Nicht nur Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, hätte es gern genau gewusst: Wie viele Überwachungskameras hängen eigentlich schon in den sächsischen Großstädten herum und überwachen den öffentlichen Raum? Auch zu Leipzig hat er gefragt. Er bekam eine Antwort mit Löchern.

Das hat mehrere Gründe: Die einen müssen keine Auskunft geben, die anderen wollen es nicht. Zu den ersten gehören alle privaten Eigentümer von Shopping Malls, Kaufhäusern, aber auch die Stadt Leipzig selbst oder die Deutsche Bahn. Aber Valentin Lippmann hatte seine Frage auch sehr eng gezogen und nach „Kameras zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung“ gefragt. Das scheint sich ja irgendwie nur auf die Sicherheitsbehörden des Freistaats zu beziehen: Polizei, Landeskriminalamt, Verfassungsschutz, vielleicht noch – da nun Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) geantwortet hat – auch noch die Justizbehörden von Land- und Amtsgericht bis zur Justizvollzugsanstalt.

Aber wozu hängen dann die anderen Überwachungskameras da? Nur zur Bespaßung der Sicherheitsleute, die hier an Monitoren den Lauf des Lebens beobachten können?

Da sieht das Zahlenwerk, das Lippmann bekommen hat, nach sehr viel aus – aber bei näherer Betrachtung sorgen vor allem Kameras zur Überwachung von Innenräumen und Innenhöfen staatlicher Behörden dafür, dass am Ende weit über 100 Einzelstandorte ausgewiesen sind. Das ist eine durchaus nicht unspannende Erkenntnis, wie dicht das Kameranetz in diversen Gerichten und Polizeidienststellen ist, in der Justizvollzugsanstalt in der Leinestraße sowieso. Da hätte man fast nichts anderes erwartet.

Aber schon wenn es nach den möglichen Observationskameras des Verfassungsschutzes geht, wird die Staatsregierung schweigsam: „Es wird auf die Vorbemerkung zur Antwort der Staatsregierung auf die Kleine Anfrage Drs. -Nr. 6/1648 verwiesen“, heißt es da. Und in der erwähnten Antwort vom Juni 2015 hatte damals Prof. Georg Unland, der Finanzminister, formuliert (oder formulieren lassen): „Soweit die Fragen Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes (SachsVSG) berühren, sieht die Staatsregierung von einer Beantwortung ab. Es stehen überwiegende Gründe des Geheimschutzes (Art. 51 Abs. 2 Verfassung des Freistaates Sachsen) entgegen. Informationen über operative Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 SächsVSG würden die jeweils eingesetzten Methoden der Nachrichtenbeschaffung offenbaren oder Rückschlüsse auf die Art nachrichtendienstlicher Zugänge ermöglichen und somit die Arbeitsfähigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen gefährden.“

Damals ging es um die Überwachung von Protesten gegen Legida. Die Antwort legt also nahe, dass das Landesamt für Verfassungsschutz durchaus mit elektronischen Mitteln in Leipzig unterwegs ist, um die Proteste gegen Legida zu überwachsen. Und wahrscheinlich nicht nur die.

Aber es ist nicht das einzige große Loch in der Antwort, die natürlich bestätigt, das auch ein paar ganz offizielle Kameras im öffentlichen Raum herumhängen, auf die auch mit den üblichen Schildern zur Videoüberwachung hingewiesen wird. Die bekannten Standorte werden gleich ganz oben in der Liste aufgeführt, damit sie keiner überliest: Die älteste ist eine auf einem Gebäude am Rossplatz aufgesetzte Kamera. 2005 kam die Überwachungsanlage am Kleinen Willy-Brandt-Platz dazu, 2006 die am Connewitzer Kreuz und 2008 die an der Eisenbahnstraße 84. Das ist vorn an der Kreuzung Eisenbahnstraße/Hermann-Liebmann-Straße, also leider völlig am falschen Standort für die jüngsten Vorfälle im Rockermilieu, die sich 200 Meter weiter stadteinwärts abgespielt haben.

Aber eine weitere sächsische Landeseinrichtung taucht überhaupt nicht in der Liste auf, obwohl man sämtliche Straßenüberwachungskameras des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr (LASUV) aufgeführt hat, die ja eigentlich – so die Begründung in der Liste – vor allem für „Visuelle Erkennung Straßenzustand, Stau und Unfälle für den Betriebsdienst Bundesautobahn“ da sind. Augenscheinlich eignen sie sich auch zur Kriminalitätsbekämpfung, sonst würden sie ja in der Liste nicht auftauchen.

Aber was fehlt, sind die Universität und die Hochschulen. Schon 2006 hatte der „Spiegel“ darüber berichtet: „Videoüberwachung: Die Uni macht große Augen“. Hat sich das geändert? Wahrscheinlich nicht. 2011 berichtete das Online-Magazin der Journalistik, „Uncover“ über die Videoüberwachung auch im Gelände der Universität.

Man bekommt zumindest so eine Ahnung, dass das, was Valentin Lippmann jetzt als Liste bekommen hat, wirklich nur ein kleiner Ausschnitt aus den in Leipzig existierenden Kamerapools ist. Auch was die Einrichtungen des Freistaats betrifft. Zu den Videokameras des Landes kommen dann auch noch die im Bereich der Stadt Leipzig hinzu – bis hin zu den Kameras in den Fahrzeugen der LVB. Über 1.000 Stück sind das. Und sogar in Kleingartenanlagen sind sie mittlerweile allgegenwärtig. Ein Thema, das im Februar 2014 für Furore sorgte und die Leipziger Piraten dazu brachte, sich öffentlich zu wundern über diese um sich greifende Überwachungsmentalität.

„Niemand möchte mit Überwachungsmaßnahmen konfrontiert werden, die schon zur Genüge aus Supermärkten und Banken bekannt sind, besonders in einer Umgebung, die der Erholung dient“, kommentierte damals der Pirat Raik Lorenz die überhitzte Diskussion. „Die Menschen sind nicht mehr bereit, falschen Versprechen vermeintlicher Sicherheit zu lauschen und dafür den Kernbereich privater Freizeitgestaltung einem undurchsichtigen Überwachungsapparat zu überantworten.“

Aber augenscheinlich sind ein Haufen Behörden, Unternehmen und Vereine bereit, die Welt mit Kameras zu besetzen und darauf zu hoffen, mögliche Bösewichte würden brav in die Kameras lächeln, bevor sie nach begangener Tat davonflitzen.

Die Anfrage von Valentin Lippmann zur Videoüberwachung in Leipzig. Drs. 5325

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