Vom 13. bis 14. September findet in Leipzig der EU-China-Gipfel statt. Sämtliche Staatschefs der EU werden kommen, die Repräsentanten der EU und natürlich der chinesische Ministerpräsident. Am 7. Februar gab es die ersten Informationen für die Journalisten. Am 11. Februar formulierte die Grünen-Fraktion im Stadtrat erstmals ihre Ansprüche an die Informationspolitik von Stadt und Polizei. Denn ein politisches Ereignis dieser Dimension hat Leipzig noch nicht erlebt.

Und eigentlich hätten sich die anderen Fraktionen einfach anschließen können. Doch was die Grünen beantragt hatten – z. B. eine kontinuierliche Information des Stadtrates über den Vorbereitungsstand und erwartete Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft, die Einbindung des Stadtrates in die Vorbereitungen im Rahmen einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertreter/-innen aller Fraktionen und umfassende und transparente Information der Leipziger/-innen und weitgehende Begrenzung der verkehrlichen und sicherheitsrelevanten Auswirkungen der Veranstaltung – genügt den anderen Fraktionen nicht.

Am 12. Februar legte Juliane Nagel, Stadträtin der Linken, ihr eigenes Fragepaket vor.

„Vom 13. bis 15. September 2020 soll der EU-China-Gipfel in Leipzig stattfinden. Dies wurde ohne Konsultation des Stadtrates oder der Einwohner/-innen der Stadt auf Bundesebene entschieden. In der Zeit ist mit Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit zu rechnen“, schreibt sie darin und fragt genau jene Fragen, von denen Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze sagt, dass sie zu einem so frühen Zeitpunkt noch gar nicht beantwortet werden können.

Denn noch ist nicht abschließend geklärt, welche Lokalitäten in der Innenstadt tatsächlich für den Gipfel in Anspruch genommen werden und welche Plätze und Straßen damit tatsächlich zeitweilig zur Sperrzone werden.

Aber hier das Fragepaket von Juliane Nagel an den Oberbürgermeister:

1. Welche Einschränkungen sind für Anwohner/-innen im Umfeld der Kongresshalle, Nutzer/-innen des ÖPNV, für öffentliche Einrichtungen und das öffentliche Leben an und für sich zu erwarten?

2. Welche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind in diesem Zusammenhang zu erwarten?

3. Wie werden potentiell betroffene Einwohner/-innen, Geschäfte, Einrichtungen in die Planungen für die Zeit des Gipfels einbezogen?

4. Plant die Stadt eine Bürger/-innenbeteiligung zur Umrahmung des Gipfels und wie viel Geld ist dafür eingeplant?

5. Welche Stellen der Stadt sind konkret in die Vorbereitungen des Gipfels und Umfeldmaßnahmen eingebunden?

6. Welche Kosten kommen durch den EU-China-Gipfel auf die Stadt Leipzig zu?

So weit wäre das nur berechtigte Ungeduld, erfahren zu wollen, was bei diesem ersten großen Staatengipfel in Leipzig auf die Bürger zukommt. Mit den Händlern, die von Sperrzeiten als erste betroffen sind, sei man längst im Gespräch, so Polizeipräsident Schultze.

Angst schüren auf die AfD-Art

Aber wir haben ja auch noch eine Fraktion im Stadtrat, die so eine Gelegenheit nur zu gern nutzt, um ein bisschen Panik zu verbreiten. Den Aufhänger haben freilich einige Leute schon geliefert, die im Dezember schon auf Indymedia zu gewaltsamen Auftritten während des EU-China-Gipfels aufriefen. Und möglicherweise gehört auch schon der Anschlag auf Fahrzeuge des Leipziger Ordnungsamtes am 29. Dezember dazu. Quasi als brennende Warnung an wen auch immer.

Das ist natürlich gefundenes Fressen für die Angstmacher von der AfD.

„Die Erfahrungen vergangener weltpolitischer Großereignisse haben gezeigt, dass es bei diesen leider in der Regel zu gewaltsamen Ausschreitungen durch vorwiegend Gipfelgegner kommt. Ein in ganz Deutschland noch sehr präsentes Beispiel hierfür sind die Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg 2017. Erhebliche Sachschäden können deshalb als Folge auch in Leipzig leider nicht ausgeschlossen werden.

