Es fällt natürlich auf, wenn die Grünen, kurz nachdem sie OBM Burkhard Jung verklagt haben, ihren Antrag „Transparentes Verwaltungshandeln“ zuzulassen, selbst den Antrag stellen, eine Petition im Stadtrat abzusetzen. Aber ihnen geht es nicht um die Petition, die sie selbst mehr als berechtigt finden – ihnen geht es um die Mauschelei der Stadtverwaltung bei den Zahlen. Denn es geht um dicke Luft und falsche Stickoxidwerte.

Hintergrund ist, dass die Karl-Tauchnitz-Straße seit einigen Jahren Umleitungsstrecke für die Harkortstraße ist. Ein dort ansässiger Mieter hatte per Klage erreicht, dass der Lkw-Verkehr nicht mehr durch Harkortstraße fahren darf, weil die gemessene Schadstoffbelastung zu hoch war. Eigentlich war das schon ein Alarmzeichen für die ganze Stadt. Denn wirklich gemessen wird ja amtlich nur an drei Stellen: am Hallischen Tor, in der Lützner Straße und draußen in Schönau.

Auf alle anderen Straßen in Leipzig werden die Schadstoffbelastungen nur hochgerechnet, obwohl man sicher sein kann, dass gerade die Hauptstraßen allesamt unter hoher Luftbelastung leiden. Das vergisst man beinah, wenn immer nur von der Lützner Straße oder der Gegend am Hauptbahnhof die Rede ist.

In der Dresdner Straße, der inneren Jahnallee, der Georg-Schumann-Straße, der Käthe-Kollwitz-Straße oder der Zschocherschen wird es genauso sein. Nur fällt das nicht auf, weil keiner das misst.

Aber die Petition einer Anwohnerin der Karl-Tauchnitz-Straße, die sich ihre Wohnung dort gekauft hat, bevor die Umleitung für den Lkw-Verkehr angewiesen wurde, zwang die Stadt jetzt dazu, wieder Stellung zu nehmen. Vorher schon war die Anwohnerin mit einer Petition gescheitert, die sich auf den gestiegenen Lärm durch den Lkw-Verkehr bezog. Abgelehnt übrigens nicht aufgrund von Messungen, sondern von Hochrechnungen. Da macht es sich Leipzigs Umweltamt ganz einfach: Es lässt die Fahrzeuge zählen, gibt das in eine Rechenmaschine und lässt sich den potenziellen Lärm ausrechnen.

Deswegen gibt es in der Stellungnahme der Verwaltung zur (Teil-)Ablehnung der zweiten jetzt vorliegenden Petition die eher beklemmende Ansage: „Nach der Lärmkartierung 2012 und den auf Grundlage der Verkehrszählungen 2016 neu berechneten Werten, treten am Gebäude Karl-Tauchnitz-Straße 35 im Tageszeitraum an der lautesten Ecke Lärmpegel in Höhe von 66 dB (A) auf. Diese Werte sind in der zurückliegenden Korrespondenz mit Frau Krüger und auch in der erwähnten Petition VI-P-01636-P-001 seitens der Verwaltung jeweils benannt worden. Es wurde wiederholt ausgeführt, welche Schlussfolgerungen die Verwaltung daraus zieht und wie diese zustande kommen. An diesem Sachstand hat sich nichts geändert.“

Mit so einer Verwaltung verhandelt man nicht gern. Statt wirklich zu messen, verlässt sie sich auf Modellrechnungen.

Schon das war seltsam.

Aber in ihrer zweiten Petition ist die Anwohnerin auch auf die Luftbelastung eingegangen. Anlass war die Entscheidung der Stadt, einem Rechtsstreit mit dem belesenen Anwohner der Harkortstraße aus dem Weg zu gehen, der nun auch die Verlegung des Leichttransportverkehrs ab 3,5 Tonnen erzwang. Denn in der Harkortstraße werden auch dauerhaft die Grenzwerte für Stickstoffdioxid gerissen. Da ließ sich Leipzig gar nicht erst auf einen Rechtsstreit ein, weil sie den mit Krachen verloren hätte.

Aber wenn die Dieseltransporter nicht mehr durch die Harkortstraße fahren, sondern durch die Karl-Tauchnitz-Straße, dann liegt doch eigentlich nahe …

Also schrieb die dortige Anwohnerin ihre zweite Petition, die der Petitionsausschuss nun empfiehlt, zum größten Teil ebenfalls abzulehnen. Begründung: „Der Petition kann nicht vollumfänglich abgeholfen werden. Die Voraussetzungen für Maßnahmen im Zuge der Fortschreibung des Lärmaktionsplans und für die Anordnung von verkehrsregelnden Maßnahmen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen nach § 45 Abs. 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) sind nicht gegeben. Für KiTa- und Schulstandorte wird die Anordnung von Tempo 30 von der Stadtverwaltung geprüft. Unabhängig davon ist die Aufstellung einer Tafel zur Anzeige der Geschwindigkeit aus Lärmschutzgründen in der Karl-Tauchnitz-Straße denkbar.“

Aber die Anwohnerin hatte eben auch die Stickoxidproblematik erwähnt.

