LZ/Auszug aus Ausgabe 54Wenn es um die sich routinemäßig wiederholenden Rechtsverstöße in der Connewitzer Silvesternacht geht, werden die meisten Leipziger wohl an fliegende Flaschen und brennende Barrikaden denken. Wer jedoch selbst mal zu Silvester am Kreuz war, unterschreibt dieses Bild schon seit Jahren nicht mehr wirklich – im Jahresübergang 2017/18 erlangte eher eine hysterisch aufheulende Presse Berühmtheit, nachdem die Leipziger Polizei einen brennenden Stuhl, eine Mülltonne und zwei bis drei Flaschenwürfe aufgrund des eingeleiteten Polizeieinsatzes mit Wasserwerfern vermeldet hatte. Seit dem 20. April ist nun klar, dass sich seit mindestens drei Jahren nicht nur einige Feiernde nicht an Recht und Ordnung gehalten haben, sondern auch die Leipziger Stadtverwaltung selbst.

Als Reaktion auf mal mehr und mal weniger heftige Auseinandersetzungen in den Jahren zuvor hatte diese seit der Silvesternacht von 2015 auf 2016 jährlich eine Allgemeinverfügung erlassen. So untersagte diese, in einem bestimmten Gebiet in Connewitz spontane Demonstrationen durchzuführen. Die Allgemeinverfügung war jeweils kurz vor Silvester veröffentlicht worden und hatte auf zu diesem Zeitpunkt angemeldete Versammlungen keinen Einfluss mehr. Aber die spontanen Aufzüge über die Karl-Liebknecht-Straße waren damit verboten.

Der Aktivist Marco Santos und Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns (u. a. Stiftung „Friedliche Revolution“) von der „Initiative für Versammlungsfreiheit“ hatten gegen diese Allgemeinverfügungen geklagt. Sie wollten von einem Gericht feststellen lassen, dass die Verfügungen rechtswidrig waren. Santos war betroffen, da er eine Spontanversammlung anmelden wollte; Oltmanns wollte daran teilnehmen.

Am 20. April beschäftigte sich deshalb das Verwaltungsgericht Leipzig unter der Vorsitzenden Richterin Gabrysch mit der Sache. Vonseiten der Stadt waren ein Mitarbeiter der Versammlungsbehörde und ein Anwalt anwesend. Gabrysch stellte klar, dass für ein solches Verbot „konkrete Tatsachen nötig“ seien, „aus denen sich eine Gefährdung ergibt“.

Hinzu käme eine weitere Voraussetzung: Es müssten Tatsachen vorliegen, die nicht nur eine Gefährdung ergeben, sondern auch die Schlussfolgerung, dass diese für die Polizei nicht in den Griff zu bekommen wäre. Doch weder das eine noch das andere war offenbar der Fall. Es fehlte an konkreten Gefahrenprognosen seitens Polizei oder Verfassungsschutz.

Stattdessen wirkten sich die meist selbstbewussten Äußerungen der Polizei eher negativ für die Stadt aus. Denn da heißt es meistens, dass die Polizei die Lage im Großen und Ganzen im Griff gehabt habe. Keine Grundlage also für ein Versammlungsverbot. Zudem konnte Richterin Gabrysch nicht erkennen, inwiefern ein Versammlungsverbot die in der Regel nicht angemeldete und fernab vom Demogeschehen ausgeübte Gewalt verhindern sollte. Was sich ja auch in der jüngsten Silvesternacht zeige, in der es trotz Allgemeinverfügung zu kleineren Auseinandersetzungen zwischen Feiernden und Polizei gekommen war.

„Die Probleme am Connewitzer Kreuz kann man nicht über das Versammlungsrecht in den Griff bekommen“, formulierte Gabrysch am Ende deutlich in Richtung der Vertreter der Stadt. Der Rechtsanwalt der Kläger kommentierte vor Ort, dass die Stadt „mit Kanonen auf Spatzen“ geschossen habe. Zu dieser Einsicht kam die Stadt dann auch selbst und erkannte noch im Gerichtssaal an, dass sie rechtswidrig gehandelt hatte.

Oltmanns von der „Initiative für Versammlungsfreiheit“ äußerte sich anschließend zufrieden und blickte über die Stadtgrenzen hinaus: „Eine Polizei, die sich zurückhält, ist die beste Deeskalationsstrategie. Das gilt nicht nur in Connewitz. Bis zum nächsten Jahreswechsel gilt es den Widerstand gegen die Reform des Polizeigesetzes nach bayrischem Vorbild zu unterstützen. Dass Kämpfen sich lohnt, hat unsere Initiative bewiesen.“

Die Linke-Stadträtin Juliane Nagel, die den Prozess im Saal beobachtet hatte, sagte hinterher: „Ich freue mich über die Entscheidung des Gerichts, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eindeutig stärkt. Dass die Stadt Leipzig die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügungen recht schnell anerkannte, zeigt, auf welch dünnem Eis sich die Versammlungsverbote selbst aus ihrer Sicht bewegten. Ich hoffe, dass die städtische Versammlungsbehörde sich in Zukunft nicht wieder von der Polizei unter Druck setzen lässt und derart schwere Eingriffe in Grundrechte vornimmt.“

Offen ist weiterhin eine Entscheidung zu der Allgemeinverfügung für die jüngste Silvesternacht. Da hierzu noch einige Unterlagen fehlten, hatte sich das Gericht lediglich mit jenen für 2015/16 und 2016/17 beschäftigt. Es gibt allerdings keinen Anlass zur Annahme, dass diese nicht ebenfalls rechtswidrig war.

Die Stadt hat nun mehrere Optionen: Sie kann es erneut mit einer Allgemeinverfügung versuchen, aber diese besser absichern. Oder sie verzichtet darauf und überlegt sich andere Maßnahmen, um die Situation am Kreuz in den Griff zu bekommen. Ob ein brennender Bürostuhl wirklich den Einsatz zweier Polizeiwasserwerfer rechtfertigt, wäre beispielsweise eine Überlegung wert.

Mehr Informationen unter l-iz.de/tag/silvester

Kommentar „Silvester-Randale in Connewitz“ oder: Was man mit Bildern alles machen kann

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