Leipzigs Migrantenbeirat hat eine neue Wahlordnung. Eine, um die nun seit Monaten gerungen wurde. Denn das Gremium ist in seiner Art noch immer unersetzlich. Hier sollten die engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürger sitzen, die (noch) keine Chance haben, sich in den Leipziger Stadtrat wählen zu lassen, die aber die Sorgen und Probleme ihrer migrantischen Gemeinschaften gut kennen. Ein Wissensfundus, den der Stadtrat nicht hat.

Und da wurde es dann doch noch einmal spannend in der Diskussionsrunde in der Ratsversammlung am 10. November. Denn natürlich kann auch das neue Wahlverfahren nur ein weiterer Schritt sein, die in Leipzig lebenden migrantischen Communities sichtbarer zu machen.

Und dass die Zukunft heißen muss, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Stadtrat auch richtig vertreten sind, da hatte CDU-Stadtrat Michael Weickert in seinem, Redebeitrag durchaus recht.

Nur ist die CDU-Fraktion selbst nicht gerade ein Beispiel dafür, wie man Menschen mit Migrationshintergrund auch in den Stadtrat bekommt.

Seine Rede war zwar hübsch mit lateinischen Floskeln gespickt („e pluribus unum“), aber die Realität beim Blick in einige Fraktionen zeigt nun einmal, dass diese ganz und gar nicht repräsentativ für die Stadtgesellschaft sind. Wobei „e pluribus unum“ nun ausgerechnet das Motto des amerikanischen Kongresses war, bevor der 1956 in alte Untugenden zurückfiel und sich das Motto „In God we trust“ gab.

Problem Melderegister

Das Problem, dass eingebürgerte Leipzigerinnen und Leipziger nicht automatisch zur Wahl in den Migrantenbeirat stehen, hat schlicht mit dem deutschen Melderecht zu tun. Sie gelten als Deutsche und sind für alle demokratischen Gremien – auch den Stadtrat – wählbar.

Nur für den Migrantenbeirat nicht, weil sie aus dem Melderegister nicht herausgefiltert werden können. Was ja ein Teil der Debatte war, die den Stadtrat über Monate beschäftigt hat.

Ergebnis war dann der Vorschlag eines Listenverfahrens für schon eingebürgerte Leipziger/-innen. Denn da diese Menschen natürlich auch migrantische Erfahrungen haben und oft genug die gleichen Probleme bei Integration und Akzeptanz erleben, gehören sie natürlich auch in den Migrantenbeirat.

Da hatte FDP-Stadtrat Sven Morlok durchaus recht, nur lief seine Argumentation über die Migranten der 2. Generation, die auch an diesem Listenverfahren nicht teilnehmen können, völlig ins Leere.

Eigentlich genauso wie Michael Weickerts Diskussionsbeitrag, dem die neue Wahlordnung für den Migrantenbeirat tatsächlich nicht weit genug ging, weil er die Integration erst vollendet sieht, wenn Menschen mit Migrationserfahrung auch im Stadtrat sitzen.

Aber da sitzen nun einmal nur ganz wenige, überhaupt nicht repräsentativ für die Migration in Leipzig.

Ein Gremium für die, die (noch) nicht wählen dürfen

Den eigentlichen Knackpunkt benannte dann SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker: Eben weil zehntausende Leipziger/-innen und Leipziger gar kein Wahlrecht haben in Leipzig, weil sie eben noch nicht eingebürgert sind, braucht es ein Gremium, in das sie gewählt werden können, eben weil sie noch kein Wahlrecht haben.

So bekommt nämlich der Migrantenbeirat, der als beratendes Gremium für den Stadtrat fungiert, erst Sinn. Und seit März 2021 ist er ja schon anders zusammengesetzt, wurden zehn Mitglieder – mitten in der Corona-Zeit – durch die Betroffenen selbst hineingewählt.

Und wo vorher alle befürchteten, dass am Ende nur zehn Männer gewählt werden, war auch für Linke-Stadträtin Juliane Nagel die Überraschung, dass sechs der zehn Gewählten Frauen sind.

Und das Gremium diskutiert sachlich und ergebnisorientiert. Auch hier erwiesen sich die Unkenrufe als verfrüht.

Da staunte man am 10. November schon eher, mit welchen Kurven und Schleifen nun auf einmal Morlok und Weickert die Vorlage kritisierten. Wirklich belastbare Gründe, warum ihre Fraktionen die Vorlage zur neuen Wahlordnung ablehnten, waren ihren Vorträgen nicht wirklich zu entnehmen.

