Am 9. Juni 2024 sind in Sachsen Kommunalwahlen. Dann wird in Leipzig auch der Stadtrat neu gewählt. Dazu müssen Wahlkreise und Zahl der Stadtrats- und Ortschaftsratsmitglieder vom aktuellen Stadtrat beschlossen werden. Die Vorlage kam am 6. Juli in die Ratsversammlung. Und beim Lesen stutzten dann gleich mehrere Fraktionen. Denn der aktuelle Stadtrat bildet ja die Stadtgesellschaft nicht wirklich ab.

Das hat weniger mit der Größe der Wahlkreise zu tun, als mit der Wahlbeteiligung der Leipziger Wahlberechtigten.

Die Vorlage erläutert das sehr detailliert: „Die auf dieser Grundlage ermittelte und mit der Einteilung von 2019 identische Wahlkreiseinteilung weist eine Abweichung der Zahl der Wahlkreiseinwohner von der durchschnittlichen Einwohnerzahl in einer Spannweite von – 9,2 Prozent bis + 11,2 Prozent auf. Die Einteilung liegt damit deutlich unterhalb der vom Gesetzgeber vorgegebenen Grenze von 25 Prozent und gewährleistet damit auch grundsätzlich eine Konstanz der Wahlkreise für zukünftige Stadtratswahlen.

Bezüglich der Zahl der Wahlberechtigten bewegt sich die Abweichung vom Durchschnitt zwischen – 9,4 Prozent und + 12,0 Prozent. Die Stadtratswahlkreise von 2019 erfüllen somit weiterhin sehr gut die gesetzlichen Vorgaben in § 2 Abs. 2 KomWG. Die Abweichungen zwischen Stadtbezirks- und Wahlkreisgrenzen werden mit dem hier aufgeführten Zuschnitt minimiert. Daher wird vorgeschlagen, die Wahlkreiseinteilung von 2019 hinsichtlich Anzahl und Gebietszuschnitt der Wahlkreise auch für die Wahl 2024 beizubehalten.“

Was zumindest in der Linksfraktion schon einmal Bauchschmerzen auslöste, denn Linke-Stadtrat Steffen Wehmann erinnerte sich daran, dass Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning eigentlich schon für 2022 einen Verwaltungsvorschlag vorlegen sollte, die Wahlkreise in Leipzig irgendwie gerechter einzuteilen. Dann wäre noch Zeit gewesen, darüber zu diskutieren und schon 2024 Änderungen vorzunehmen.

Jetzt ist es dazu zu spät. In dem Moment, in dem der Freistaat den neuen Wahltermin für die Kommunalwahlen bekannt gegeben hat, müssen die Kommunen ihre Wahlkreiszuschnitte beschließen. Da gibt es dann keine Zeit mehr, über eventuelle Änderungen zu diskutieren.

Die Vorlage zur Kommunalwahl 2024.

Das Problem Wahlbeteiligung

Das Problem in Leipzig ist nicht die Bevölkerungszahl in den Wahlkreisen, sondern es sind die deutlich differierenden Wahlbeteiligungen. Im Herzen der Stadt liegt die Wahlbeteiligung oft doppelt so hoch wie etwa in Grünau oder Paunsdorf. Mit dem Ergebnis, wie es Steffen Wehmann in der Ratsversammlung am 6. Juli nannte: Im Leipziger Süden stellt ein Wahlkreis 10 Stadträte, während es im Nordosten und im Westen jeweils nur 4 sind.

Oder wie es der Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Dr. Tobias Peter, ausdrückte: Vertritt ein Stadtrat, der im Inneren der Stadt gewählt wurde, im Schnitt 5.000 Wahlberechtigte, sind es bei Stadträten aus der Peripherie rund 10.000.

Was auch durch die Mathematik der Mandatsbesetzung begünstigt wird, denn die Parteien sind zwar im Stadtrat alle im Verhältnis zu ihrem Wahlergebnis vertreten. Aber besetzt werden die Mandate in Reihenfolge der jeweils für die Person abgegebenen Stimmen. Und da die Stadträtinnen und Stadträte aus dem Zentrum der Stadt sowieso mehr Stimmen sammeln können aufgrund der höheren Wahlbeteiligung, sind es auch sie, die am ehesten in den Stadtrat aufrücken.