In Hamburg wurden z. B. Autos angezündet und demoliert, Gebäude beschmiert und Fensterscheiben mutwillig zerstört. Für Inhaber von Geschäften, aber auch für Privatleute ist mit häufig erheblichen, sogar existenzbedrohenden Schäden zu rechnen. Noch schlimmer ist die potentielle Bedrohung unbeteiligter Bürger durch körperliche Gewalt“, holt die AfD-Fraktion in ihrem Antrag vom 13. Februar das ganze Arsenal beliebter Schreckensbildern aus den Medien hervor.

Und was könnte helfen? „Daher erscheint es notwendig, dass die Stadtverwaltung den Leipziger Bürgern präventiv Ratschläge gibt, damit diese sich selbst und ihr Eigentum bestmöglich schützen können. Die Leipziger Bürger sollten wissen, an wen sie sich bei möglichen Fragen vorab wenden können, ohne sich erst um bürokratische Zuständigkeiten kümmern zu müssen.

Wichtig ist, dass die Information frühzeitig geschieht und möglichst alle Bürger der Stadt erreicht, damit diese sich umfassend auf mögliche Einschränkungen vorbereiten können“, erklärt die Fraktion, für die sich augenscheinlich vor dem inneren Auge schon so eine Art Belagerungszustand abzeichnet samt bürgerkriegsähnlichen Zuständen drumherum.

Und so schlägt sie zum Beschluss vor: „Die Stadtverwaltung erarbeitet bis spätestens sechs Wochen vor dem Mitte September 2020 in Leipzig stattfindenden EU-China-Gipfeltreffen eine Ratgeberbroschüre, welche den Leipziger Bürgern Informationen rund um das geplante Gipfeltreffen gibt sowie konkrete Präventionsmaßnahmen vorschlägt, die durch mögliche Proteste und Gegendemonstrationen notwendig erscheinen. Die Broschüre wird an alle Haushalte der Stadt Leipzig verteilt und online auf der Webseite www.leipzig.de veröffentlicht.“

Angstmachen als Fragepaket

Und weil das scheinbar noch nicht genügt, gibt sich die besorgte Fraktion am selben Tag in einer extra gestellten Anfrage noch besonders besorgt.

Es ist eine Anfrage, die sehr schön zeigt, wie sich die martialischen Botschaften auf Indymedia geradezu lückenlos einfügen in die Angstbilder der AfD.

Denn zur Begründung ihrer Sorge schreibt die Fraktion hier:

„Auf der linksextremen Webseite www.de.indymedia.org werden die sogenannten ,Proteste‘ propagandistisch vorbereitet. Am 23. Dezember 2019 schreibt dort ein ,Autonomes Kollektiv Anonymus‘ unter der Überschrift ,Fight Fortress Europe – EU Gipfel 2020 Leipzig angreifen‘, dass es darum geht, ,den EU-China-Gipfel in Leipzig 2020 zum Desaster (zu) machen‘. Die Veranstaltung des Gipfels wird als ,beispielloser Akt staatlicher Provokation‘ bezeichnet. Weiter heißt es: ,Daher muss es Ziel gemeinsamen Handelns sein, dieses imperialistische Klassentreffen vorzeitig zum Abbruch zu bringen. Die EU-Herrschenden werden keine ruhige Minute auf Leipzigs Straßen haben, soviel ist sicher.

Am 28. Dezember 2019 schreibt dort ein ,Auswärtiges Amt für Erlebnisorientierte‘, dass es darum gehe ,Massenmilitanz in die Innenstadt zu tragen‘. Ferner werden ,strategische Überlegungen (…), die den G20 in Hamburg reflektieren‘ als ,sinnvoll‘ bezeichnet.

Auf www.de.indymedia.org werden regelmäßig Bekennerschreiben zu terroristischen Anschlägen gegen missliebige staatliche Einrichtungen und die Polizei, gegen oppositionelle Parteien und deren Mitglieder, sowie gegen andere missliebige Personen veröffentlicht. Diese weisen häufig den Duktus eines Bürgerkrieges auf, indem z. B. Aufenthalts- und Bewegungsräume eingegrenzt werden und verschiedene Personen und Personengruppen grundgesetzlich verbriefte Rechte abgesprochen werden.