Und wieder hat es sich Leipzigs Umweltverwaltung leicht machen wollen.

In der Ablehnung heißt es jetzt: „Auch aus Sicht der Luftreinhalteplanung gibt es nach wie vor keine Hinweise darauf, dass in der Karl-Tauchnitz-Straße die nach der 39. BImSchV zum Schutz der menschlichen Gesundheit geltenden Immissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe überschritten werden. Die Grundlage dieser Einschätzung ist die im Zuge der Fortschreibung des Luftreinhalteplans durchgeführte Modellierung der Luftschadstoffbelastung an Straßen (Stand 04/2016). Dabei wurden die Luftschadstoffe Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub (PM10) berücksichtigt.“

Man hat also wieder nur „modelliert“ und nicht vor Ort gemessen.

Das geht nicht, finden die Grünen.

Und sie wurden in ihrer Haltung durch eine Aussage von Stadtsprecher Matthias Hasberg bestätigt, die im April in der LVZ zu lesen war. Denn mit ihrem neuen Luftreinhalteplan hat Leipzigs Verwaltung gewaltige Probleme. Was auch mit der Diesel-Affäre zusammenhängt. Denn da sich die Versprechungen der Autobauer auf saubere Diesel-Motoren als echter Fake herausgestellt haben, stimmen augenscheinlich alle Modellierungen der Leipziger Luftbelastung nicht mehr. Die Petition wurde also mit Modell-Werten abgelehnt, die augenscheinlich nichts mit der realen Luftbelastung zu tun haben.

„Meine Fraktion beantragt die Absetzung der Petition zur Lärm- und Schadstoffbelastung in der Karl-Tauchnitz-Straße, weil sie die Argumentation des Verwaltungsstandpunktes widersprüchlich findet. Im April noch hat die Verwaltung die Sperrung der Harkortstraße für Fahrzeuge über 3,5 t als temporär bezeichnet, nun wird eine großräumige Lösung nur noch als Möglichkeit und Option angesehen“, sagt Daniel von der Heide, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. „Vor allem stört uns aber, dass die Fortschreibung des Luftreinhalteplanes immer noch nicht vorliegt, weil aufgrund des Dieselskandals die Berechnungen der Luftschadstoffe nicht mit den Messungen übereinstimmen – so zumindest äußerte sich Rathaussprecher Matthias Hasberg im April gegenüber der LVZ. Die Verwaltung nimmt aber genau diese Berechnungen zur Grundlage des Verwaltungsstandpunktes, um zu erklären, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe in der Karl-Tauchnitz-Straße eingehalten werden.“

Damit wird die Ablehnung der Petition natürlich fragwürdig. Denn dann ist die Ablehnung der „Petition zum Problem der starken Zunahme der Lärm- und Schadstoffbelastung durch LKW-, Bus- und PKW-Verkehr in der Karl-Tauchnitz-Straße“ mit derart windigen „Messwerten“ nicht wirklich begründbar. Da hätten schon reale Messungen stattfinden müssen.

Wir fordern, dass die Verwaltung sich die Zahlen nicht so zurechtlegt, wie es gerade passt, sondern transparent deutlich macht, wie sie mit dem Problem der Luftschadstoffe durch den Auto- und LKW-Verkehr, nicht nur in der Karl-Tauchnitz-Straße, umgehen will“, beschreibt Norman Volger, Fraktionsvorsitzender der Grünen, das Ausmaß des Problems. Denn augenscheinlich leiden mehr innerstädtische Straßen unter überhöhter Stickoxid-Belastung, als es die Rechenmodelle des Umweltdezernats deutlich machen. „Wir verstehen, dass die Verbesserung der Luftqualität eine nicht einfach zu bewältigende Herausforderung darstellt und sich insbesondere die Situation an der Karl-Tauchnitz-Straße nicht einfach verbessern lässt, ohne die Probleme an andere Stellen zu verschieben“, sagt Volger. „Aber gerade dann sollte man transparent kommunizieren und nicht widersprüchlich argumentieren. Zumindest das wäre die Verwaltung den Petenten schuldig.“

Und so beantragen die Grünen folgerichtig in der Ratsversammlung am heutigen 20. September die Absetzung der „Petition zum Problem der starken Zunahme der Lärm- und Schadstoffbelastung durch LKW-, Bus- und PKW-Verkehr in der Karl-Tauchnitz-Straße“.

Der Absetzungsantrag der Grünen.

Die Ablehnung der Petition.

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Wenn auch noch die Kommunen das Schadstoff-Problem aussitzen und “verschönern”, für das sie freilich nur bedingt etwas können (Grenzwertbetrug Autoindustrie), dann machen sie sich mitschuldig an der ewig dauernden Aufklärung dieser.

Scheinbar sind die größten Verursacher solcher Problematiken (wie auch anderer) eine rein am Profit interessierte lobbyunterstützte Industrie sowie sich mittlerweile verselbstständigte, bräsige, machtbesessene und ausufernde Bürokratien / Verwaltungen.
Die eigentlichen Zwecke und Ziele geraten in den Hintergrund und der Bürger steht ernüchternd und ratlos da.

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