Nach einem Posting zu Israel hat die CDU-Ratsfraktion im Leipziger Stadtrat die Abwahl des Vorsitzenden des Migrantenbeirats, Mohamed Okasha, beantragt. Aktuell befindet er sich auf Mallorca und gab uns ein Interview.

Wie geht es Ihnen nach der intensiven Debatte um den von Ihnen geteilten Post?

Ich spüre gerade sehr viel Druck. Gleichzeitig finde ich es wichtig und bin froh, dass endlich ein Thema, für das ich schon seit Jahren stehe – nämlich die unterschiedlichen Perspektiven in Bezug auf kritische Themen – Raum findet. Der Nahostkonflikt ist ein solches kontroverses Thema, das in einer sich wandelnden Gesellschaft noch kontroverser diskutiert wird. Das macht die Debatte um meinen Post sichtbar.

Der von Ihnen geteilte Post wird als Verharmlosung des Holocaust und als feindliche Kritik an Israel betrachtet. Würden Sie ihn wieder teilen?

Nein, ich würde den Post nicht wieder teilen. Nach vielen Gesprächen ist mir die Wirkung bewusster geworden, die dieser Post ausgelöst hat. Ich muss klar sagen, wie ich es immer gesagt habe: Es war niemals meine Absicht, den Holocaust zu relativieren. Es ist Fakt, dass der Holocaust das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte ist.

Die Diskussion zeigt andererseits, dass es einen aktiven Umgang und eine erweiterte Erinnerungskultur in Deutschland braucht.

Was meinen Sie damit?

Als in Deutschland Geborener setzt man sich regelmäßig mit den Gräueltaten des Holocaust und des Nationalsozialismus auseinander, sei es in der Schule, im Familienkontext oder im gesellschaftlichen Rahmen. Dies prägt die hiesige Erinnerungskultur tief. Menschen aus dem arabischen Raum und afrikanischen Ländern, die nicht hier aufgewachsen sind (es sind mehr als 15 Prozent der Bevölkerung), sind mit anderen Erinnerungen aufgewachsen. Unsere Erinnerungskultur wurde von brutalen Kriegen, Kolonialismus und humanitären Krisen geprägt. Es geht nicht darum, die Singularität des Holocaust infrage zu stellen, sondern verschiedene Erinnerungen zu berücksichtigen und zu nutzen, um eine erweiterte Erinnerungskultur zu schaffen.

Sie kennen die Debatten in arabischsprachigen Communities. Was bewegt Menschen, insbesondere diejenigen mit direkten Bezügen nach Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten? Erkennen Sie auch hier antisemitische und israelfeindliche Motive?

Ja, es gibt antisemitische Denkweisen, auch Einzelstimmen auf den Demonstrationen. Allerdings habe ich erlebt, dass diese Einzelstimmen von der Mehrheit zum Schweigen gebracht wurden. Wir müssen auch berücksichtigen, dass viele Menschen aus diktatorischen Ländern kommen und deswegen oft keine angemessene politische Bildung in Schulen oder durch NGOs erhielten. Einige haben jedoch eine erstaunliche Fähigkeit zur Reflexion und unterscheiden zwischen Jüd*innen und Israel oder Militär und Regierung. In Leipzig gibt es Deutsche, die trotz der früheren und intensiven politischen Bildung in Schulen und außerhalb der Schule NPD und AfD wählen.

Was ist aus Ihrer Sicht nötig, um die Debatten in Deutschland mit denen der Communities zu verbinden?

Es braucht Räume für den Austausch und Offenheit dafür. Es darf nicht der Fehler begangen werden, Parallelgesellschaften zu fördern. Die offiziellen Institutionen, einschließlich der Stadtverwaltung und des Stadtrats, tragen eine große Verantwortung. Zugehörigkeit bedeutet, dass zugehört wird. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Meinung nicht legitim ist und ihre Sorgen ausgegrenzt werden – und hier spreche ich nicht von auf Ideologie basierten antisemitischen Haltungen – dann wenden sie sich ab. Es muss erkannt werden, dass neben dem Anstieg von antisemitischen Taten und Drohungen auch die Ausgrenzung von als arabisch gelesenen Menschen wächst. Meine Ex-Frau wird auf offener Straße als Hamas-Anhängerin beschimpft.

Ich bin in den letzten Tagen automatisch jeden Abend in die Eisenbahnstraße gegangen, weil ich dort Schutz suche. Ich höre das auch von vielen anderen. Es geht dabei keinesfalls darum, Räume für Hass zu schaffen, sondern für gemeinsames Reden, Verstehen und Lernen. Hier brauchen wir Brücken, insbesondere von progressiven politischen Akteuren. Diese haben seit Jahren über Inklusion statt Integration gesprochen, um zu betonen, dass sich die ganze Gesellschaft durch Einwanderung und Fluchtmigration verändern muss. Doch jetzt erlebe ich einen Druck zur Assimilation. Es gibt große Enttäuschung, besonders bei linken Akteuren in den Communities, weil die Erwartungen so hoch waren.

Die CDU fordert Ihre Abwahl als Migrant*innenbeiratsvorsitzender. Wie sehen Sie das?

Die Forderung meiner Abwahl durch die CDU, bisher nur von der AfD unterstützt, empfinde ich als undemokratisches Mittel. Damit sendet man auch ein Zeichen an die Migrant*innen, die mich gewählt haben: Eure Stimme zählt nicht. Ihr habt jemanden gewählt und wir können ihn einfach so abwählen. Man muss wissen: Die Wahl des Migrant*innenbeirats ist aufgrund gesetzlicher Regelungen nur eine indirekte Wahl. Der Stadtrat muss die Wahlvorschläge per Abstimmung bestätigen. Doch beim ersten Konflikt das Signal zu senden: So nicht, Demokratie bedeutet für uns, dass es nach unserer Bahn läuft und nicht anders.

Wo wir gerade bei Konflikten sind … Wie bewerten Sie den aktuellen Krieg gegen Israel und in Gaza?

Ich verurteile den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober klar und deutlich. Ich bin ein Kritiker des traditionellen Islam und habe Islamwissenschaft studiert. Am Tag danach habe ich gesagt, dass sie die Hölle aufmachen. Der politische Islam sagt immer, es werden keine Zivilist*innen angegriffen, aber sie tun es eben doch. Ich stehe zum Existenzrecht Israels. Ein Staat hat auch das Recht auf Selbstverteidigung, das steht außer Frage. Ich habe Kritik an den militärischen Strategien Israels und das bedeutet für mich auch, das Völkerrecht zu achten. Meine Solidarität gilt den Zivilist*innen auf beiden Seiten.

Ich verstehe den Schock aufseiten Israels. Trotzdem finde ich die Rhetorik und die Mittel, die in Gaza eingesetzt werden und die die Zivilbevölkerung massiv treffen, schlimm. Ich kritisiere die deutsche Regierung, vor allem das Außenministerium, weil es sich anfangs explizit gegen eine Waffenruhe ausgesprochen hat. Viele Menschen aus dem arabischen Raum denken dadurch, dass sie egal sind. Es gibt doch andere politische Druckmittel. Kanzler Scholz ist beispielsweise nach Ägypten gereist und hat versucht, mit dem Staatspräsidenten al-Sisi über die Öffnung des Sinai für Menschen aus Gaza zu sprechen. Deutschland hat doch andere Druckmittel in dieser Lage als gegen eine Waffenruhe zu sein.

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