Da rieb man sich am Dienstag, 25. Februar, die Augen, als die Leipziger CDU-Fraktion eine Pressemitteilung zu einem Änderungsantrag verschickte. In der Ratsversammlung am heutigen Mittwoch, 26. Februar, wolle die CDU-Fraktion den Änderungsantrag „Gemeinsam für ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben – Gegen Hass, Gewalt und Hetze“ einbringen. Und das gleich mal unter ganz großem Vokabular: „CDU-Fraktion stellt Antrag gegen ‚Hass, Hetze und Gewalt‘“.

Initiiert habe den Änderungsantrag Stadtrat Michael Weickert: „Als Stadtrat sollten wir ein verbindendes Zeichen setzen und definieren, was die Leipziger Gesellschaft eint. Gerade im Hinblick auf die zuletzt sehr aufgeheizt geführten Diskussionen müssen wir uns nun bemühen, zu versöhnen statt zu spalten!“

War der Ursprungsantrag denn so „spalterisch“?

Damit reagiere die CDU-Fraktion auf derzeit drei vorliegende Anträge, teilte die Fraktion noch mit.

„Die übrigen Initiativen greifen aus unserer Sicht zu kurz: Wir wollen nicht einzelne Motive für Hass und Gewalt verurteilen, sondern klarmachen, was die Basis in unserer Stadt sein muss, nämlich die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Jeder Leipzigerin und jedem Leipziger muss es möglich sein, den eigenen Glauben, die Persönlichkeit und politische Ansichten ohne Angst vor religiösen oder politischen Extremisten beider Ränder ausleben zu können“, meint Michael Weickert.

Tatsächlich stammt der Ursprungsantrag von der Grünen Fraktion, die im Dezember ganz konkret auf die zunehmenden rassistischen Tendenzen und die wachsende Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten reagierte.

Deswegen hieß der Kernsatz des Grünen-Antrags auch: „Der Stadtrat der Stadt Leipzig verurteilt alle menschenfeindlichen, antidemokratischen und antipluralistischen Einstellungen und Handlungen. Um diese sinnvoll und zielgerichtet in Leipzig zu bekämpfen, wird Folgendes beschlossen: …“

Diese sehr genaue Fokussierung aber wird durch den CDU-Antrag aufgeweicht, in dem es nun heißt: „Der Leipziger Stadtrat bekennt sich zu seiner Verantwortung für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander aller Bevölkerungsgruppen, aller Religionen und aller politischer Einstellungen, die auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Gemeinsam verurteilt der Leipziger Stadtrat jede Form von Hass, Gewalt und Hetze.“

In der Begründung wird dann deutlich, dass man dem Antrag tatsächlich seine Schärfe nehmen will. Dort heißt es dann: „Das Ziel der politischen Auseinandersetzung im Stadtrat darf nicht eine einseitige Verurteilung von politischem oder religiösem Extremismus sein. Der Antrag soll daher ein gemeinsames Zeichen in bewegten Zeiten sein, die Gemeinsamkeit der Demokraten herauszustellen.“

Vom Ursprungsgedanken aus dem Grünen-Antrag, jetzt wirklich ein wirksames Programm gegen menschenfeindliche und damit vor allem rechtsextreme Akteure in Leipzig aufzulegen, bleibt nichts mehr übrig.

Bei den Grünen hieß es noch eindeutig: „Menschenfeindliche Vorfälle haben zugenommen. Das Spektrum ist breit und reicht von verbalen Diskriminierungen bis zu tätlichen Handlungen. Immer wieder wird dabei versucht, Vorfälle zu nutzen um bewusst Ängste zu schüren und so Ressentiments zu verbreiten.

Um sich einen genauen Überblick über die Vorfälle in Leipzig in der letzten Zeit zu verschaffen und Objektiv und Faktenorientiert zu arbeiten, ist eine genaue Darstellung in Form eines Monitorings nötig. Erst dann ist die Erstellung eines zielgerichteten Konzepts möglich. Ziel eines solchen Konzepts sollte immer die Verhinderung von menschenfeindlichen und gewalttätigen Handlungen sein und das Bild einer wachsenden und sozialen Stadt vor Augen haben.“

Und die Stoßrichtung wird auch im letzten Satz noch einmal deutlich: „Mit diesem Beschluss richtet sich die Stadt Leipzig eindeutig gegen Schuldzuweisungen mit dem Ziel politischer Propaganda und Angst-Politik und zeigt deutlich, dass Politik für eine friedliche Stadt nur mit Fakten und Objektivität möglich ist.“

Dass da die CDU reagiert hat, verblüfft schon. So direkt zu reagieren, hat sich die AfD nicht getraut. Die hat dafür einen eigenen Antrag gestellt. Zu dem kommen wir noch.

Die Verwaltung stimmt übrigens dem Grünen-Antrag weitestgehend zu und übernimmt auch deren Forderung nach einem handfesten Monitoring in ihren Alternativvorschlag.

Die CDU-Fraktion hat das Ursprungsanliegen der Grünen zur Erstellung eines richtigen Lagebildes zu einem geradezu abstrus verquirlten Satz zusammengestaucht: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis zum III. Quartal 2020 dem Stadtrat konkrete Handlungsmaßnahmen vorzuschlagen, um gegen politischen und religiösen Extremismus und gegen Intoleranz gegenüber Religionsgemeinschaften vorzulegen.“

Aber die Konkretheit des Grünen-Antrags findet auch die Verwaltung sinnvoller, auch wenn sie ihn auf ihre Weise etwas abschwächt: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, jährlich ein Lagebild zu Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und entsprechenden Vorfällen auf Basis der Ergebnisse der Bürgerumfrage zu erstellen und dieses im Begleitausschuss der Partnerschaft für Demokratie ‚Leipzig. Ort der Vielfalt‘ und zu einer aktuellen Stunde im Stadtrat vorzustellen.

Bei den Grünen lautete der Punkt noch so: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis zum Ende des II. Quartals 2020 ein Monitoring aller antidemokratischen und menschenfeindlichen Vorfälle zu erstellen und alle Projekte und Aktivitäten zur Bekämpfung dieser ebenfalls zu sammeln. Die Ergebnisse sollen dem Stadtrat in einer aktuellen Stunde spätestens zu Beginn des III. Quartals 2020 präsentiert werden.“

Wahrscheinlich kann man sich über Begriffe wie Lagebild und Monitoring streiten. Aber wer beides aus seinem Antrag herausstreicht, beseitigt die Grundlage, auf der überhaupt gehandelt werden kann.

Wenn ein Verwaltungsvorschlag stärker und emotionaler ist als der windelweiche Änderungsvorschlag der CDU-Fraktion

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Der Leipziger OBM-Wahlkampf in Interviews, Analyse und mit Erfurter Begleitmusik

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