Wie viel Mitbestimmung darf’s denn sein? Das ist die eigentliche Frage, die in der Debatte um die Zukunft der Ortschaftsräte und der Stadtbezirksbeiräte geklärt werden muss. Das soll 2017 diskutiert werden. Aber wie das so ist – manche können es nicht abwarten und klopfen schon mal Pflöcke ins Eis. Wie am 30. Dezember die LVZ: „Linke wollen die Ortschaftsverfassung auf das gesamte Stadtgebiet ausdehnen“. Was zu diesem Zeitpunkt nun wirklich nicht mehr neu war. Den Antrag hat die Linke schon 2015 gestellt.

Im März 2015. Zeitnah, sozusagen. Denn man hatte ja 2014 gerade den neuen Stadtrat gewählt und auch wieder gemerkt: Irgendwie ist das Interesse an der Wahl der Ortschaftsräte höchst unterschiedlich. Manche Parteien bekamen nicht mal die nötigen Kandidaten zusammen für dieses Ehrenamt. Obwohl unübersehbar ist, dass man mit aktiven Ortschaftsräten eine Menge bewirken kann. Erst recht, wenn diese wirklich beginnen, sich als eigenständige Stimme für den Ortsteil auch im Stadtparlament zu melden.

Aber da die LVZ als so eine Art Postmeilensäule dasteht, bei der einige Fraktionen munter werden, wenn da was steht, gab es dann also die Statements zum Antrag der Linksfraktion aus dem März 2015 und zur Stellungnahme der Stadtverwaltung aus dem Herbst 2016 zum Jahreswechsel 2017. Irgendwie haben einige Volksvertreter dann immer das beklemmende Gefühl, sie müssten jetzt öffentlich Stellung beziehen – obwohl sie allesamt zur Werkstatt der Stadtverwaltung eingeladen sind, die in diesem Jahr durchaus bereit ist, das Modell der Stadtbezirksbeiräte/Ortschaftsräte auf den Prüfstand zu stellen.

Denn eigentlich geht es so nicht ewig: zwei völlig unterschiedliche Vertretungsmodelle für die Bürgerschaft – einerseits in den 1999/2000 eingemeindeten Ortsteilen, andererseits in den großen innerstädtischen Stadtteilen.

Was tun? Die Linksfraktion kann sich vorstellen, die Befugnisse der Ortschaftsräte auch auf die Stadtbezirksbeiräte auszuweiten. Mehr Kompetenzen, so der Ansatz, würde die Stadtbezirksbeiräte aufwerten. Und die Mitglieder der Stadtbezirksbeiräte müssten sich zur Wahl stellen. Die Bürger würden also ihre Stadtbezirksbeiräte direkt wählen. Bislang werden diese von den Ratsfraktionen bestimmt.

Aber das geht so nicht, findet SPD-Stadträtin Nicole Wohlfarth: „Eine einfache Übertragung der Ortschaftsverfassung auf die Stadtbezirksbeiräte löst keine gefühlten Ungerechtigkeiten auf und macht Entscheidungen nicht demokratischer.“

Und natürlich kommt sie auch auf den emotionalen Aspekt der Sache, der seit 2012 immer wieder eine Lösung in der Geschichte verhindert hat. Als wichtigen Faktor betrachtet die Sozialdemokratin die Entstehungsgeschichte, da die Ortschaften homogen gewachsene Strukturen darstellten, wohingegen die Stadtbezirke festgelegte Verwaltungsgebiete aus teils sehr unterschiedlichen Ortsteilen seien.

„Gut sichtbar wird das am Vergleich vom städtisch geprägten Reudnitz mit Meusdorf, das großenteils aus Einfamilienhäusern besteht.“ Eine theoretisch zwar mögliche Lösung wäre es aus ihrer Sicht, für jeden Ortsteil des Stadtgebietes einzelne Ortsteilräte einzurichten. „Bei 95 Ortsteilen innerhalb des Stadtgebietes zerfasern wir uns selbst, weil Vorlagen, die überall beraten werden müssen, dann ewig durch die Gremien unterwegs sind.“ Schnelles Reagieren oder Agieren würde auf diese Weise unmöglich.

Sie spricht zwar von 95 Ortsteilen, aber ganz offiziell sind es nur 63. Die 95 kommt durch die Zählung in den zehn großen Stadtteilen zustande, in die die Ortsteile alle einsortiert sind.

