Die Leipziger werden in diesem Jahr etwas erleben, was es so lange nicht gab. Jedenfalls nicht seit den Tagen, als Google für sein Streetview-Angebot Kamerawagen mit hochaufragender Kamerastange durch Leipzig fahren ließ. Denn solche Fahrzeuge werden auch 2020 fahren, wenn der Stadtrat kurzerhand zustimmt. Nur dass es keine Google-Fahrzeuge sein werden, sondern Fahrzeuge der Leipzig Netz GmbH, der Netz-Tochter der Leipziger Stadtwerke.

Die hat sowieso vor, einen Teil des Stadtgebietes zu befahren und dabei 360°-Panoramabilder anzufertigen, mit denen man die eigenen Infrastrukturplanungen unterstützen kann. Denn mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass die Streetview-Technologie sich nicht nur dazu eignet, bei Google Maps die nächste Pizzeria in Straße XY zu finden, sondern auch für lauter städtische Planungsprozesse, die bislang mit aufwendigen Vor-Ort-Begehungen und emsigen Karteneintragungen bewältigt werden mussten.

Digitale Karten hat die Stadt Leipzig schon länger. Und als die Verantwortlichen im Planungs- und die im Wirtschaftsdezernat erfuhren, was die Leipzig Netz GmbH da vorhat, war natürlich sofort der Wunsch da: Das brauchen wir auch. Denn gerade die städtischen Verkehrsplanungen sind geradezu schwerfällig. Oft weiß man im Planungsbüro nicht, wie es wirklich vor Ort aussieht, wie der Straßenzustand ist, wie es um Fuß- und Radwege steht.

Und gerade beim Thema Radwege hat sich in den letzten zwei Jahren gezeigt, dass es hinten und vorne an Datenmaterial fehlt. Auch deshalb kommt die Leipziger Radnetzplanung einfach nicht zu Potte.

Nur drängt jetzt ein wenig die Zeit, denn die Leipzig Netz hat ihre Straßenbefahrung schon fest eingetaktet. Wenn die Stadt mit dabei sein will, muss sie sich schleunigst einklinken. Und wenn sie es tut, bekommt sie 2020 erstmals Panorama-Aufnahmen aus dem kompletten Leipziger Straßennetz, die dann in eine Urbane Datenplattform (UDP) eingespeist werden können.

„Die Netz Leipzig GmbH beabsichtigt, zusammen mit der Stadtverwaltung Leipzig, für das gesamte Leipziger Stadtgebiet die Vergabe der Planung und Durchführung einer Bild- und Laserscanbefahrung sowie die Erfassung, Bearbeitung und Bereitstellung von 360°-Panoramabildern erstmals im Frühjahr 2020. Der Projektzeitraum ist auf 5 Jahre festgelegt“, heißt es jetzt in der Vorlage der beiden genannten Dezernate.

Und die Begründung ist einleuchtend: „Die Straßenzustandserfassung muss für das gesamte befestigte Straßen- und Wegenetz und deren Nebenflächen (gemäß E-EMI 2012) durchgeführt werden. Für die strategische Erarbeitung des Straßenbauprogramms des VTA (Auftrag des Stadtrates an die Verwaltung) und die Dokumentation der Entwicklung des Straßenzustandes müssen derzeit durch die Mitarbeiter/innen der Abteilung 66.3 sehr aufwendige Befahrungen durchgeführt werden. ,

Dies und die daraus folgende Auswertung und Dokumentation sind sehr arbeitsintensiv. Die digitale Straßenzustandserfassung wäre Grundlage für eine erhebliche Effizienzverbesserung in diesem Bereich. Für die Straßenzustandserfassung vor Ort und Auswertung entsteht im VTA ein Arbeitsaufwand von ca. 390 Std., der aktuell zusätzlich erbracht werden muss. Diese Zeit fehlt in den mit der Straßenzustandserfassung betrauten Bereichen für ihre eigentlichen Aufgaben. Diese Aufgaben können damit, bei stetig steigenden Arbeitsumfängen, nicht im eigentlich erforderlichen Maß erbracht werden.“

Blick in die Gutsmuthsstraße in Lindenau. Foto: Marko Hofmann
Blick in die Gutsmuthsstraße in Lindenau. Foto: Marko Hofmann

Aber die „reduzierten Zeitaufwände zur Datenabfrage- und Sammlung“ sind nicht der einzige Grund, dass die beiden Dezernate die Beteiligung am Projekt von Leipzig Netz befürworten. „Gleichzeitig zeigen Erfahrungen aus Städten mit bereits existierenden Straßenbefahrungsdaten, dass Abstimmungsprozesse sich verkürzen und effizienter werden, da verschiedene Planungspartner in verschiedenen Ämtern und BUs auf aktuelle Datenbestände zugreifen können. Darüber hinaus steigt auch die Qualität von Planungen, Fehlerquoten sinken und damit auch die Anzahl von Umplanungen.

Diese Effekte entstehen überall da in Verwaltungseinheiten und Beteiligungsunternehmen, wo aktuell auf Basis von Vor-Ort-Begehungen und Vermessungen Genehmigungs- und Planungsprozesse durchgeführt werden müssen. Dieses Potential wurde in verschiedenen Fachbereichen erkannt. Bedarf an diesen Daten haben deshalb schon jetzt folgende Fachämter angemeldet bzw. ist deren Verwendung bereits vorgesehen: Verkehrs- und Tiefbauamt, Amt für Umweltschutz, Amt für Stadtgrün und Gewässer, Amt für Jugend, Familie und Bildung, Ordnungsamt, Amt für Geoinformation und Bodenordnung, RdS sowie die Beteiligungsunternehmen.“

Wenn das Grünflächenamt also neue Straßenbäume plant, kann es künftig diese Panoramabilder nutzen, um Standorte für die Bäume zu finden. Das Marktamt sieht, wo öffentliche Stellflächen für Freisitze oder Geschäftsauslagen zur Verfügung stehen. Die Straßenverkehrsbehörde kann die tatsächliche Beschilderung vor Ort nachprüfen und auch sehen, wo Litfaßsäulen im Weg stehen. Oft hat man ja wirklich das Gefühl: Der Sachbearbeiter, der die Aufstellanordnung gab, hat sein Büro nie verlasen. Deswegen steht vieles so komisch da.

Aber im Planungsdezernat drängt eben auch ein großes Projekt, das seit sieben Jahren einfach nicht fertig werden will: das HauptNetzRad.

„Zur Maßnahmenentwicklung und -priorisierung bei der Weiterentwicklung des HauptNetzRad ist die Zustands- und Breitenerfassung der Radverkehrsanlagen sowohl im Straßennetz wie auch bei den Hauptrouten des Radverkehrs in den Wald-, Park- und Grünanlagen im gesamten Stadtgebiet erforderlich. Die Mittel wurden bereits in 2019 durch den Stadtrat mit Beschluss zum Antrag A 0254 (Strategische Radverkehrsplanung) im Rahmen der Haushaltsberatungen 2019/20 bereitgestellt“, heißt es jetzt in der Vorlage. Augenscheinlich hat aber bislang niemand die Ressourcen gefunden, das Radwegenetz wirklich im augenblicklichen Zustand zu erfassen.

Die Vorlage führt noch weitere Arbeitsfelder auf, wo die Panoramabilder nützliche Dienste tun könnten.

Und um den Bildbestand möglichst aktuell zu halten, soll das Projekt nach der Komplettbefahrung in diesem Jahr in den nächsten Jahren weitergeführt werden. „Für jedes weitere Jahr soll die Befahrung für jeweils die Hälfte des Straßen- und Wegenetzes realisiert werden (2021–2024). Eine erneute Auswertung des Straßenzustandes wird in einem weiteren Zyklus nach dem Projektzeitraum ab 2025 angestrebt.“

 

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