Die regelmäßige Bezugnahme der sich selbst als ,aktionsorientierte AktivistInnen aus allen Teilen Europas‘ sehenden Personen auf den ,G20-Gipfel von Europa‘ kann als konkrete Ankündigung von terrorähnlichen Anschlägen in und gegen die Stadt Leipzig und die Leipziger Bürger gesehen werden. Die Bilder der Gewalt während des G20-Gipfels in Hamburg gegen staatliche und private Einrichtungen sind noch allgegenwärtig.

Vor diesem Hintergrund wenden wir uns mit den vorliegenden Fragen an den Oberbürgermeister, da wir meinen, dass die Leipziger Bürger bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein Recht darauf haben zu wissen, wie sicher sie sich an den Gipfeltagen in Leipzig bewegen können.“

Ziemlich viel Text, der natürlich im Kontext einer Stadtratssitzung keinen Sinn macht. Denn das alles sind Themen für Polizei, BKA und Verfassungsschutz. Aber indem die AfD das so breit auswalzt, bereitet sie natürlich ihre Bühne vor, um sich im Stadtrat als Wahrer des Friedens aufspielen zu können.

Wie ernst die „Bekenner“-Schreiben auf Indymedia zu nehmen sind, werde man prüfen, betonte Polizeipräsident Torsten Schultze am 7. Februar. Bislang deute nichts darauf hin, dass Leipzig ein zweites „Hamburg“ werde. Während die diversen G7- und G20-Gipfel schon seit längerem Ziel auch gewaltbereiter Gruppen seien, kenne man dergleichen bei Gipfeltreffen der EU nicht. Insofern seien die Veröffentlichungen auf Indymedia zwar ernst zu nehmen, aber mit Vorsicht zu genießen.

Auch weil kein Mensch weiß, wer die Aufrufe dort tatsächlich veröffentlicht hat.

Aber wenn es um das Schüren von Angst geht, kennt man zumindest in der AfD keine Vorsicht.

Und so klingen denn die Fragen, die die AfD-Fraktion formuliert hat, auch völlig anders als die von Juliane Nagel.

„Welche Vorkehrungen trifft die Stadt Leipzig, um die Leipziger und die Besucher der Stadt während der Gipfeltage zu schützen?

Wie wird die Stadt Leipzig auf die zu erwartenden gewaltsamen Ausschreitungen gewappnet sein, um städtische und private Einrichtungen zu sichern?

Welche Sicherungsmaßnahmen an öffentlichen Einrichtungen sind vorgesehen?

Sind dazu im Vorfeld Abstimmungen mit der Polizeidirektion Leipzig sowie der Landes- und der Bundespolizei geplant?

Welche Ratschläge gibt die Stadt Leipzig ihren Bürgern, um ihr Eigentum (parkende Autos, Hauswände/Häuser, Gewerberäume, usw.) zu schützen?

Ist in diesem Zusammenhang eine Broschüre bzw. ein Online-Ratgeber für die Leipziger Bevölkerung und die Besucher, welche sich im Zeitraum des Gipfels in der Stadt aufhalten, geplant?

Sind während des Gipfeltreffens im Stadtgebiet Sperrzonen zu erwarten, welche die Bewegungsfreiheit der Bürger erheblich einschränken werden?“

Das sind fast alles Fragen, die eigentlich die speziell aufgestellte Einsatzgruppe der Polizei beantworten muss und wohl auch wird, wenn die 40 Einsatzgruppenmitglieder tatsächlich wissen, was am 13. und 14. September in Leipzig tatsächlich zu erwarten ist. Bis dahin wird auch Leipzigs OBM nur sagen können, dass es die Abstimmungen gibt, dass aber auch die Informationshoheit dazu bei der Polizei liegt.

Am 26. Februar wird das alles trotzdem die Ratsversammlung beschäftigen. Und wieder Zeit fressen, die für drängendere Themen fehlen wird.

Grüne fordern eine frühzeitige Information der Stadtgesellschaft zu den zwei Gipfeltagen in Leipzig

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