Einige dieser Argumente entkräfteten dann auch Dr. Francesca Russo und Mohamed Okasha, die beiden aktuellen Vorsitzenden des Migrantenbeirats. Und damit auch den immer noch mitschwingenden Gedanken, die verschiedenen Menschen mit Migrationshintergrund in Leipzig würden es nicht fertigbringen, ein professionell arbeitendes Gremium zusammenzuwählen.

Der neue Wahlmodus

Das Wahlprocedere wird künftig ein bisschen komplexer, allein schon deshalb, um möglichst alle Herkunftsregionen einigermaßen im Migrantenbeirat vertreten zu haben.

Das allerwichtigste: „16 Personen mit Migrationsgeschichte werden durch indirekte Online-Wahl gewählt.“

Kompliziert macht das Ganze dann das deutsche Melderecht: „Das aktive und passive Wahlrecht besteht für nicht Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, welche am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Monaten ihren Hauptwohnsitz in Leipzig haben. Diese Wahlberechtigten werden von Amts wegen ins Wählerverzeichnis aufgenommen und erhalten automatisch eine Wahlbenachrichtigung per Post.“

Sie können auch problemlos aus dem Melderegister ausgelesen werden.

Anders ist das mit eingebürgerten Personen mit Migrationshintergrund: „Weiterhin wahlberechtigt sind Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt keine deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und später eingebürgert wurden. Diese müssen sich bis zum 12. Tag vor der Wahl aktiv ins Wählerverzeichnis aufnehmen lassen und nachweisen, dass sie zum Zeitpunkt der Geburt keine deutsche Nationalität besaßen, z. B. durch eine Einbürgerungsurkunde.“

Das erhöht natürlich für sie die Barrieren zur Teilnahme an der Wahl. Und überhaupt nicht erfasst werden die Migranten der 2. Generation, die schon in Deutschland bzw. Leipzig geboren wurden und so die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Sie machen genauso wie ihre Eltern meist die gleichen Diskriminierungserfahrungen, wie Mohamed Okasha bestätigte.

Ermutigung zur Wahl

Der neue Wahlmodus ist also auch wieder nur ein weiterer Schritt. Und ganz sicher werden sich der neu zu wählende Migrantenbeirat und die wirklich engagierten Fraktionen im Stadtrat auch weiterhin Gedanken darüber machen, wie man die migrantischen Gemeinschaften in Leipzig noch besser abbilden kann.

Aber das wird auch wieder Zeit brauchen und kluger Ideen, wie das auch technisch machbar ist. Deshalb die Direktwahl der 16 migrantischen Mitglieder im Migrantenbeirat abzulehnen, ist zumindest sehr irritierend.

Aber genau das haben drei Fraktionen am 10. November wieder getan und damit eigentlich auch deutlich gemacht, dass ihnen Integration nicht wirklich am Herzen liegt.

Denn solange Menschen mit Migrationshintergrund im Leipziger Stadtrat derart spärlich vertreten sind, dass sie nicht wirklich ihren Bevölkerungsanteil repräsentieren, solange ist der Migrantenbeirat das wichtigste Beratungsgremium, das die Probleme dieser Menschen artikulieren kann.

Im Grunde wirkt das Gremium ganz ähnlich wie der Jugendbeirat: Es ermutigt die Menschen, die sich (noch) nicht in den Stadtrat wählen lassen können, sich trotzdem zu engagierten und ihre Belange über ein Gremium einzubringen, das durchaus Gehör findet, wenn es sich zu Wort meldet.

Und dessen Anliegen von einigen Stadtratsfraktionen auch immer wieder aufgenommen werden und eben nicht mehr einfach ignoriert und bagatellisiert.

Anders als Michael Weickert meinte, ist der neue Wahlmodus für den Migrantenbeirat kein Rückschritt und keine neue Ausgrenzung für die Migrantinnen und Migranten in Leipzig. Im Gegenteil: Sie erhalten so mehr Sichtbarkeit und mehr Möglichkeiten, ihre Themen zu artikulieren.

Entsprechend deutlich war dann auch das Abstimmungsergebnis mit 35:19 Stimmen für die neue Wahlordnung des Leipziger Migrantenbeirats.

Die nächste Wahl zum Migrantinnen- und Migrantenbeirat findet nach den Kommunalwahlen im Jahr 2024 statt. Dann werden die 16 Mitglieder aus der migrantischen Gemeinschaft direkt von dieser gewählt.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar