Da war nicht nur die SPD-Fraktion erschrocken, als sich im Sommer herausstellte, dass sich in der Leipziger Ausländerbehörde über 3.000 Anträge auf Einbürgerung stapeln. Ein Antragsstau, der so nie hätte auflaufen dürfen. Denn die fünf Mitarbeiter/-innen, die in der Ausländerbehörde für Einbürgerungen zuständig sind, schaffen trotzdem nur 500 bis 600 Anträge pro Jahr positiv zu bescheiden. Und der richtige Ansturm kommt erst noch.

Weshalb die SPD-Fraktion dann notgedrungen einen Antrag schrieb, wenigstens fünf zusätzliche Stellen für die Einbürgerung in der Ausländerbehörde zu schaffen.

„Nach unseren Informationen sind in Leipzig über 3.000 Einbürgerungsgesuche noch nicht bearbeitet und entschieden worden. Wie den Statistiken entnommen werden kann, werden in Leipzig jährlich etwa 500 bis 600 Menschen eingebürgert“, schrieb die Fraktion in ihrem Antrag, der in der Ratsversammlung am 14. Dezember zur Abstimmung kam.

„Rein rechnerisch würde es also über fünf Jahre dauern, die noch offenen Einbürgerungsgesuche abzuarbeiten. Dabei sind regelmäßig neu hinzukommende Anträge nicht berücksichtigt.“

Und dabei ist das deutsche Einbürgerungrecht schon sehr restriktiv und die Antragsteller müssen in der Regel fünf bis acht Jahre warten, bevor sie überhaupt einen Antrag stellen können. Jahre, in denen sie längst schon eine Arbeit aufgenommen haben, Steuern und Sozialabgaben zahlen. Nur die ganz normalen Staatsbürgerrechte werden ihnen allein dadurch vorenthalten.

Und dann erfahren sie beim Antragstellen, dass sie die Antragsunterlagen in Leipzig erst bekommen, wenn sie ein Aufnahmegespräch absolviert haben. Nur den Termin für die Aufnahmegespräche bekommen sie derzeit nicht kurzfristig, sondern müssen selbst darauf bis zu zwei Jahre warten.

„Für die Ausländerbehörde, die neben neuen Einbürgerungsanträgen schon jetzt diese hohe Zahl von Altfällen bearbeiten muss, heißt das, dass Einbürgerungswillige über Jahre vertröstet werden müssen, weil die personellen Ressourcen fehlen, die Menschen im Vorfeld zu beraten, geschweige denn die Anträge zeitnah zu bearbeiten“, so die SPD-Fraktion, deren Antrag ihr Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker am 14. Dezember einbrachte.

„Bei weiter steigenden Fallzahlen werden die Wartezeiten ebenfalls weiter steigen, wenn nicht gegengesteuert wird.“

Der große Antragsberg kommt erst noch

Und diese Fallzahlen kommen. Allein 2023 erlangen rund 20.000 Menschen, die 2015 als Geflüchtete nach Leipzig kamen und sich hier integriert haben, das Recht auf Einbürgerung. Dazu plant der Bund eine deutliche Erleichterung der Einbürgerung, denn auch in Berlin weiß man inzwischen, dass Deutschland ohne einen permanenten Zuzug von Fachkräften bald nicht mehr arbeitsfähig ist.

Da irrt ein Michael Weickert nun einmal, dass ein Land entweder Einbürgerungsland oder Sozialstaat ist. Da hat der CDU-Stadtrat wohl die falschen Quellen benutzt. Denn Teil des Sozialstaates werden die Eingewanderten schon, wenn sie eine Arbeit aufnehmen und Sozialabgaben und Steuern zahlen. Nur eingebürgert werden sie dann noch nicht.

(Keine Frage, dass der Redebeitrag von AfD-Mann Siegbert Droese noch unterirdischer war.)

Und zu Recht wiesen sowohl Christopher Zenker als auch Linke-Stadträtin Juliane Nagel und auch FDP-Stadtrat Sven Morlok darauf hin, dass Einbürgerung ein Recht ist und keine Gnade. Wer alle Bedingungen für eine Einbürgerung in Deutschland erfüllt, darf den Antrag stellen.

Und Morlok wurde an diesem Tag auch für seine Verhältnisse sehr emotional, als er dem Oberbürgermeister direkt in dieser Frage Versagen in der Personalplanung vorwarf. Denn die Entwicklung war absehbar. Auch wenn eigentlich einer für dieses Dilemma verantwortlich ist, der an diesem Tag auf der Bürgermeisterbank fehlte: Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal.

Und OBM Burkhard Jung gab dann ziemlich zerknirscht zu, dass seine Verwaltung schon 2019 hätte reagieren müssen, als sich der Antragsstau aufzubauen begann. Aber sie hat nicht reagiert.

10 Stellen schon zum 1. Dezember

Richtig munter wurde die Verwaltung erst, als SPD- und Linksfraktion ihre Anfragen zur Ausländerbehörde stellten, nachdem einbürgerungswillige Leipziger und auch der Migrantenbeirat Alarm geschlagen hatten. Mittlerweile gibt es auch eine Petition, die der Petitionsausschuss als Abwägungsmaterial zur Beschlussfassung mit in den Stadtrat gab. Und dass der ganze Ärger nur zu berechtigt war, gestand Jung dann auch zu.

Und er verwies darauf, dass die Verwaltung selbst inzwischen reagiert habe und von sich aus zehn neue Stellen zum, 1. Dezember 2022 eingerichtet habe. „Diese Stellen existieren schon“, so Jung.

Ob sie schon besetzt sind, war am 14. Dezember so nicht zu hören. Wahrscheinlich wird es wirklich so sein, wie an einer Stelle geäußert wurde, dass die zusätzlichen Kolleg/-innen in der Ausländerbehörde erst im Mai 2023 ihre Arbeit aufnehmen werden. Der Grund ist logisch: Auch sie müssen erst einmal fachlich geschult werden. Denn ihr Job ist nicht nur bürokratisch, sondern auch tatsächlich anspruchsvoll.

Sven Morlok wurde in der Debatte besonders emotional, weil die von Burkhard Jung genannte Verwaltungsvorlage (Drs. 7913) zwar zehn neue Stellen für die Ausländerbehörde vorsieht, diese aber eigentlich zur Bearbeitung von Aufenthaltsgenehmigungen gedacht sind – also nicht für die Engstelle Einbürgerungen.

Denn da die SPD fünf zusätzliche Stellen beantragt hatte, wären das mit den zehn Stellen aus der Verwaltungsvorlage tatsächlich 15 neue Stellen für die Einbürgerungsabteilung. Aber so stand es ja nicht in Vorlage 7913. Was also?

Einbürgerung ist ein Recht

Am Ende ließ Jung mit einer Protokollnotiz vermerken, dass auch die zehn Stellen primär für die Einbürgerung gedacht sind und die Amtsleitung entscheidet, wie die zusätzlichen Mitarbeiter/-innen eingesetzt werden.

Die CDU-Fraktion versuchte die Sache etwas zu entschärfen, indem sie den Verwaltungsstandpunkt allein zur Abstimmung stellte. Aber der fiel mit 10:49 Stimmen gründlich durch.

Während der SPD-Antrag, angereichert um Anträge von Grünen und Linken, mit 40:17 Stimmen bei drei Enthaltungen eine klare Mehrheit bekam. Was im Grunde auch eine Art Warnzeichen für die Verwaltung war, dass man derartiges Versagen nicht wieder erleben wollte.

Denn Morlok hatte es zu Recht betont, dass der OBM für die Personalpolitik verantwortlich ist. Und dass er auch dafür sorgen muss, dass gesetzliche Rechte abgesichert werden – zu denen auch das Einbürgerungsrecht gehört.

Und er erinnerte Jung auch daran, dass die Verwaltungsvorlage ganz bestimmt nicht die zusätzlichen Antragsberechtigten ab 2023 eingerechnet habe.

Was auch stimmte, sagte Jung. Da müsse nachjustiert werden. Und das wahrscheinlich noch mitten im Jahr 2023, wenn klar ist, was der Bund genau beschließt.

Aber auch wenn Jung sich hier sehr viel Asche aufs Haupt streute, war der eigentlich Verantwortliche für das Desaster nun einmal nicht anwesend.

Da die fünf Stellen aus dem SPD-Antrag obendrauf kommen, sollte die Ausländerbehörde jetzt tatsächlich um 15 Stellen aufgestockt werden – mit Priorität des Einsatzes dieser zusätzlichen Fachkräfte im Bereich Einbürgerung.

Und mit dem SPD-Antrag beschlossen wurde jetzt auch, dass Leipzig – ganz ähnlich wie Hamburg – die nötigen Antragsformulare gleich online stellt, die Arbeitsabläufe beschleunigt und vereinfacht und auch Antragslotsen sucht, die den Antragstellenden helfen, sich durch den bürokratischen Dschungel zu kämpfen.

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