Mit der Vorlage zur Einführung der Gästetaxe hat das Finanzdezernat auch die Grundlagen der Kalkulation für den Betrag der Gästetaxe skizziert. Man hat vorher bei relevanten städtischen Beteiligungen und Einrichtungen angefragt, wie hoch der wahrscheinlich durch Tourismus bestimmte Anteil an der eigenen Auslastung ist. Dazu wurde ihnen allen eine Kontrollfrage gestellt. Was schon seltsam genug ist. Warum hat die Stadt Leipzig diese Zahlen eigentlich nicht?

„Die Einrichtungen wurden aufgefordert, den touristischen Anteil für ihre Maßnahmen nachvollziehbar zu bewerten bzw. zu schätzen“, heißt es in der Vorlage. Aber kaum eine Einrichtung scheint dazu in der Lage zu sein. Da ist es schon erstaunlich, dass über eine Gästetaxe diskutiert wird, wenn niemand wirklich weiß, was Touristen in Leipzig eigentlich anstellen.

Die Kontrollfrage lautete: „Gäbe es die Einrichtung/Veranstaltung – in diesem Umfang und in dieser Qualität – auch ohne touristische Nutzung?“.

Die meisten Einrichtungen gäbe es auch ohne Tourismus. Aber schon der Thomanerchor hatte Schwierigkeiten, überhaupt irgendwie zu berechnen, welcher Teil der Konzerte nun für den Tourismus relevant ist. Der Zoo hatte es leichter. Der kann auf Besucherbefragungen zurückgreifen. Und immerhin ein Drittel der Zoobesucher sind Übernachtungsgäste. Das ist eine Menge Holz.

Richtig verblüfft war das Finanzdezernat, als Gewandhaus und Museen die Kontrollfrage einfach mit „Ja“ beantworteten.

„Ein großer Teil der Kultureinrichtungen hat die Kontrollfrage mit ‚Ja‘ beantwortet. D.h. die Kosten dieser Einrichtungen könnten nicht in die Kalkulation mit einfließen. Das betrifft beispielsweise die Eigenbetriebe Kultur, den Thomanerchor, die Museen. Die Oper hat diese Frage nicht beantwortet. Legt man für diese Einrichtungen die Kontrollfrage auf den Focus ‚in diesem Umfang und dieser Qualität‘ müsste die Kontrollfrage aus Sicht des Dezernates Finanzen eindeutig mit ‚Nein‘ beantwortet werden“, versucht man das Rätsel irgendwie in den Griff zu bekommen.

Denn natürlich besuchen Touristen die besten Aufführungen in Oper und Gewandhaus.

Man ahnt schon: Die Diskussion um die Gästetaxe beginnt gerade erst so richtig. Denn die Grundlagen sind überhaupt nicht geklärt. Da hilft auch die Kontrollfrage nicht weiter. Sie legt eher offen, wo bislang im Leipziger Tourismus oder dem, was manche Leute dafür halten, jede Menge Weihrauch verbrannt wurde.

Das betrifft selbst das Lichtfest, für das die LTM von der Stadt jedes Jahr einen Zuschuss bekommt. Eigentlich ein Fest für die Leipziger. Aber in den vergangenen Jahren litt es eindeutig unter einer zunehmend touristischen Eventisierung. Also erklärte die LTM auch gleich mal, dass es das Lichtfest ohne Tourismus nicht geben würde: „Für die LTM wurden die Kosten für das Lichtfest und die Touristinformation zugearbeitet. Die Kontrollfrage wurde jeweils mit ‚Nein‘ beantwortet und auch umfänglich begründet. (…) Das Lichtfest hat eine überregionale Strahlkraft. So berichteten beispielsweise über das Lichtfest 2014 zum 25-jährigen Jubiläum 600 akkreditierte Journalisten aus 21 Nationen in ihre jeweiligen Heimatländer.“

Also wird es nur für die ganzen ausländischen Touristen veranstaltet? Da muss man sich nicht wundern …

Das Finanzdezernat geht da etwas vorsichtiger zu Werke: „Für das Lichtfest wurden die Besucherzahlen 2014 und die Angaben der Besucherbefragung zugrunde gelegt. Hier beläuft sich die vorsichtige Schätzung für den touristischen Anteil auf 35 %. Diese Schätzung basiert auf der Besucherbefragung für das Lichtfest 2017.“

Aber völlig neben der Spur war augenscheinlich das Amt für Stadtgrün und Gewässer, das zu den wassertouristischen Projekten Stellung nehmen durfte. Die Umweltverbände in Leipzig dürften bei der Antwort nur noch mit dem Kopf schütteln.

„Die Kontrollfrage wurde für alle Maßnahmen mit ‚Nein‘ beantwortet, sodass auch diese Kosten in die Kalkulation einfließen können“, stellt das Finanzdezernat fest. Man ahnt, wie man sich im Amt für Stadtgrün und Gewässer seit Jahren am Begriff „Wassertourismus“ regelrecht berauscht hat und tatsächlich felsenfest daran glaubt, dass das, was auf den Gewässern in und um Leipzig passiert „Wassertourismus“ ist.

Zum Glück finanziert die Stadt Leipzig von all diesen Wassertourismus-Träumen nur die Infrastrukturen. Selbst in der Stadtkämmerei war man von der kühnen Antwort etwas verwirrt und schaute mal etwas genauer hin. Ergebnis: „Allerdings handelt es sich nach den Recherchen der Stadtkämmerei um Investitionsmaßnahmen. D.h., die geplanten Investitionskosten können so nicht in die Kalkulation einfließen, sondern nur die entsprechenden planbaren Abschreibungen und kalkulatorischen Zinsen. Diese wurden durch die Stadtkämmerei ermittelt (in Absprache mit der Anlagenbuchhaltung zu den etwaigen Nutzungsdauern = vorsichtige Schätzung).“

Was aber auch schon verblüfft: Dann wurden all diese Schleusen, Kanäle und Häfen gar nicht für die Leipziger gebaut, sondern für irgendwelche hypothetischen Wassertouristen? Und die Kämmerei akzeptiert diese luftige Erklärung auch noch?

Dafür akzeptiert sie die andere Behauptung nicht ganz: „Weiterhin wurde für diese Maßnahmen größtenteils eine 100%ige touristische Nutzung durch das Amt für Stadtgrün und Gewässer angegeben.“

Das ist ja nun eindeutig geschwindelt. „Diese Schätzung wurde aus Sicht der Stadtkämmerei im Rahmen einer vorsichtigen Kostenschätzung jeweils auf 50 % bzw. 40 % korrigiert.“

Sehr vorsichtig.

Wenn es tatsächlich  4 bis 5 Prozent wären, wäre das schon viel. Nirgendwo wird mit so vielen erfundenen Zahlen operiert, wie im „mitteldeutschen Wassertourismus“.

Aber wenn die ganze Kalkulation für die Gästetaxe auf so luftigen Zahlen aufbaut, kann man eigentlich davon ausgehen, dass sie eigentlich juristisch nicht standhalten kann. Und falls der Stadtrat trotzdem zustimmt, dürften sich eine Menge Hoteliers und Herbergsbetreiber animiert fühlen, gegen die Stadt Leipzig zu klagen. Mit nicht ganz schlechten Erfolgsaussichten.

Leipzig bekommt eine Gästetaxe, merkt aber auf einmal, dass es noch gar kein Tourismuskonzept hat

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