Aber natürlich geht es auch um hoheitliche Probleme. Denn einige der Wünsche vor Ort, so Wohlfahrt, würden sich nicht erfüllen lassen, da ihnen die Gemeindeordnung entgegenstehe. Dies treffe vor allem auf die Verteilung des Geldes zu: „Der Stadtrat hat hier die Budgethoheit, die er nicht einfach an andere Gremien delegieren kann.“

„Als Fraktion steht für uns das Verbindende im Fokus, Leipzig soll nicht nur gemeinsam wachsen, sondern auch zusammenwachsen“, findet Wohlfahrt. Die Stadträte müssten das Wohl der gesamten Stadt im Blick behalten, so dass es hin und wieder vorkomme, dass örtliche sehr begrenzte Wünsche nicht erfüllt werden könnten. „Wir begrüßen die Schritte der Verwaltung zunächst mit den Ortschaftsräten und Stadtbezirksbeiräten in engeren Kontakt zu kommen und zu hören was gewollt ist. Das war längst überfällig.“

Auch die Leipziger CDU will sich im Januar noch einmal intensiv mit der Fragestellung der Ortschaftsverfassungen beschäftigen. Man sieht da mit Skepsis, dass Stadtbezirksbeiräte künftig auch über Brauchtumsmittel entscheiden sollen. Die bekommen bislang nur die Ortschaftsräte, was in den eingemeindeten Ortsteilen die Identität stärkt. Und Stadtbezirksbeiräte direkt wählen? Aus CDU-Sicht kein Weg zu mehr Bürgerbeteiligung.

„Wir halten es für linken Irrglaube, dass durch die gesonderte Wahl von Stadtbezirksbeiräten mehr Demokratie oder Beteiligung entstehen würde. Die Brauchtumsmittel werden dann auch auf die Stadtbezirksbeiräte verteilt werden müssen, was die Stellung der eingemeindeten Ortschaften schwächen würde. Das kann nicht in unserem Interesse liegen“, meint Robert Clemen, Kreisvorsitzender der Leipziger CDU.

Seit Beginn dieser Debatten um Ortschaftsräte und Stadtbezirksbeiräte habe sich die CDU stets dagegengestellt, die eingemeindeten Ortschaften insgesamt zu schwächen. Dabei will man wohl auch bleiben und lieber nach neuen Argumenten suchen. Dazu werde sich die CDU Leipzig in ihrer kommenden Kreisverbands-Sitzung noch einmal mit den unterschiedlichen Auffassungen auseinandersetzen.

„Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräte haben sich in ihren unterschiedlichen Aufgaben bewährt. Wir sollten nicht ohne Not die Funktionsfähigkeit dieser Gremien gefährden“, betont Clemen.

Man ahnt schon: Wirklich hilfreich war der LVZ-Artikel nicht. In seinem Klippklapp Ortschaftsräte versus Stadtbezirksbeiräte hat er auch für die handelnden Politiker wieder hohe Bretterwände hingestellt, als müssten hier zwei Modelle in ewigem Hin und Her gegeneinander ausgespielt werden. Und als dürfte nur ja niemand darüber nachdenken, wie beide Bürgerschaftsvertretungen modernisiert werden könnten. Denn auf den Tisch kam das Ganze ja 2012 vor allem deshalb, weil viele in Orts- und Stadtteilen das Gefühl hatten, dass diese Gremien viel zu wenig ernst genommen werden. Auch von den Bürgern. Obwohl sie alle – das wird vergessen – in die Entscheidungsfindungsprozesse des Stadtrates einbezogen werden – wenn auch nur in beratender Rolle.

Es geht also um die Frage, wie künftig eine transparente und für die Bürger auch spürbar bessere Arbeit auf dieser Ebene organisiert sein könnte, wie viele Kompetenzen beide Gremien brauchen oder ob tatsächlich eine Aufwertung Sinn macht. In welcher Art auch immer. Dass Stadtbezirksbeiräte direkt gewählt werden, finden zum Beispiel auch die Grünen gut.

Selbst die Stadtverwaltung sieht einige Punkte, an denen man durchaus nachjustieren kann. In der Stellungnahme zum Linken-Antrag heißt es zum Beispiel: „Folgende Vorschläge können hierbei Inhalt der Diskussion werden:
– Selbstverständnis und Motivation der Institutionen
– Anbindung an die Verwaltung
– Anbindung in den Stadtrat und die Fraktionen
– Zusammenarbeit vor Ort
– Kommunikation nach außen (Bürgerinformation) …“

Das ist etwas anderes als die Bretterwände, die da am 30. Dezember wieder hingestellt wurden. Da ist mehr drin. Aber das kann man nur diskutieren, wenn man die Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre sammelt, ernst nimmt und das Machbare auch Wirklichkeit werden lässt.