Mit ihrer Wahlenthaltung schneiden sich also die Wahlberechtigten an der Peripherie gleich mehrfach ins eigene Fleisch und sind deshalb deutlich schlechter in der Ratsversammlung repräsentiert.

Ein altbekanntes Problem

Und das ist kein neuer Effekt, wie das für die Wahlen zuständige Amt für Statistik und Wahlen erläutert: „Die Verteilung der 70 Sitze auf die Wahlkreise ergibt sich gemäß dem mehrstufigen Sitzzuteilungsverfahren nach § 22 KomWG aus der Zahl der in den Wahlkreisen für die Parteien und Wahlvorschlagsträger abgegebenen Stimmen und hängt somit maßgeblich von der Wahlbeteiligung in den einzelnen Wahlkreisen ab. Unterschiede zwischen Einwohnerzahl und Zahl der Wahlberechtigten sind in ihrer Wirkstärke auf die Sitzverteilung demgegenüber vernachlässigbar.

Bei der Stadtratswahl 2019 überlagerten sich in den Wahlkreisen 1 und 6 leicht unterdurchschnittliche Einwohner- bzw. Wahlberechtigtenzahlen mit einer geringen Wahlbeteiligung, was eine unterdurchschnittliche Mandatezahl zur Folge hatte. Die unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung der in diesen Wahlkreisen liegenden Ortsteile ist dabei kein stadtratswahltypisches Phänomen, sondern tritt dort konstant und wahlartübergreifend auf.“

Das Amt für Statistik und Wahlen hat tatsächlich nach einer Lösung gesucht, wie man der Vorlage entnehmen kann: „Das Amt für Statistik und Wahlen hat daher in mehreren Modellrechnungen unter Einhaltung des 25%-Abweichungskorridors alternative Zuteilungen von Ortsteilen zu den Wahlkreisen 1 bzw. 6 anhand des Ergebnisses der Stadtratswahl 2019 geprüft, unter anderen die Zuteilung von Zentrum-Ost aus dem Wahlkreis 0 in den Wahlkreis 1 und die Zuweisung von Burghausen-Rückmarsdorf aus dem Wahlkreis 7 in den Wahlkreis 6.

Zwar haben diese Umgliederungen eine Erhöhung der Mandate in den Wahlkreisen 1 bzw. 6 zur Folge, jedoch wirkt sich diese Mandatsverschiebung über Effekte des Sitzzuteilungsverfahrens auch auf die Mandatszahl in anderen ‚unbeteiligten‘ Wahlkreisen aus. In der Summe sind weitere Verschiebungen von Ortsteilen zwischen benachbarten Wahlkreisen in ihrer Wirksamkeit auf die Sitzverteilung begrenzt.“

Was dann wohl auch erklärt, warum der Stadtrat keinen Alternativvorschlag vom Verwaltungsbürgermeister bekommen hat. Denn an der niedrigen Wahlbeteiligung in einigen Wahlbezirken kann auch die Stadt nichts ändern.

Vielleicht ändert sich 2029 was

Trotzdem stellten Steffen Wehmann und Dr. Tobias Peter als auch die CDU-Fraktion jeweils einen Antrag, für dieses Problem eine Lösung zu finden. Zwar nicht mehr für 2024, was zeitlich unmöglich ist. Aber für die nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2029.

