prinzipiell als verlängerter Arm der Verwaltung fungieren soll. Es ist an der Zeit, dass die seit 2008 wichtige Arbeit des Migrantenbeirats demokratisch noch besser legitimiert wird. Mitbestimmung von Menschen ohne deutschen Pass bzw. mit Migrationshintergrund darf nicht als Hindernis, sondern muss als Chance für Leipzig begriffen werden.”

Die Stimmen der Grünen hat der Migrantenbeirat also schon mal sicher, genauso wie die der Linksfraktion, wie Linke-Stadträtin Juliane Nagel erklärt: “Die Linke unterstützt den Vorschlag des Beirates. Eine Direktwahl würde die Arbeit des Beirates in hohem Maße aufwerten. Damit würde die Vertretung der MigrantInnen in dieser Stadt – immerhin 10 % der Bevölkerung – durch eben jene selbst legitimiert werden. Bisher können sich AusländerInnen und eingebürgerte MigrantInnen bei der Stadt bewerben und werden dann vom Stadtrat benannt. Genau dieses Prozedere stünde mit Beginn der neuen Stadtratsperiode an. Der Antrag des Migrantenbeirates weist jedoch einen neuen und aus unserer Sicht besseren Weg. Darum sollte die Abstimmung in der Ratsversammlung am 15.10.2014 abgewartet werden, bevor die Bewerbungsphase ausgerufen wird.”

Und sie verweist darauf, dass selbst in Sachsen schon andere Wege gegangen werden. Irgendwie ist Leipzigs Verwaltungshaltung also eher eine Haltung aus Bequemlichkeit.

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Juliane Nagel: “In Dresden wurde der dortige Ausländerbeirat im Mai 2014 bereits zum 3. Mal direkt gewählt. Zwar sieht die Sächsische Gemeindeordnung die Direktwahl von Beiräten des Stadtrates nicht explizit vor, sie schließt diese Variante jedoch nicht aus. Die Satzung des Dresdner Ausländerbeirates baut eine Brücke, indem die Direktwahl mit der Bestätigung durch den Stadtrat verknüpft wird. Eine ebensolche Regelung hält die Linksfraktion – solange die CDU auf Landesebene die Änderung der Gemeindeordnung verhindert – auch für Leipzig für praktikabel. In einem Änderungsantrag zum Antrag des Migrantenbeirats schlägt die Fraktion darum eine Änderung der Hauptsatzung der Stadt Leipzig vor. Außerdem will die Linksfraktion die Stadt mit ihrem ergänzenden Antrag beauftragen, alle wahlvorbereitenden Maßnahmen zügig in Gang zu setzen, um die Wahl des Migrantenbeirates innerhalb eines Jahres nach Beschlussfassung zu ermöglichen.”

Und dann noch extra für Leipzigs Verwaltungsbürgermeister: “Der Anspruch auf politische Teilhabe von Migrantinnen und Migranten in unserer Stadt darf nicht nur wohlklingende Lyrik in Konzeptpapieren oder Imagebroschüren sein, sondern muss mit Leben erfüllt werden. Die Wahl des Migrantenbeirates ist dafür ein wichtiger Schritt.”

Der Antrag des Migrantenbeirats als PDF zum Download.

Der Verwaltungsstandpunkt als PDF zum Download.

Die Informationsvorlage zum Prüfantrag als PDF zum Download.

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