Die ganze Ratlosigkeit über eine Entscheidung der Sächsischen Aufbaubank (SAB), die Produktionsschule des BBW ab 1. Januar 2023 nicht mehr zu fördern, wurde in der Fragestunde der Ratsversammlung am 18. Januar noch einmal hörbar. Gerechnet hat mit dieser Entscheidung nämlich auch die Stadtverwaltung nicht, denn damit wird ein zwölf Jahre lang bewährtes Konzept zur Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen einfach gestrichen. Quasi kurz vor Toresschluss, sodass in Leipzig auch niemand mehr reagieren konnte.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, welche die Anfrage gestellt hat, formulierte ihr Befremden über den Vorgang sehr deutlich: „Die Produktionsschule Leipzig in Trägerschaft des Berufsbildungswerkes bbw musste völlig überraschend zum 31.12.2022 ihren Betrieb einstellen, da die Sächsische Aufbaubank (SAB) einen Antrag auf weitere Förderung abgelehnt hat.

Die Produktionsschule in der Markranstädter Straße hat 12 Jahre lang sehr erfolgreich benachteiligte junge Menschen im Übergang zwischen Schule und Beruf unterstützt, ihre jeweiligen Potenziale zu erkennen und wichtige Schritte in ein selbstbestimmtes Leben zu gehen.

Das Projekt wurde dabei zu 90 % aus dem Europäischen Sozialfond (ESF) finanziert. Produktionsschulen als Lern- und Arbeitsort gestalten soziale und berufliche Integration mit benachteiligten und/oder beeinträchtigten jungen Menschen, die eine Außenseiterrolle auf dem Arbeitsmarkt einnehmen. Neben der sozialen Stabilisierung, der beruflichen sowie schulvorbereitenden Qualifizierung ist insbesondere die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen eine wichtige Grundlage.“

Hier hat sich ein Angebot etabliert, das in einer Stadt mit vielen benachteiligten Jugendlichen, die dringend Unterstützung brauchen, um den Berufseintritt doch noch zu schaffen, unerlässlich ist.

„Das über die Jahre etablierte, belastbare Netzwerk der Produktionsschule im Sozial- und Wirtschaftsraum Leipzig und der Region trug wesentlich zum Erfolg der Einrichtung bei. Im Sinne der Nachhaltigkeit der Jugendberufshilfe ist die Entscheidung der SAB, keine weitere Förderung zu bewilligen, für uns absolut nicht nachvollziehbar“, stellten die Grünen fest.

„Ebenfalls verstörend ist der Zeitpunkt der Förderentscheidung per ‚Vorabmitteilung‘ kurz vor Weihnachten und somit nur wenige Tage vor Ende des Förderzeitraumes. Die 24 teilnehmenden Jugendlichen sowie sechs Mitarbeitende wurden somit kurz vor dem Fest von dem abrupten Ende kalt erwischt. Zu befürchten ist, dass sich insbesondere für die Teilnehmer/-innen die bereits erreichten Erfolge durch den jähen Abbruch ins Gegenteil verkehren und die bislang so erfolgreiche wie wichtige und stabilisierende Jugendberufshilfe ad absurdum geführt wird.“

Schon das Netz kleiner Werkstätten erlebte den Förderstopp

Und dazu kam ja eine ebenfalls im Stadtrat schon heftig geführte Diskussion über ein anderes Projekt, dem die Unterstützung entzogen wurde: „Bereits das Netz kleiner Werkstätten in Trägerschaft des bbw, welches bislang zu 90 % vom Jobcenter gefördert wurde, verlor nach über zehn Jahren überaus erfolgreicher Arbeit im vergangenen Jahr überraschend seine Förderung, offenkundig allein aufgrund der wegen der tariflichen Entlohnung der Mitarbeitenden einhergehenden höheren Kosten.

Im Dezember gelang es dann dem Jugendhilfeausschuss über sogenannte Rücklaufmittel, die zunächst durch das bbw fortgesetzte und zwischenfinanzierte Arbeit außerplanmäßig zu fördern und die weggefallenen Fördermittel so zu kompensieren. Im Doppelhaushalt 23/24 ist dies dann planmäßig über die Förderung der Kinder- und Jugendhilfe avisiert.“

Dass dahinter aber eine völlig bürokratische Entscheidung auf Landesebene stand, statt solche Berufsförderung in den sozialen Brennpunkten wie Leipzig zu konzentrieren, in jedem Landkreis so eine Produktionsschule zu fördern, wurde dann am 18. Januar sehr deutlich. Jugendbürgermeisterin Vicki Felthaus machte insbesondere die Skepsis der Verwaltung gegenüber der am Ende aber unanfechtbaren Entscheidung der SAB deutlich.

Wenn auch noch nicht klar war, warum ein anderer Träger in Leipzig nun die Förderung bekommt und das BBW quasi kalt vom Platz geschickt wird. Da half dann auch das Nachfragen von Grünen-Stadtrat Michael Schmidt und Linke-Stadträtin Juliane Nagel nicht weiter.