Da man sich dabei auf den CDU-Antrag einigte, hier dessen Wortlaut: „In Vorbereitung der Kommunalwahlen 2029 wird die Verwaltung aufgefordert, im Jahr 2025 Varianten vorzulegen, die eine bessere Repräsentativität der Ratsversammlung durch eine ausgewogenere Verteilung der Wahlberechtigten und damit der Stadtratsmandate über die Wahlkreise hinweg ermöglichen. Ziel ist es, eine Vorzugsvariante im Rat zu beschließen, die dann zum Ende der Wahlperiode Grundlage für eine Beschlussvorlage zu Anzahl und Zuschnitt der Kommunalwahlkreise sein kann.“

Mit der Betonung: „Wir wollen allerdings keinen einzelnen Vorschlag von der Verwaltung, sondern verschiedene Varianten. Eine Variantendiskussion sollte jedoch nicht unter Zeitdruck zum Ende der Wahlperiode geführt werden, wenn der Wahltermin bereits feststeht, sondern in der Mitte der Wahlperiode. Auf der Grundlage des daraus folgenden Beschlusses der Ratsversammlung kann die Verwaltung dann zum Ende der Wahlperiode gemäß § 2 (2) 4 Kommunalwahlgesetz eine Ratsvorlage erstellen.“

Das kann trotz allem eine unlösbare Aufgabe werden, wie schon der oben zitierte Versuch des Amtes für Statistik und Wahlen zeigt.

Variantenvorschlag 2025

Eigentlich hätte sich Oberbürgermeister Burkhard Jung im Einklang mit Dr. Christian Schmidt, dem Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen, gewünscht, dass dieser Änderungsantrag von der Vorlage gelöst worden wäre. Denn beides sind ja unterschiedliche Vorgänge. Aber dazu fand sich die Stadtratsmehrheit am 6. Juli nicht bereit. Es sollte beides zusammen beschlossen werden.

Und so bekam der CDU-Antrag 35:5 Stimmen bei 13 Enthaltungen und beauftragt nun die Verwaltung, im ersten Quartal 2025 (also nach der Kommunalwahl) mehrere Varianten vorzulegen, wie Leipzigs Wahlkreise neu zugeschnitten werden könnten.

Die Vorlage selbst bekam 40 Stimmen bei einem „Nein“ und zwei Enthaltungen. Die Kommunalwahl 2024 kann also mit den Wahlkreisgrenzen von 2019 vorbereitet werden.

Auch bei den 70 Stadträtinnen und Stadträten bleibt es vorerst, obwohl die Vorlage zumindest andeutet, dass das vielleicht zu wenig sein könnte: „Grundlage für die Bestimmung der Zahl der zu wählenden Stadtratsmitglieder ist gemäß § 65 KomWG die vom Statistischen Landesamt ermittelte Einwohnerzahl zum 31.12.2022. Die amtliche Einwohnerzahl beträgt 616.093 Personen und liegt damit deutlich über der Schwelle von 400.000 Personen liegen (§ 29 Abs. 2 SächsGemO) …“

Aber die Sächsische Gemeindeordnung sieht für Städte ab 400.000 Einwohner sogar nur 60 Stadtratsmitglieder vor. Leipzig hat die Ausnahmeregelung, welche die Gemeindeordnung vorsieht, längst gezogen. Diese lautet: „Durch die Hauptsatzung kann bestimmt werden, dass die Zahl der Gemeinderäte sich nach der nächsthöheren oder der nächstniederen Größengruppe richtet; in der höchsten Größengruppe kann die Zahl um bis zu 10 erhöht werden.“

Mehr Ratssitze wird es also nicht geben. Jetzt kann man gespannt sein, ob das Amt für Statistik und Wahlen 2025 eine Lösung für die Quadratur des Kreises vorlegt.

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Paunsdorf liegt allerdings im WK II und somit nicht in Nordost.
Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf sorgten in der Vergangenheit regelmäßig dafür, dass es im WK I (Nordost) nur wenige Mandate gab.
Paunsdorf wird durch die hohe Beteiligung in den eingemeindeten Ortsteilen (Engelsdorf) einigermaßen ausgeglichen.
Durch die deutliche Veränderung in Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf (Gentrifizierung) wird sich die Wahlbeteiligung erhöhen. Das hatte sich 2019 schon gezeigt. Damals war die Wahlbeteiligung von etwas über 20% auf ca. 40% angestiegen, bei gleichzeitig erheblich mehr Wahlberechtigten als noch 2014. Es dürfte also bei gleichbleibender Tendenz 2024 auch 1 bis 2 Mandate mehr aus dem WK I und II geben.

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