Häufig war in den vergangenen Jahren in Leipzig von angeblichen Asylschmarotzern, Kriminellen und Leuten, vor denen man seine Kinder schützen müsse, die Rede. Meist dann, wenn irgendwo - in Grünau, Schönefeld oder Wiederitzsch - ein neues Flüchtlingsheim eröffnen sollte und sich die wahlweise "betroffenen" oder "besorgten" Bürger auf Informationsveranstaltungen in Rage reden durften. Einen solchen Infoabend veranstaltete die Stadt am Dienstag auch in der Südvorstadt, wo ein ungenutztes Schulgebäude für etwa ein Jahr als Notunterkunft dienen soll.

Statt Hass, Wut und Unverständnis hagelte es dort allerdings Solidarität, Wohlwollen und Willkommensgrüße. Am Donnerstagabend folgte eine zweite Veranstaltung in der Aula des Reclamgymnasiums in der Tarostraße. Die für Viele spannende Frage war, ob es erneut so gesittet und freundschaftlich zugehen würde wie zwei Tage zuvor.

Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) und Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst erläuterten zunächst die Rahmenbedingungen. Im benachbarten, ehemaligen Gebäude der Pablo-Neruda-Grundschule sollen ab September bis zu 150 Personen unterkommen, um die sich dann drei Sozialarbeiter kümmern werden. Gemäß Stadtratsbeschluss soll das Gebäude ab Februar 2017 für 5,4 Millionen Euro komplett saniert werden und zum Schuljahr 2018/19 wieder in Betrieb gehen. “Wenn die Bautätigkeit beginnt, werden die Flüchtlinge nicht mehr hier wohnen”, erklärte Fabian. Die Bedingungen seien für die Flüchtlinge nicht ideal, aber wegen der steigenden Zahlen – Leipzig wird dieses Jahr voraussichtlich 3.000 Personen aufnehmen – sei man auf solche Notunterkünfte angewiesen. Im Notfall werde man Asylsuchende während der Sommerferien auch in Turnhallen unterbringen.

Im Gegensatz zur vorherigen Veranstaltung hatten zu diesem Zeitpunkt schon einige Zwischenrufe die Atmosphäre erhitzt. Doch die erste reguläre Wortmeldung aus dem Publikum sorgte gleich wieder für Abkühlung. Ein Mann sprach sich für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen aus, welche er in diesem Gebäude anzweifelte, und zeigte sich erfreut darüber, dass Legida in Leipzig nicht Fuß gefasst habe.

Thomas Fabian erläuterte die Pläne der Stadt für die Pablo-Neruda-Schule Foto: Sebastian Beyer
Thomas Fabian erläuterte die Pläne der Stadt für die Pablo-Neruda-Schule. Foto: Sebastian Beyer

Auch die meisten folgenden Wortmeldungen von Eltern, Schülern, Nachbarn, Bürgerverein und Pfarrer gingen in dieselbe Richtung: Man wolle die Flüchtlinge gemeinsam willkommen heißen und ihnen so gut wie möglich helfen, in Leipzig zurechtzukommen. Viele Anwesende quittierten diese Äußerungen mit Applaus. Wie in der Südvorstadt gab es aber auch hier eine weitgehend schweigende und gar nicht so kleine Minderheit, die sich in Anbetracht der vorherrschenden asylfreundlichen Stimmung zurückhielt. Jene, die sich äußerten, taten dies im Vergleich zu Wortmeldungen auf früheren Veranstaltungen dieser Art, eher gemäßigt und zweifelten etwa den Anteil der tatsächlich Asylberechtigten an.

Während Vertreter des Freistaates auf vergleichbaren Veranstaltungen mit dem Hinweis gekontert haben, dass Nichtasylberechtigte konsequent abgeschoben werden würden, wählten Fabian und Kador-Probst zwar auch einen Weg der klaren Worte, aber einen gegensätzlichen. Letztere stellte klar, dass die genannte Zahl von 20 Prozent Berechtigten nicht stimmen würde und rief der Frau, die dann empört die Aula verließ, hinterher: “Wenn Sie gehen wollen, werde ich Sie nicht aufhalten.”

Auch Fabian ließ sich nicht darauf ein, berechtigte und vermeintlich unberechtigte Asylbewerber gegeneinander auszuspielen und damit Ressentiments zu bedienen: “Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch einen guten Grund hat, zu fliehen. Diejenigen, die kommen, werden wir gerne aufnehmen.” Kador-Probst ergänzte: “Es ist legitim, für sich und seine Familie im Leben das Beste zu wollen.” Nach anderthalb Stunden zeichnete sich klar ab, dass auch an diesem Ort den Flüchtlingen viele Sympathien entgegengebracht werden und mit großem Engagement zu rechnen ist. Entsprechend erleichtert zeigte sich Fabian nach Abschluss der Veranstaltung: “Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Eltern und Nachbarn die Nachricht so freundlich und wohlwollend aufgenommen haben.”

Das umjubelte Schlusswort gehörte an diesem Abend der stellvertretenden Vorsitzenden des Elternrates des Reclam-Gymnasiums, die um Verständnis für die Situation von Flüchtlingen warb: “Vor 25 Jahren sind auch wir auf die Straße gegangen, um dahin gehen können, wohin wir wollen.” Es war das letzte von vielen starken Plädoyers gegen die asylfeindliche Stimmung dieser Tage.

Die Diskussion zur Pablo Neruda Schule als Audio zum Nachhören

Ab Minute 25:30 beginnt die Debatte. Ein Mitschnitt von Sebastian Beyer (L-IZ.de)

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Es gibt 2 Kommentare

Hallo adelin,

erstmal ganz herzlichen Dank für die Bereitschaft zu helfen. Wie ein Elternsprecher bei der Veranstaltung sagte, “Das Engagement der Menschen macht stolz ein Leipziger zu sein.”

Zur Zeit sind solche organisatorischen Fragen noch sehr unklar, klar ist, das die städtischen Behörden die falschen Ansprechpartner sind, mangels personeller Ausstattung ist dort genug zu tun, die originär städtischen Aufgaben zu organisieren.

Für die Einrichtung Pablo-Neruda-Schule machte der Bürgerverein Messemagistrale (siehe Link) einen recht guten Eindruck. Insgesamt muss mehr Vernetzung unter den Vereinen entstehen, dies ist aber soweit ich das sagen kann auf einem guten Weg.

Zusammengefasst: Es dauert wahrscheinlich noch drei bis vier Wochen, bis sich die richtigen Ansprechpartner für Anliegen wie das Ihre zeigen. Die L-IZ wird dran bleiben und eventuell auch unterstützen.

hey, gibt es bereits, an denen man kleiderspenden o.ä. abgeben kann?

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