Die Fragen und die Antworten aus dem Amt für Jugend und Familie

1. Mit welcher Begründung wurde die weitere Förderung der Produktionsschule durch die SAB abgelehnt, obwohl das Amt für Jugend und Familie seine weitere Co-Finanzierung auch aufgrund fachlicher Empfehlungen fest eingeplant hatte?

Die ESF-Förderrichtlinie „Produktionsschulen“ sieht für den Raum Leipzig (ehem. Regierungsbezirk Leipzig) zur weiteren Förderung ab 2023 nur eine Produktionsschule vor. Für Leipzig haben sich zwei Träger (BBW/Kofinanzierung über das Amt für Jugend und Familie und Schauplatz/Kofinanzierung über das Referat für Beschäftigungspolitik) beworben. Die SAB hat selbständig eine Entscheidung für die Produktionsschule Schauplatz und gegen die Produktionsschule des BBW getroffen.

Über diese Auswahlentscheidung wurde das Amt für Jugend und Familie am 19. Dezember 2022 (Maßnahmenbeginn ist bereits der 1. Januar 2023) schriftlich informiert. Darin führt die SAB aus: „Die vorliegenden Projekte wurden entsprechend den Vorgaben des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zur ‚Dokumentation des ESF-Auswahlverfahrens‘ unter Berücksichtigung ihrer Bedarfsbestätigung und der fachlichen Stellungnahmen des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe durch die SAB geprüft.“

Die benannte Bedarfsbestätigung für beide Träger wurde im Vorfeld durch das Amt für Jugend und Familie erteilt. Die fachlichen Stellungnahmen fielen für beide Träger grundsätzlich positiv aus, wobei betont wurde, dass mit dem BBW eine langjährige und erfolgreiche Kooperation besteht.

2. Wurde seitens der SAB oder des Sächsischen Sozialministeriums vorab über diese beabsichtigte Entscheidung informiert oder mit der Stadt das Gespräch im Zuge der Entscheidungsfindung gesucht?

Über die beabsichtigte Entscheidung wurde nicht informiert; es wurde lediglich die Entscheidung mitgeteilt (s. o.). Es wurde kein Gespräch seitens der SAB im Vorfeld gesucht. Im Anschluss an das Schreiben der SAB vom 19. Dezember 2022 hat sich das Amt für Jugend und Familie mit der SAB schriftlich und telefonisch in Verbindung gesetzt und das Unverständnis über die Nichtbeteiligung am Verfahren sowie die aus Sicht des Amts für Jugend und Familie kaum nachvollziehbare Entscheidung mitgeteilt. Die SAB hat daraufhin klargestellt, dass das zuständige Ministerium (SMWA) die Beteiligung der Kommune für nicht notwendig erachtet hat und diese gemäß der Förderrichtlinie auch nicht vorgesehen ist.

Bei der Entscheidung für eine Maßnahme in der Förderrichtlinie „Jugendberufshilfe“ im September 2022 wurde die Kommune hingegen noch beteiligt und um Priorisierung gebeten. Davon wurde auch ausgegangen, als zunächst für beide Träger bzw. Maßnahmen grundsätzlich positive Stellungnahmen für die Förderrichtlinie „Produktionsschulen“ erstellt wurden.

3. Wie geht die Stadt mit der Entscheidung sowie mit der Art und Weise und des Zeitraums der Entscheidung um, welche Schlüsse werden daraus gezogen und Maßnahmen abgeleitet, die insbesondere den betroffenen Jugendlichen helfen?

Der SAB wurde das Unverständnis zum Verfahren und zur Entscheidungsfindung mitgeteilt. Für zukünftige Verfahren werden im Vorfeld die Aufgaben und Einflussmöglichkeiten mit der SAB schriftlich fixiert. Um den betroffenen Jugendlichen zu helfen, steht das Amt für Jugend und Familie mit der Produktionsschule des BBW in engem Kontakt.

Der Träger versucht aktuell, die Jugendlichen an die Produktionsschule von Schauplatz zu vermitteln. Dies kann allerdings nicht nahtlos gelingen, da die nun neu über ESF geförderte Maßnahme von Schauplatz voraussichtlich erst zum 1. Februar 2023 beginnen wird. Weitere deckungsgleiche und relevante Alternativmaßnahmen existieren nicht.

Das Amt für Jugend und Familie beabsichtigt, mit dem Netz kleiner Werkstätten (BBW) zumindest eine Maßnahme in diesem Spektrum mit eingeschränktem Leistungsumfang ab 2023 weiter zu fördern. Die Mehrzahl der Plätze dieser Maßnahme wurde 2022 durch das Jobcenter an einen anderen Träger vergeben, der die Arbeit noch nicht aufgenommen hat.

4. Sieht die Stadt Leipzig Möglichkeiten, das erfolgreiche und wichtige Projekt kurzfristig und künftig über eine alternative Finanzierung abzusichern?

Die weitere Unterstützung der Produktionsschule des BBW durch das Amt für Jugend und Familie wäre aktuell nur über den Kofinanzierungsantrag (10 %, 67.000 € jeweils 2023 u. 2024) möglich. Weitere Haushaltsmittel stehen im Amt für Jugend und Familie nicht zur Verfügung.

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