Der Antrag der Linksfraktion.

Die Stellungnahme der Stadtverwaltung.

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Es gibt 3 Kommentare

Ein paar klitzekleine, wenn auch entscheidende Klarstellungen:
(1) Stadtbezirksbeiräte sind auch gewählt, wenn auch nur indirekt. Sie setzen sich nach dem Wahlergebnis zum Stadtrat im jeweiligen Gebiet des SBBs zusammen. Die 11 SBB-Plätze werden dann nach den Stimmanteilen der Parteien/Einzelbewerber verteilt, die zur Wahl des Stadtrates im SBB-Gebiet angetreten sind. Im Prinzip erfolgt so auch die Zusammensetzung des Bundestages. Ist dies undemokratisch?
(2) Auch der SBB hat bereits jetzt Rede und Antragsrecht im Stadtrat. Das Mittel der Wahl heißt “Wichtige Angelegenheit”. Zu kritisieren ist evtl., dass dies noch zu selten von den SBBs wahrgenommen wird. Allerdings zeigt sich hier auch die Funktionslogik des Systems mit SBB als vorberatendes Gremium für den Stadtrat. Diese Vorberatungen werden durchaus in der Stadtverwaltung und dem Stadtrat wahrgenommen – warum dann noch eine Wichtige Angelegenheit daraus machen?
(3) Einzig das Geld für Brauchtumspflege ist dem SBB verwehrt. In den Ortsschaftsräten ist dies oft das Dorffest. Das könnte aber auch die Sraßensperrung für den Westbesuch oder die Technoparty auf der Karli sein. Dafür lohnt zu streiten – allerdings wird es dann teuer für die Stadt: Brauchtumsmittel sind 2€/ Einwohner, vertraglich zugesichert in einigen Ortsteilen höher (vgl. https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1001001).

Lieber Olaf,
warum so missmutig? Auch die längste Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Und direkt gewählte Stadtbezirksräte hätten ein politisches Mandat; wären also nicht ganz so einfach zu ignorieren wie delegierte.

Ortschaftsräe haben mach der SächsGemO ledilgich die Aufgabe, das Brauchtum zu fördern. Wofür es dann auch die entsprechenden Mittel gibt.
Irgendwelche weitergehenden Rechte gibt es nicht. Es sei denn, Ortschaftsräte werden werden nach Gutdünken der Bürgermeister und Verwaltungen ohne rechtliche Grundlage eingebunden – oder auch nicht. Je nachdem, was Bürgermeister und Verwaltung gerade für Ziele verfolgen. Das führt dazu, daß Ortschaftsräte zu Hampelmännern werden. Insbesondere in Verbindung mit dem Habitus “des Deutschen”: Gib dem Deutschen ein Amt….
Oft genug kontrollieren die Stadt-, Gemeinde- und Landkreisräte Verwaltung und Bürgermeister gerade nicht. Das wird mit Ortschaftsräten und Stadtbezirksbeiräten, die entsprechend “aufgewertet” werden, nicht besser.
Dem Antrag der Linken ist lediglich zu entnehmen, daß Ortschaftsräten Kompetenzen (vermutlich solche, die über die Brauchtumspflege hinausgehen) zugewiesen werden sollen, sofern diese nicht die Aufgaben des Bürgermeisters oder das Haushaltrecht betreffen.
Es werden keine Beispiele genannt. Es wird der falsche Eindruck vermittelt, Ortschaftsräte könnten irgendetwas entscheiden. Richtigerweise wird auf ein lediglich bestehendes Rede- und Antragsrecht hingewiesen. Huch, na das ist doch dann schon mal was! Wenn das eine Aufwertung ist….?
So ein Antrag dürfte unter Populismus abzuhaken sein.
Bürger wollen sich punktuell beteiligen und mitentscheiden. Hierfür Voraussetzungen zu schaffen, wäre ein wirklicher Beitrag.
Der Antrag der Linken vermittelt den falschen Eindruck angeblich bestehender Entscheidungsmöglichkeiten und stärkt letztlich die Karrikatur von Demokratie, die man derzeit betrachten kann. Weshalb der Antrag auch folgerichtig mit der Bemerkung endet, das Entscheidungen (… der Verwaltung, des Bürgermeisters, des Stadtrates…) näher an die Bürger gebracht werden.
Es erstaunt schon, daß es für diesen Antrag keine Unterstützung der Verwaltung und der Bürgermeister gibt. Allerdings: bei genauerer Betrachtung der Verwaltungsvorlage hat diese den Antrag der Linken nur umformuliert, im Sinn aber nicht wirklich geändert.

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