Es war eine der vielen Narreteien nach 1990, dass mit dem Werkunterricht und dem Schulgartenunterricht zwei wichtige praktische Lernfächer fast völlig verschwunden sind. Viele Schulen haben ihre Schulgärten aufgegeben. Einen Teil der Nachfrage hat das Schulbiologiezentrum übernommen. Aber das ersetzt noch nicht die intensive Beschäftigung, die Kinder bei der Pflege eines eigenen Schulgartens erleben. Bildung muss zum Anfassen sein, fanden die Grünen.

Und beantragten dementsprechend: „Schulgärten fördern und schaffen!“ Das ging bis hin zu einer „Bedarfsanalyse für den Flächenbedarf für Schulgärten, Generationenschulgärten sowie Gemeinschaftsgärten, insbesondere für Schulen mit unzureichenden Außenflächen/Schulhöfen“. Das war dann wohl der Punkt, an dem die Stadtverwaltung so ein bisschen in Panik verfiel. Denn die tut sich ja jetzt schon schwer, überhaupt Bauflächen für neue Schulen mit genügend Platz für einen Schulhof zu finden. Wo sollte man da noch Platz für Schulgärten finden?

Der Punkt flog also genauso raus wie die anderen vier Antragspunkte der Grünen, auch wenn das Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule den Antrag der Grünen prinzipiell richtig findet. Es hat stattdessen einen Alternativvorschlag formuliert:

  1. Die Stadtverwaltung passt die Kriterien des Projekts „Grün macht Schule“ ab dem Ausschreibungszeitraum 2019 dahingehend an, dass die Entwicklung und Pflege von Schulgärten auf dem Schulgelände und auch außerhalb der Schulgelände in Kooperation mit Vereinen und Verbänden besonders förderwürdig sind.
  2. Die Stadtverwaltung informiert alle Schulen über den Sächsischen Schulgarten-Wettbewerb und wirbt für die Teilnahme am „Tag des Schulgartens“ am 12.06.2018.

Dass da in Sachsen ein riesiges Defizit besteht, dessen ist man sich im Sozialdezernat nur zu bewusst: „Der Schulgartenunterricht ist im Sächsischen Schulgesetz lediglich im Lehrplan der Grundschulen in den Klassenstufen 1 und 2 als einer von acht wählbaren Lernbereichen mit Wahlpflichtcharakter mit einem Stundenumfang von 4/6 Unterrichtsstunden pro Schuljahr verankert. Der/die Lehrer/-in kann selbst entscheiden, ob der Schulgartenunterricht favorisiert wird. Darüber hinaus kann der Schulgarten in den Klassenstufen 1-4 als Lernort für einzelne Themen aus dem Lernbereich 3 ‚Begegnung mit Pflanzen und Tieren‘ genutzt werden. Die genannte Stundenanzahl unterschreitet die zur Anlage und Pflege eines Schulgartens kontinuierlich benötigte Zeit erheblich.“

Es prügeln sich ja eine Menge Verbände und Lobbygruppen um die Lehrpläne und bringen auch Jahr für Jahr immer mehr von ihrem Spielzeug darin unter. Verglichen etwa mit der Lobby für Laptops, WLAN und Schnelles Internet haben Schulgärten so gut wie keine starken Unterstützer. Wirkliche Praxiserfahrung ist bei den PISA-Schul-Modernisierern nicht gefragt. Sie wollen gleichgeformte Spezialisten in abfragbaren Befähigungen („Kompetenzen“), keine Menschen, die Dinge noch anpacken, ausprobieren, untersuchen, also neugierig sind wie richtige Kinder. Lieber sperrt man sie zehn Stunden mit elektronischen Geräten im Klassenzimmer ein.

Da ist es erstaunlich, dass sogar noch recht viele Leipziger Schulen überhaupt einen Schulgarten haben.

„Laut einer statistischen Erhebung des Amtes für Jugend, Familie und Bildung im Februar 2018 haben 71 Schulen angegeben, einen Schulgarten zu betreiben (48 Grundschulen, acht Oberschulen, eine Gemeinschaftsschule, ein Gymnasium, 10 Förderschulen, drei BSZ). Davon liegt der Schulgarten bei 62 Schulen auf dem Schulgelände. Neun Schulen haben einen Schulgarten auf einem Gelände außerhalb der Schule, davon vier in Kleingartenvereinen.“

Nur zum Vergleich: Leipzig hat 151 allgemeinbildende Schulen, davon 77 Grundschulen. 29 Grundschulen – wo ein Schulgarten besonders wichtig wäre – haben also keinen Schulgarten zur Verfügung.

Deswegen lehnt die Stadtverwaltung den Antrag der Grünen auch nicht ab, sondern versucht, Aktivitäten in diese Richtung zu unterstützen.

Das Sozialdezernat formuliert das so: „Die Stadt Leipzig unterstützt seit 1993 mit dem Projekt ‚Grün macht Schule‘ im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Schulen in kommunaler Trägerschaft bei projektorientierter Arbeit sowie fächerübergreifendem Lernen auf einem grünen Schulgelände. Förderwürdig sind umweltpädagogische Projekte der Schulen in kommunaler Trägerschaft, die auf dem Schulhof oder im Schulgarten in Zusammenarbeit von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften, Erziehern, Eltern u. a. Partnern geplant und umgesetzt werden.“

Und auch Projektpartner für solche Initiativen gibt es in Leipzig: „Es bestehen bereits einige Kooperationen zwischen Kleingartenvereinen und Schulen/Kitas/Fördervereinen, welche auf freiwilliger Basis und besondere Initiative einzelner Akteure entstanden sind. Die zuständigen Stellen in der Stadt Leipzig können hier Kontakte herstellen.“

Nur der kärglich ausgestattete Lehrplan steht dem entgegen. Aber das kommt davon, wenn Theoretiker Lehrpläne machen, die nicht mehr wissen, wie wichtig praktische Welterfahrung für das Lernen ist. Da muss man sich über Kinder mit ADHS nicht mehr wundern.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar