Ziemlich besorgt fragten die Grünen Anfang des Monats an, wie es um die wohnungslosen Menschen in Leipzig bestellt ist. Bundesweit machen immer neue Berichte die Runde, dass Kommunen versuchen, sich dieser Folge der sozialen Abstiege zu entledigen. Anfragen an die sächsische Regierung laufen ins Leere, dort habe man keine Informationen, heißt es regelmäßig. Wie also sieht es in Leipzig aus, wo der Wohnraum immer knapper wird?

„Die Träger der Einrichtungen stellen fest, dass die Suche nach verfügbaren Wohnungen für Wohnungslose in Leipzig nahezu aussichtslos geworden ist. Insbesondere wohnungslose Alleinstehende mit Mietrückständen oder anderen Problemlagen sind nicht mehr in Wohnungen in angemessener Größe vermittelbar, auch weil es diese Wohnungen in sozialhilferechtlich angemessener Größe nicht gibt“, stellten die Grünen in ihrer Anfrage fest. „Die Träger stellen fest, dass es in Leipzig überdurchschnittlich viele Zwangsräumungen gibt, verglichen mit anderen sächsischen Kommunen (Sachsen 2015: 4.762, davon Leipzig 1.369, Dresden 953). Zugleich ist bekannt, dass kleine Kommunen im Umland ihre Hilfeeinrichtungen schließen und die Betroffenen nach Leipzig verweisen.“

Die genannten 1.368 Räumungen entfallen nicht alle auf Leipzig, teilt das Sozialdezernat nun in seiner Antwort mit.

„In 2015 wurden dem Sozialamt gemäß der gesetzlichen Meldepflicht des Amtsgerichtes (§ 36 Abs. 2 SGB XII) 1.059 Räumungsklagen in Leipzig gemeldet. Dabei handelt es sich um Räumungsklagen, die ausschließlich aufgrund von Mietrückständen erfolgten. Bei der in der Anfrage genannten Zahl der Räumungsklagen in Leipzig (1.369) handelt es sich um die Gesamtzahl aller beim Amtsgericht Leipzig anhängig gewordenen Räumungsklagen im Jahr 2015, einschließlich Räumungsklagen wegen anderer mietvertraglicher Verletzungen durch den Mieter (wie z. B. Beschädigungen der Mietsache), Eigenbedarf des Vermieters oder der Hinderung an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Wohnung durch Modernisierung, Umbau oder Verkauf.“

Und dann das stille Eingeständnis: „Die höhere Anzahl an Wohnungsverlusten in Leipzig im Vergleich zu Dresden hängt vermutlich mit einer höheren Anzahl von Personen mit niedrigerem Einkommen zusammen.“

Was ja wohl in seiner Logik bedeutet, dass in nächster Zeit noch viel mehr Menschen von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Oder?

„Die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt ist gestiegen. Wohnungslose und Personen mit Mietschulden haben es von daher schwerer, eine neue Wohnung anzumieten“, gesteht das Sozialdezernat zu. „Umso wichtiger ist es, den Verlust der Wohnung zu verhindern. Je eher sich Personen mit Mietschulden an das Sozialamt wenden, desto höher ist die Chance des Wohnraumerhalts.“

Denn die Stadt hilft tatsächlich. Öfter auch mit Geld: „Im Jahr 2016 übernahm das Sozialamt in 212 Fällen die Mietschulden. (Im Jahr 2015 waren es 170, in 2014 179 Fälle.)“

Dazu kamen dann noch: Im Übernachtungshaus für wohnungslose Männer war in den letzten drei Jahren kein Anstieg der notuntergebrachten Klienten zu verzeichnen. Im Jahr 2016 waren es 406 Personen. Im Jahr 2015 386 und in 2014 425 Personen. Eine geringe Steigerung gab es bei der Anzahl notuntergebrachter EU-Bürger aus Osteuropa (2015: 45 Personen, 2016: 56 Personen).

Und dann gibt es da noch die Arbeit einer überdrehten Behörde namens Jobcenter, die ihren Klienten immer wieder Geld vom Lebensnotwendigen streicht. Was logischerweise auch Folgen hat für Strom und Miete.

„Welche Hilfestellung bietet die Stadt Leipzig im Fall von Sanktionen durch das Jobcenter an, um Wohnraum erhaltend zu machen?“, fragten also die Grünen.

Und dann wird es ganz deutsch: Denn wer von der einen Behörde bestraft wurde, der wird bei der anderen, ebenfalls unter städtischer Regie laufenden Behörde dann beraten – man möge sich doch bitte bemühen, die Gründe für die Sanktion schnell aus der Welt zu schaffen. Unsinniger kann man die Versorgung von arbeitslosen Menschen wirklich nicht organisieren.

Das Sozialdezernat: „Sobald durch Sanktion des Jobcenters die Zahlung der Miete gefährdet ist, haben Leistungsberechtigte die Möglichkeit, sich im Sozialamt beraten zu lassen. Im Beratungsgespräch wird der Grund für die Leistungskürzung festgestellt. Gründe für die Sanktionierung kann ein Meldeversäumnis beim Jobcenter sein, die Weigerung eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen oder das Fehlen der Mitwirkung des Leistungsberechtigten. Durch das Nachholen der Mitwirkung oder der Meldung des Leistungsberechtigen im Jobcenter kann eine Aufhebung der Sanktion oder eine Verkürzung des Sanktionszeitraumes erreicht werden.“

Aber mit Geld hilft man diesen Menschen nicht wirklich. Das wurde ja gerade gekürzt: „So weit durch eine Sanktion nur geringe Mietrückstände entstanden sind, wird den betroffenen Personen empfohlen, mit Unterstützung eines Mitarbeiters des Sozialamtes eine Klärung mit dem Vermieter sowie eine Vereinbarung zur Ratenzahlung herbeizuführen. Falls bereits Mietrückstände in kündigungsfähiger Höhe (i.d.R. zwei Monatsmieten) aufgelaufen sind, kann durch das Sozialamt die Übernahme der Mietschulden in Form eines Darlehens zum Erhalt des Wohnraumes erfolgen.“

Die Betroffenen werden also wirklich wie kleine Kinder behandelt, denen nun auch das zweite Amt erklärt, wie sie sich mit wenig oder noch weniger Geld richtig zu benehmen haben.

Amtlich wahrscheinlich alles richtig. Menschlich ein Komplettversagen – und zwar amtlicherseits. Da muss niemand von Gerechtigkeit reden. Denn die erleben die hier betroffenen Menschen ganz bestimmt nicht. Es ist diese ganz bürokratische Selbstgerechtigkeit, die Deutschland zerfrisst. Aber irgendwie verwechseln das viele Verantwortliche mittlerweile tatsächlich mit Gerechtigkeit. Und merken den Unterschied nicht mehr.

Die komplette Antwort aus dem Sozialdezernat.

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